EU sagt Impfstoffherstellern den Kampf an |
Nicht nur die EU-Kommission will sich mit den Impfstoffherstellern, die nicht wie vereinbart Impfdosen liefern, anlegen. Auch der EU-Ratspräsident Charles Michel möchte alle juristischen Mittel prüfen, um künftig mehr Impfstoff-Lieferungen an die EU zu erhalten. / Foto: imago images/Xinhua
Es ist erschreckend, was Astra-Zeneca vergangene Woche angekündigt hatte. Etwa 60 Prozent weniger Impfstoffdosen als vertraglich zugesichert sollen im ersten Quartal 2021 in der EU ankommen. Dabei steht die Vermutung im Raum, dass in der EU produzierte Vakzine an Drittstaaten, etwa nach Großbritannien geliefert wurden. Hier will die EU mithilfe verschiedener Instrumente nun kräftig gegensteuern.
Zunächst will die EU-Kommission das angekündigte System zur Erfassung und Genehmigung der Ausfuhr von Corona-Impfstoffen auf den Weg bringen. Der Export von in der EU produzierten Corona-Impfstoffen wird von diesem Samstag an nun streng überwacht. Das System sieht vor, dass Hersteller künftig geplante Exporte bei den nationalen Behörden anmelden und genehmigen lassen müssen. Dabei schließt die EU-Kommission allgemeine Exportbeschränkungen für Corona-Impfstoffe aus. Das System zur Erfassung und Genehmigung der Ausfuhren soll lediglich Klarheit über Produktionsmengen und Exporte bringen, wie Vizepräsident Valdis Dombrovskis am Freitag bei einer Online-Diskussion des Weltwirtschaftsforums sagte. Man rede nicht über Exportverbote oder Exportbeschränkungen. Die Notwendigkeit des Systems erklärte Dombrovskis mit dem Verhalten von Impfstoffherstellern in den vergangenen Wochen. «Leider handeln nicht alle Pharmaunternehmen im Geiste voller Transparenz», sagte er. Ziel sei es, die Konzerne zur Einhaltung ihrer vertraglichen Verpflichtungen zu bewegen. Exporte von Impfstoffen könnten damit nur untersagt werden, wenn Hersteller damit die EU unrechtmäßig benachteiligen. Ausfuhren in Entwicklungsländer im Rahmen der Covax-Initiative und für humanitäre Zwecke seien vollständig ausgenommen, sagte Dombrovskis.
Die EU-Kommission hat mit Pharmakonzernen sechs Verträge zur Lieferung von bis zu 2,3 Milliarden Dosen Impfstoff geschlossen. Teil der Vereinbarung waren Vorschüsse zur Entwicklung der Mittel und zum Aufbau von Produktionskapazität. Die Vereinbarungen seien mit dem Ziel geschlossen worden, Produktionskapazität für die EU zu reservieren, sagte ein EU-Beamter. Deshalb sei es legitim zu wissen, wohin die produzierten Mengen gingen. Wenn die Verträge erfüllt würden, gebe es kein Problem. Humanitäre Impfstoff-Lieferungen sollen von dem neuen System ausgenommen werden.
EU-Ratspräsident Charles Michel hat zudem weitere Notmaßnahmen ins Gespräch gebracht, um die Corona-Impfungen in Europa zu beschleunigen. Sollten keine befriedigenden Lösungen mit den Herstellern gefunden werden, «sollten wir alle Optionen prüfen und alle juristischen Mittel und Durchsetzungsmaßnahmen nutzen», schrieb Michel in einem am Donnerstag veröffentlichten Brief an mehrere EU-Staats- und Regierungschefs.
Konkret bringt Michel Artikel 122 der EU-Verträge ins Spiel, der Notmaßnahmen bei Versorgungsengpässen ermöglicht. Die EU-Staaten könnten die EU-Kommission beauftragen, gezielte Maßnahmen zur Beschleunigung der Impfkampagne zu ergreifen, wie es aus EU-Kreisen hieß. Das könnten etwa Vorkehrungen sein, Impfstoffe bereits vor der Zulassung an die EU-Staaten zu verteilen. Es könnte aber auch bis hin zu Zwangslizenzen für Impfstoffe gehen, so dass Konkurrenten diese gegen Gebühr produzieren könnten, sagte ein EU-Vertreter. Michel reagierte mit dem Schreiben auf einen Brief an die Regierungschefs von Österreich, Tschechien, Dänemark und Griechenland von voriger Woche. Sie hatten sich unter anderem für ein schnelles Zulassungsverfahren für Impfstoffe bei der EU-Arzneiagentur EMA stark gemacht. Die EMA wird voraussichtlich am Freitag eine Empfehlung zur Zulassung des Mittels von Astra-Zeneca geben.
Den Rahmenvertrag mit dem Pharmakonzern Astra-Zeneca hat die EU nun veröffentlicht. Wichtige Passagen des Dokuments vom August 2020 wurden allerdings unter Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse geschwärzt. Darunter sind auch die für das erste Quartal vorgesehenen Liefermengen, um die seit Tagen ein heftiger Streit tobt. Die EU-Kommission begrüßte gleichwohl die Bereitschaft des Unternehmens zu mehr Transparenz. Dies sei wichtig, um Vertrauen der Europäer aufzubauen und sicherzustellen, dass sie sich auf Wirksamkeit und Sicherheit der Corona-Impfstoffe in der EU verlassen könnten. Die Kommission hoffe, alle Verträge mit Impfstoffherstellern veröffentlichen zu können. Den Vertrag mit dem Tübinger Unternehmen Curevac hatte die EU bereits veröffentlicht.
Außerdem möchte die EU Corona-Impfpässe einführen. Diese sollen innerhalb der 27 Mitgliedstaaten vergleichbar und gegenseitig anerkannt werden. Wie die EU-Kommission am Donnerstag mitteilte, haben sich die EU-Staaten auf Empfehlungen geeinigt, welche Informationen solche Dokumente enthalten sollen. Impfnachweise sollen demnach sowohl in Papier- als auch in elektronischer Form möglich sein. Neben Basisinformationen etwa zu Personalien, dem verwendeten Impfstoff und der ausstellenden Behörden soll es eine Art elektronisches Siegel geben, etwa einen QR-Code oder eine Registrierung. Ziel sei, den Impfstatus einer Person rasch und eindeutig festzustellen, heißt es in den Richtlinien. Später könnten damit auch weitere Informationen verlinkt werden. Die Richtlinien werden nun weiter beraten und ausgearbeitet. Wann die vergleichbaren Impfzertifikate eingeführt werden, blieb offen. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erklärte: «Gegenseitig anerkannte Impfnachweise werden ein wichtiges Instrument für die Bürger während der Pandemie, aber auch, nachdem wir sie überwunden haben.»
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Hinweis der Redaktion: Der Artikel wurde am Freitag fortlaufend aktualisiert.
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