Durch die Nase ins Gehirn |
Annette Rößler |
03.12.2020 15:00 Uhr |
Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Zelle in der Riechschleimhaut mit SARS-CoV-2 (rot). / Foto: Michael Laue/RKI & Carsten Dittmayer/Charité
Geruchs- und Geschmacksverlust ist das typischste Anzeichen für eine Infektion mit SARS-CoV-2. Darüber hinaus sind neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schwindel und Übelkeit bis hin zu Krampfanfällen möglich und dann meist ein schlechtes Zeichen für den weiteren Verlauf. Ärzte vermuteten schon früh im Verlauf der Pandemie, dass beides zusammenhängt, dass das Virus also über die Riechschleimhaut ins Gehirn gelangen kann.
Dies konnte nun eine Gruppe um Jenny Meinhardt von der Charité in Berlin mit einer Publikation in »Nature Neuroscience« belegen. Den Wissenschaftlern gelangen die ersten elektronenmikroskopischen Aufnahmen intakter Coronaviruspartikel in der Riechschleimhaut. Sie hatten dazu Gewebeproben von 33 Menschen untersucht, die an der Charité oder der Universitätsmedizin Göttingen infolge einer SARS-CoV-2-Infektion gestorben waren. Die Forscher konnten das Virus in verschiedenen neuroanatomischen Strukturen nachweisen, die Auge, Mund und Nase mit dem Hirnstamm verbinden. Die höchste Viruslast fand sich in der Riechschleimhaut, und zwar sowohl im Inneren von Nervenzellen als auch auf den Fortsätzen der dort ansässigen Deckzellen.
»Auf Basis dieser Daten gehen wir davon aus, dass SARS-CoV-2 die Riechschleimhaut als Eintrittspforte ins Gehirn benutzen kann«, so Seniorautor Professor Dr. Frank Heppner in einer Pressemitteilung der Charité. Von dort aus nutze das Virus offenbar neuroanatomische Verbindungen wie beispielsweise den Riechnerv, um das Gehirn zu erreichen. Heppner betont allerdings, dass sich dies auf Basis der Studie nur für Patienten mit schwerem Verlauf sicher sagen lasse und dass die Ergebnisse nicht zwangsläufig auf leichte oder mittelschwere Fälle übertragbar seien.
Noch nicht abschließend geklärt ist, wie exakt das Virus sich von den Nervenzellen weiterbewegt. »Unsere Daten sprechen dafür, dass das Virus von Nervenzelle zu Nervenzelle wandert, um das Gehirn zu erreichen«, so die zweite Seniorautorin Dr. Helena Radbruch. »Vermutlich wird das Virus aber gleichzeitig auch über das Blutgefäßsystem transportiert, da sich auch in den Gefäßwänden im Gehirn Virus nachweisen ließ.«
»Außerdem haben wir SARS-CoV-2 in Hirnregionen gefunden, die lebenswichtige Funktionen wie die Atemtätigkeit steuern«, ergänzt Heppner. Es sei nicht auszuschließen, dass bei schweren Covid-19-Verläufen der Virusbefall in diesen Hirnarealen die Atmung übergeordnet erschwere, zusätzlich zu der Beeinträchtigung der Atemfunktion durch den Virusbefall der Lungen. »Ähnliches kann für Herz und Kreislauf gelten«, so Heppner.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.