Evidenzbasierte Empfehlungen zur Gicht veröffentlicht |
Kerstin A. Gräfe |
16.09.2024 16:18 Uhr |
Der erste Gichtanfall betrifft oft die große Zehe, genauer das Großzehen-Grundgelenk. Zur Therapie gibt es nun aktualisierte, evidenzbasierte Empfehlungen. / Foto: Getty Images/Toa55
Gicht ist eine Stoffwechselkrankheit, bei der sich überschüssige Harnsäure im Körper ansammelt. Wird deren Löslichkeitsprodukt überschritten, fallen Kristalle aus, die sich in Geweben und Organen ablagern. Die Harnsäurekristalle können entzündliche Abwehrreaktionen provozieren, die sich im Bereich der Gelenke als Gichtarthritis manifestieren.
Wird die Erkrankung nicht adäquat behandelt, kann es zu rezidivierenden entzündlichen Schüben und letztlich auch zur Bildung von Depots von Harnsäurekristallen in Form von Tophi (Gichtknoten) kommen. Dies kann im Verlauf zu strukturellen Gelenkveränderungen und Funktionseinschränkungen führen. Primäres Therapieziel ist es, Gichtanfälle zu verhindern, Gelenkschäden zu minimieren und die Lebensqualität der Betroffenen langfristig zu verbessern.
»Die neue Leitlinie bildet erstmalig sowohl die allgemeinmedizinischen als auch fachärztlichen Auffassungen ab«, sagte Privatdozentin Dr. Uta Kiltz bei einer digitalen Vorab-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologie-Kongresses. Die Konsensfindung sei durchaus lebhaft, teils kontrovers gewesen und bilde im Wesentlichen die Unterschiede im Behandlungssetting ab, so die Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne, die eine der Leitlinienkoordinatoren ist.
Herausgearbeitet habe die Leitliniengruppe, dass die allgemeinmedizinische Aufgabe zunächst die Therapie des akuten Gichtanfalls mit möglichst schneller Symptomkontrolle umfasst, während die Senkung des Surrogat-Parameters Serumharnsäure von eher nachrangiger Bedeutung zu sein scheint. »Hingegen sehen wir im fachärztlichen Setting häufiger Patienten mit einem höheren Schweregrad, rezidivierenden Gichtanfällen, Gelenkdestruktionen und Ausbildung von Tophi, was ein stringenteres therapeutisches Herangehen erfordert«, so Kiltz. Häufig stehe der Rheumatologe vor schwierigen Fragen, da viele Gichtpatienten unter weiteren Komorbiditäten leiden und die Therapieausrichtung dementsprechend angepasst werden muss.
Vor diesem Hintergrund differierten die Meinungen von Allgemeinmedizinern und Rheumatologen zum Zielwert der Serumharnsäure. Aus rheumatologischer Sicht sei eine Treat-to-Target-Strategie empfehlenswert, bei der eine medikamentöse Senkung der Serumharnsäure auf Werte unter 6 mg/dl Blut angestrebt wird. »Die Senkung der Serumharnsäure muss zielgerichtet erfolgen, um weitere Gichtanfälle zu vermeiden beziehungsweise weitere Gelenkzerstörungen zu reduzieren. Zudem möchten wir damit die Funktionalität und Lebensqualität der Betroffenen erhalten«, so Kiltz.
Hingegen sollte den Allgemeinmedizinern zufolge nicht grundsätzlich eine Treat-to-Target-Strategie verfolgt werden. Sie sprechen sich für ein patientenzentriertes, an das individuelle Risiko und die Gichtlast adaptiertes Vorgehen aus. Dementsprechend findet sich der Leitlinie ein Sondervotum der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), das diese Auffassung abbildet.
In allen anderen Punkten herrschte Einigkeit. Insgesamt umfasst die neue Leitlinie 25 Empfehlungen, die sich mit Bereichen wie Diagnostik, Behandlung des akuten Gichtanfalls sowie Komorbiditäten und Lebensstil befassen. Für die Diagnostik habe die Leitliniengruppe festgehalten, dass die klinische Einschätzung ausreichend ist, sofern es keine Hinweise auf andere Differenzialdiagnosen gibt. Ganz wichtig: »Wenn sich die Symptomatik des akuten Gichtanfalls nicht schnell beheben lässt, muss eine Reevaluation angestrebt werden, um die Diagnosesicherheit zu erhöhen«, sagte die Rheumatologin.
Im akuten Gichtanfall empfiehlt die Leitlinie den Einsatz von entzündungshemmenden Medikamenten wie Colchicin, Glucocorticoiden oder nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR). Die Auswahl des Medikaments sollte in Abhängigkeit von Komedikation, Komorbiditäten und Kontraindikationen erfolgen.
Die Leitliniengruppe empfiehlt ausdrücklich, Patienten beim ersten Gichtanfall über alle therapeutischen Optionen aufzuklären, inklusive medikamentöser Senkung der Serumharnsäue und je nach Behandlungssetting und Patientencharakteristika der Einleitung einer harnsäurebindenden Therapie. Letztere sollte in der Regel mit einem Xanthinoxidase-Inhibitor erfolgen.
Die Leitliniengruppe empfiehlt, dass harnsäureerhöhende Medikamente wie Schleifen- und Thiazid-Diuretika nur unter strenger Indikationsstellung eingesetzt werden. Andere Substanzgruppen wie die SGLT-2-Inhibitoren, die sich positiv auf die Höhe der Serumharnsäure auswirken, sollen bei bestehender Komorbidität verstärkt eingesetzt werden.
Hinsichtlich des Lebensstils sollten die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass Adipositas und Übergewicht sowie übermäßiger Alkoholkonsum das Risiko für Gichtanfälle erhöhen. Die Leitliniengruppe empfiehlt eine pflanzenbasierte Ernährung. »Eine Empfehlung für eine spezifische Diät, etwa eine purinarme Kost, lässt sich in der Evidenz nicht abbilden«, betonte Kiltz.