Endpunkte der Phase III-Corona-Impfstoffstudien hinterfragt |
Theo Dingermann |
25.09.2020 15:30 Uhr |
Wie viele Corona-Infektionen braucht es, um zu zeigen, dass der Impfstoff wirklich schützt? Das haben die Firmen zuvor in ihren Studienprotokollen festgelegt. / Foto: Getty Images/Andriy Onufriyenko
In einem Meinungsbeitrag in der New York Times vom 22. September äußern sich die Professoren Peter Doshi, Professor an der School of Pharmacy der University of Maryland, und Eric Topol, Professor für Molekulare Medizin am Scripps Research Institute, La Jolla, kritisch zum Design der Phase-III-Studien der Frontrunner-Firmen Moderna, Pfizer/BioNTech und Astra-Zeneca.
Alle drei Firmen hatten, auch als Reaktion auf einen erheblichen öffentlichen Druck, Einzelheiten über das Design ihrer Studien bekannt gegeben. Unter anderem sind hier die Einschlusskriterien und die Überwachung der Probanden, die Bedingungen, nach denen die Studien vorzeitig abgebrochen werden könnten, falls man mit Problemen konfrontiert würde oder aber auch frühzeitig einen Effekt sieht, sowie die Kriterien nachzulesen, wonach auf einen Schutz vor Covid-19 geschlossen wird.
In den Studien der Firmen Moderna und Astra-Zeneca sind jeweils etwa 30.000 Teilnehmer eingeschlossen. Die Studie des Konsortiums der Firmen Pfizer und BioNTech umfasst 44.000 Teilnehmer. Die Hälfte der Teilnehmer erhält zwei Impfstoffdosen im Abstand von drei oder vier Wochen, und die andere Hälfte erhält eine Placebo-Zubereitung.
Die endgültige Beurteilung der Wirksamkeit könnte nach dem Auftreten von circa 150 bis 160 Covid-19-Erkrankungen unter den Studienteilnehmern erfolgen. Allerdings ist nur dann eine Wirksamkeitsbeurteilung möglich, wenn die Studien lang genug laufen. Pfizer/BioNTech werden die Studiendaten viermal, Moderna zweimal und Astra-Zeneca einmal im Rahmen von Zwischenauswertungen analysieren, um festzustellen, ob eine Wirksamkeit gezeigt werden kann, was möglicherweise zu einem vorzeitigen Ende der Studien führen wird.
Am Design aller drei Studien üben nun Doshi und Topol Kritik. Sie stoßen sich an Regelungen, die zur Folge hätten, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe vorzeitig, das heißt bereits nach geplanten Zwischenprüfungen bestätigt werden könnte.
Theoretisch müssten die Studien mindestens solange laufen, bis unter den Studienteilnehmern 164 Covid-19-Fälle nachgewiesen werden. Diese müssten sich so verteilen, dass höchstens 53 Erkrankungen in der Gruppe auftreten dürfen, die das Antigen erhalten hat. Mindestens 111 Erkrankungen müssten in der Placebogruppe registriert worden sein. Dies würde den WHO-Vorgaben entsprechen, nach denen mindesten 50 Prozent der geimpften Personen vor einer Erkrankung geschützt sein sollten.
Nach dem publizierten Studiendesign könnten Pfizer/BioNTech jedoch für seinen Impfstoff bereits eine Notfallzulassung beantragt, wenn im Zuge einer Zwischenprüfung der Studie 32 Erkrankungen registriert würden, von denen höchstens sechs unter den Probanden auftreten dürften, die das Antigen erhalten hätten. Die restlichen 26 Erkrankungen müssten unter den Probanden der Placebogruppe auftreten. Insgesamt planen die Unternehmen vier Zwischenprüfungen.
Für die Phase-III-Studie der US-Firma Moderna ist vorgesehen, dass nach 53 Covid-19-Fällen im Rahmen der Studie eine erste Zwischenprüfung (von zwei geplanten) durchführt wird. Astra-Zeneca sieht nur eine einzige Zwischenprüfung für die Phase-III-Studie vor. Zeigt sich bei dem Moderna Impfstoff nach den genannten Kriterien eine Wirksamkeit, gibt das Unternehmen an, die Studie sofort zu beenden. Astra-Zeneca hingegen geht nicht soweit.
Doshi und Topol kritisieren nun, dass nach diesen Vorgaben wichtige Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Impfstoffe auf der Strecke bleiben würden. Sie befürchten, dass zumindest zum Zeitpunkt der Zulassungsbeantragung nur Informationen zu milden Covid-19-Verläufen abgeleitet werden könnten. Informationen zum Schutz vor mäßigen oder schweren Formen der Krankheit oder zur Minimierung des Risikos für eine Krankenhauseinweisung, zur Behandlung auf einer Intensivstation oder zum Tod erhalte man unter diesen Bedingungen nicht, so die Autoren.
Ihre Meinung begründen die Autoren damit, dass ein milder Covid-19-Verlauf weitaus häufiger vorkommt als schwere Verläufe. Daraus folge, dass sich die meisten Wirksamkeitsdaten wahrscheinlich auf leichte Erkrankungen bezögen. Es gebe dann jedoch keine Garantie dafür, dass eine Verringerung des Risikos milder Covid-19-Verläufe auch das Risiko von mittelschwerem oder schwerem Covid-19 verringert.
Zum anderen weiß man bereits von den Impfstoffkandidaten der Firmen Moderna und Pfizer/BioNTech, dass sie durchaus Nebenwirkungen hervorrufen, darunter Kopf- und Muskelschmerzen, die den Symptomen von mildem Covid-19 ähneln. Wenn die Impfstoffe also »nur« das Risiko für eine milde Ausprägung von Covid-19 reduzieren sollten, könnten sie am Ende mehr Beschwerden verursachen als sie verhindern, so die Autoren.
Und schließlich geben die Kritiker zu bedenken, dass es dem gesunden Menschenverstand widerspreche, eine Studie mit 30.000 oder 44.000 Personen bereits nach nur etwa 150 Covid-19-Fällen abschließend zu bewerten, auch dann, wenn das statistisch begründbar ist. Dies gelte umso mehr, wenn die Studien über ihre Zwischenanalysen hinaus weitergeführt würden. Hunderten von Millionen von gesunden Menschen auf der Grundlage solch begrenzter Daten einen Impfstoff zu geben, erfordere einen echten Vertrauensvorschuss, so die Autoren.
Zudem wäre es wichtig, auf einen möglichst großen Datenpool zugreifen zu können, zumal nicht auszuschließen ist, dass für bestimmte Subgruppen, darunter Kinder, Jugendliche, schwangere Frauen und Ältere, besondere Anwendungskautelen zu treffen sind. Impfstoffe, so die Autoren, müssen in allen Bevölkerungsgruppen, in denen sie eingesetzt werden sollen, gründlich getestet werden.
Aus diesen Gründen lehnen Doshi und Topol auch eine Aussage ab, dass ein so zugelassener Impfstoff »wirkt«. Ein solches Urteil setze voraus, dass die meisten Menschen nicht mehr Gefahr laufen, ernsthaft zu erkranken. Das ist jedoch nicht das, was nach diesem Studiendesign ableitbar ist, so die Autoren.
Die Studien sollten sich auf einen relevanten klinischen Endpunkt konzentrieren. Dies wäre die Reduktion des Risikos für mittelschwere und schwere Formen von Covid-19. Es sei noch nicht zu spät für die Unternehmen, dies zu tun, so Doshi und Topol, und die FDA wäre gut beraten, eine Anpassung der Studiendesigns zu fordern.
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