Erste Antibabypille mit Estetrol kommt |
Carolin Lang |
15.06.2021 07:00 Uhr |
Drovelis folgt dem 24/4-Einnahmeschema, das heißt auf 24 aktive Filmtabletten folgen vier Placebos. / Foto: Adobe Stock/nenetus
Das Kombinationspräparat Drovelis enthält neben dem bekannten Gestagen Drospirenon (3 mg) auch Estetrol (14,2 mg), ein bioidentisches Estrogen, das damit erstmalig in einem Arzneimittel zum Einsatz kommt. Die Indikation ist bislang auf die orale Kontrazeption beschränkt.
Die neue Antibabypille unterscheidet sich von bisherigen Kombinationspräparaten also in der Estrogen-Komponente, die bislang zum Beispiel durch Ethinylestradiol oder Estradiol vertreten war. »Estetrol ist ein physiologisch vorkommendes Estrogen, dessen biologische Funktion jedoch bislang nicht abschließend geklärt ist«, erklärte der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. Ludwig Baumgartner bei der Launch-Pressekonferenz des Herstellers Gedeon Richter. Bekannt sei jedoch, dass Estetrol ab der neunten Schwangerschaftswoche von der Leber des Fötus produziert werde und über die Plazenta in den mütterlichen Kreislauf gelange.
Die kontrazeptive Wirkung von Drovelis beruht primär auf der Ovulationshemmung, für die vor allem das Gestagen Drospirenon verantwortlich ist. Estetrol dient hingegen vorrangig der Stabilisierung des Menstruationszyklus, also um unerwünschte Blutungen zu verhindern.
Im Vergleich zu anderen Estrogenen wie Estradiol und Ethinylestradiol habe Estetrol eine geringe Affinität zu Estrogenrezeptoren (ER) und binde mit einer fünfmal höheren Affinität an ERα als an ERβ, berichtete Baumgartner über den Wirkstoff. Dieser wirke zudem selektiv in verschiedenen Geweben, nämlich als Agonist am nukleären ERα sowie als Antagonist am membranständigen ERα. So blockiere Estetrol direkt über den Membranrezeptor die Ovulation. »Für die Ovulationshemmung war sonst immer nur die Gelbkörperkomponente verantwortlich. Nun ist ein zusätzlicher Puffer eingebaut, was zu weniger Durchbruchsovulationen führt«, sagte der Gynäkologe. Als tatsächlichen Pearl Index gibt Gedeon Richter 0,44 an.
Das Molekül trägt, ausgehend von ß-Estradiol, zwei zusätzliche OH-Gruppen an C15 und C16 und unterscheidet sich von anderen Estrogenen in seinem endokrinen und metabolischen Profil. Es ist ein Endprodukt des Steroidmetabolismus und wird nicht über Cytochrom-P-450-Enzyme metabolisiert. Daher könnte es im Vergleich zu anderen Estrogenen weniger Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln aufweisen, heißt es seitens des Herstellers. Das Hormon hat mit einer durchschnittlichen Plasmahalbwertszeit von etwa 24 Stunden eine vergleichsweise lange Halbwertszeit und besitzt eine Bioverfügbarkeit von 90 Prozent. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über den Urin.
Drovelis folgt dem 24/4-Einnahmeschema, das heißt auf 24 aktive Filmtabletten (rosa) folgen vier Placebos (weiß). Beginnend mit dem ersten Zyklustag wird an 28 aufeinanderfolgenden jeweils ungefähr zur gleichen Uhrzeit Tagen eine Tablette eingenommen. Das Präparat ist zunächst als Ein- oder Dreimonatspackung (also mit 28 oder 84 Tabletten) erhältlich.
Generell ist das Risiko für eine venöse Thromboembolie (VTE) bei der Einnahme kombinierter hormoneller Kontrazeptiva im Vergleich zur Nichtanwendung erhöht. Dabei ist es unter anderem abhängig von der enthaltenen Gestagen-Komponente. Präparate, die neben Ethinylestradiol auch Drospirenon enthalten, sind mit einem vergleichsweise hohen Thromboserisiko assoziiert. Die geschätzte Inzidenz pro 10.000 Frauen und einem Anwendungsjahr liegt hier bei 9 bis 12. Dies sei jedoch nicht auf die Kombination mit Estetrol übertragbar, so Baumgartner.
Wie es genau um das VTE-Risiko von Drovelis steht, ist noch nicht abschließend geklärt. Eine dreiarmige, randomisierte kontrollierte Phase-II-Studie (Dinox-C201) mit 98 gesunden Probandinnen im Alter von 26 ± 6,1 Jahren weist auf eine geringe Beeinflussung der Blutgerinnung hin. Diese Annahme beruht jedoch lediglich auf Surrogatparametern, epidemiologische Daten fehlen noch. Ferner sei die Aussagekraft der Daten wegen des Open-Label-Designs und des explorativen Ansatzes der Studie limitiert, heißt es seitens des Herstellers. Es seien weitere Untersuchungen notwendig, um die Ergebnisse zu bestätigen.
Bei Frauen mit erhöhtem Thromboserisiko solle vorerst Vorsicht bei der Verschreibung gelten, betonte die Gynäkologin Dr. Katrin Schaudig. »Ich warne im Augenblick noch davor, das Präparat an Thrombose-gefährdete Patienten zu verschreiben. Wir müssen auf Endpunktdaten warten.«