Ein starkes Gesundheitssystem als Abschreckung |
| Lukas Brockfeld |
| 05.11.2025 10:30 Uhr |
Inga Bergen, Lennart Eltzholtz, Christian Karagiannidis und Tim Steimle (v.l.n.r.) sprachen über die Resilienz des Gesundheitssystems. / © Dietmar Gust
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Covid-19 Pandemie haben die Themen Verteidigungsfähigkeit und Resilienz wieder in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit gerückt. Bei der »Health 2025« Tagung des Handelsblatts wurde daher am Dienstagnachmittag auch über die Frage diskutiert, ob das Gesundheitssystem bereit für den Ernstfall ist.
Eingangs erläuterte Generalleutnant a.D. Martin Schelleis, dass das Gesundheitssystem bereits heute über ein passables Maß an Resilienz verfüge. »Es ist nicht so, dass wir nichts haben. Eine schnell auftretende, aber auch schnell wieder abklingende Katastrophe, die können wir im Gesundheitssystem ganz gut abfedern. Nachbesserungsbedarf haben wir bei länger anhaltenden Krisen, für die wir Durchhaltefähigkeit brauchen«, erklärte der Offizier. Als Beispiele nannte er neben militärischen Konflikten auch große Terroranschläge, Pandemien und Naturkatastrophen.
Deutschland müsse sich vor Augen halten, welche Gefahren und Naturkatastrophen eintreten können und wie man am Besten mit ihnen umgeht. »Auf alles können wir uns nicht vorbereiten. Wir müssen uns auf einen Ausschnitt, im militärischen Sprachgebrauch ›the most likely, the most dangerous‹, festlegen, damit wir dann auch konkrete Maßnahmen umsetzen können«, erklärte Schelleis.
Die Versorgung mit Arzneimitteln und anderen medizinischen Produkten kann im Krisenfall entscheidend sein. Daher wurde bei der Tagung auch über den Themenkomplex »Versorgung, Produktion, Beschaffung, Bevorratung« diskutiert. Dafür wurden Lennart Eltzholtz (Geschäftsführer bei Sana Einkauf und Logistik), Christian Karagiannidis (Intenisvmediziner bei den Kliniken der Stadt Köln und der Universität Witten/Herdecke) und Tim Steimle (Fachbereichsleiter Arzneimittel der Techniker Krankenkasse) eingeladen. Die Moderation übernahm Inga Bergen.
Die Techniker Krankenkasse hat sich intensiv mit dem Thema Arzneimittelengpässen auseinandergesetzt. Aktuell sei die Lage relativ entspannt. »In der Pandemie waren etwa 95 Prozent der Arzneimittel verfügbar. Jetzt haben wir 99,7 Prozent. ›Verfügbar‹ heißt nicht immer, dass alles von jeder Firma da ist. Aber ein Zwilling ist da. Der ist manchmal nervig zu beschaffen, aber mit dem kann ich arbeiten«, erklärte Tim Steimle. Trotzdem gebe es immer wieder Fälle, in denen lebenswichtige Arzneimittel fehlten. Hier bestehe Handlungsbedarf.
Christian Karagiannidis erklärte, dass das deutsche Gesundheitssystem in der Pandemie eine große Anpassungsfähigkeit bewiesen habe. Doch diese Anpassungsfähigkeit fehle aktuell an vielen Stellen. »In dieser Nicht-Krisenphase haben wir größte Schwierigkeiten das System vernünftig aufzustellen, weil es unheimlich viele Widerstände gibt. Das liegt daran, dass der Druck von Außen fehlt«, klagte der Mediziner.
Auch die Pharmaindustrie könne dazu beitragen, das Gesundheitssystem krisenfester zumachen. »Die Industrie hat sich lange und mit großen Marketingbudgets mit der Frage beschäftigt, wie man Produkte voneinander unterscheiden und Alleinstellungsmerkmale herstellen kann. Allein im DACH-Raum haben 50 bis 60 Prozent der Produkte nicht mal die gleiche Lieferantenartikelnummer. In der Schweiz haben die gleichen Produkte teilweise andere Namen als in Österreich oder in Deutschland. Mit Blick auf die Resilienz ist das ein Problem, da wir Produkte nicht so schnell austauschen können«, erklärte Lennart Eltzholtz. Auch die strengen Importvorschriften seien ein unnötiges Hindernis.
Christian Karagiannidis mahnte am Ende der Veranstaltung, dass ein krisenfestes Gesundheitssystem auch Teil der militärischen Abschreckung sei. »Russland schaut ganz genau darauf, wie gut Europa Verwundete versorgen könnte. Schon jetzt versorgt Deutschland Verwundete aus der Ukraine. Wir müssen zeitnah festlegen, was im Bündnisfall zu tun ist. Die Bundeswehr braucht einen klar geregelten Zugriff auf die zivilen Krankenhäuser«, forderte der Mediziner.
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