Frankreichs Apotheker unterzeichnen riesiges Reformpaket |
Jennifer Evans |
28.03.2022 11:00 Uhr |
Nach sechs Monaten Verhandlungszeit steht nun ein Reformpaket, das Apothekern viele neue Aufgaben in der Gesundheitsprävention schafft. / Foto: Adobe Stock/AUFORT Jérome
Rund 130 Millionen Euro stehen für die neuen Aufgaben der gut 20.700 öffentlichen Apotheken in Frankreich bereit. Das betonte der Chef der französischen Krankenkassen, Thomas Fatôme, bei einer Pressekonferenz. Anlass war ein Vertrag, den die französischen Apothekerverbände und die Verbände französischer Krankenkassen am 9. März 2022 unterzeichnet hatten. Fatôme zufolge teilt sich die Investition so auf: etwa 105 Millionen Euro stellen die Kassen und 22 Millionen Euro die Zusatzversicherung zur Verfügung. Französische Medien berichteten auch, dass der Kassen-Chef das Dokument als »bedeutend« und »ambitioniert« bezeichnete.
Ausgangspunkt für die neue Vereinbarung war der Einsatz der Apotheker in der Covid-19-Pandemie. In dieser Zeit hatte der Berufsstand – wie auch in Deutschland – investiert und seine Arbeit an sich ständig ändernde Vorschriften angepasst, um die Erwartungen von Bevölkerung und Gesundheitsbehörden zu erfüllen. Unterschrieben haben die Pharmazeuten in Frankreich nun ein riesiges Reformpaket, das ihnen mehr Verantwortung unter anderem in den Bereichen Prävention, Erstversorgung und Telepharmazie überträgt. Der Vertrag lässt sich im Original hier einsehen.
Laut der neuen Vereinbarung können französische Apotheken nun ihre Patienten per Telekonsultation beraten und bei Bedarf Rücksprache mit dem Arzt zur Medikation halten. Für die technische Ausstattung gibt es im ersten Jahr pauschal 1225 Euro pro Offizin. Das Honorar für die einzelnen Telekonsultationen ist dann nach deren Anzahl gestaffelt. Für bis zu fünf Online-Beratungen pro Jahr erhalten die Pharmazeuten pauschal 25 Euro, sind es mehr als 146 gibt es 750 Euro.
Grundsätzlich dürfen die Apotheker dann zu Präventionsthemen aufklären und beraten. Für die Gesprächstermine ist eine umsatzsteuerfreie Vergütung zwischen 20 Euro und 80 Euro vorgesehen. Für die Beratungen Schwangerer, etwa zu ausstehenden Impfungen oder zu ihrer Medikamenteneinnahme, erhält der Pharmazeut 5 Euro.
Ist der Patient einverstanden, darf der Apotheker gegenüber der Krankenkasse als sogenannter Korrespondenzapotheker fungieren und damit bei chronisch Kranken etwa die Dosierung eines Arzneimittels anpassen oder die Einnahme selbstständig verlängern, sofern der behandelnde Arzt dies zuvor auf dem Rezept vermerkt hat sowie ein Abgleich mit den digitalen Daten des Patienten stattgefunden hat. Dabei ist es ebenfalls erlaubt, auch Großpackungen abzugeben. Das Angebot ist vor allem für ländlichere Regionen gedacht. Betreut ein Pharmazeut bis zu 100 Personen als Korrespondenzapotheker, erhält er für den Service 2 Euro pro Patient, sind es mehr als 100 Menschen gibt es 1 Euro pro Kopf. Allerdings darf das Honorar insgesamt 500 Euro pro Jahr nicht übersteigen.
Nicht zuletzt während der Pandemie hatte sich gezeigt, dass ein Impfangebot in Apotheken dazu beiträgt, die Impfquoten im Land zu steigern. Demzufolge sollen die Pharmazeuten künftig Kunden direkt auf anstehende Impfungen ansprechen, sie über Risiken und Nebenwirkungen aufklären, etwaige Kontraindikationen checken und sie dann auch impfen. Laut Vertrag mit den Kassen erhalten die Apotheken für die Grippeimpfung samt Aufklärungsgespräch 7,50 Euro. Für andere Impfungen auf Rezept gibt es ebenfalls 7,50 Euro, ohne Verordnung sind es 9,60 Euro.
Darüber hinaus dürfen Apotheker Streptokokken-Schnelltests zur Orientierung bei Angina durchführen. Ist der Test positiv, überweist der Apotheker den Patienten direkt an den Arzt. Dafür wird es rund 6 bis 7 Euro geben. Ähnlich hoch ist die Vergütung für ein Harnwegsinfektion-Screening, wenn die Offizin Urinstreifen an Frauen mit Verdacht auf akute Zystitis abgibt. Ziel ist es, Antibiotikaresistenzen zu vermeiden.
Damit nicht genug: Auch bei der Früherkennung von Darmkrebs setzen die Kassen auf die Apotheken: 5 Euro erhalten die Apotheken, wenn sie bis zum 31. Dezember 2023 Personen im Alter von 50 bis 74 Jahren beraten und ihnen Darmkrebs-Früherkennungskits mitgeben.
Neuregelungen haben die beiden Vertragsparteien auch für den Nacht- und Notdienst verankert. Demnach erhalten Apotheken 190 Euro für jeden geleisteten pharmazeutischen Bereitschaftsdienst. Zusätzlich gibt es nachts zwischen 20 Uhr und 8 Uhr pro Rezept 8 Euro. An Sonn- und Feiertagen sind es zwischen 8 Uhr und 20 Uhr 5 Euro pro Verordnung und tagsüber außerhalb der Öffnungszeiten von 8 Uhr bis 20 Uhr 2 Euro.
Darüber hinaus sollen die Pharmazeuten Patienten unterstützen, wenn diese aus der stationären in die ambulante Versorgung wechseln. Der Apotheker besucht sie dafür im Rahmen des Programms PRADO (service de retour à domicile des patients hospitalisés) zu Hause und berät sie zur Arzneimitteltherapiesicherheit sowie zu möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen. Die Kassen erstatten ihm dafür dann sowohl den Botendienst in Höhe von 2,50 Euro als auch die Summe für die Rx-Arzneimittel.
Und schließlich zahlt sich für die Vor-Ort-Apotheken in Zukunft auch den Einsatz digitaler Anwendungen aus. Dazu zählt etwa das ab 2024 verpflichtende E-Rezept sowie das Befüllen der Gesundheitskarte »Carte Vitale«, der Gebrauch bestimmter Software bei der Arzneimittel-Abgabe sowie sichere Nachrichtensysteme.
Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran begrüßte die Kompetenzerweiterung der Apotheker und hat sie in einem Brief als »wichtige Akteure« im öffentlichen Gesundheitswesen bezeichnet und sprach ihnen darin auch seine »besondere Wertschätzung« aus. Außerdem kündigte er eine Reform von Teilen des Pharmaziestudiums an. Ziel ist es, die Attraktivität des Berufs mit all seinen heilberuflichen Tätigkeiten zu steigern.
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