Die (unendliche) Geschichte der Pockenimpfung |
Früher wurde die Pockenimpfung nicht mit einer Kanüle, sondern mit einer Impfpistole verabreicht. Dabei wird die Haut angeritzt. Es entsteht eine kleine Entzündung, die eine Delle hinterlässt. / Foto: Getty Images/Cristian Storto Fotografia
Bis heute zeugt die Narbe am Oberarm vieler Erwachsener davon: 1967 startete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine weltweite Impfkampagne gegen Pocken, im Zuge derer Milliarden Menschen geimpft wurden. Es war der Anfang vom Ende der auch Blattern oder Variola genannten Krankheit. Sie hatte zuvor jahrtausendelang gewütet. Selbst bei ägyptischen Mumien fanden sich pockenähnliche Hautausschläge. Drei von zehn Infizierten starben nach Angaben der US-Seuchenschutzbehörde CDC. Überlebende blieben oft durch Narben gezeichnet.
Bereits 1980 erklärte die WHO die Ausrottung der Pocken, der letzte natürliche Fall war drei Jahre zuvor erfasst worden. Seit dem Ende von Pockenimpfungen – die Pflicht zur Erstimpfung wurde etwa in der Bundesrepublik 1976 und in der DDR 1982 aufgehoben – sind allerdings immer weniger Menschen gegen das Orthopoxvirus variolae immun, das die klassischen Pocken hervorruft.
Mit der derzeit ungewöhnlichen Häufung von Affenpockenfällen in westlichen Ländern durch einen verwandten Erreger Orthopoxvirus simiae stellt sich die Frage: Braucht es nun erneut eine Impfkampagne für die gesamte Bevölkerung oder bestimmte Gruppen?
Fachleute nehmen an, dass herkömmliche Pockenimpfstoffe einen gewissen Schutz bieten. Diese haben eine sehr lange Geschichte. Die erste gut belegte erfolgreiche Impfung gelang dem englischen Landarzt Edward Jenner 1796 gegen Pocken: Er verabreichte einem Jungen zunächst Kuhpockenviren, einen mit den Pocken verwandten Erreger, der weniger schwer krank macht. Einige Zeit später setzte Jenner das Kind mehrfach dem Pockenvirus aus – und es ging gut, der Junge erkrankte nicht daran. Chinesischen Quellen zufolge gibt es Formen und Versuche der Pockenimmunisierung aber schon viel länger, nämlich seit mindestens 1000 Jahren, heißt es in einem Konferenzbericht zur Ausrottung der Pocken.
Auch nach der Ausrottung rückte die Pockengefahr noch einmal ins Bewusstsein: Durch den Anschlag auf das World Trade Center in den USA legten viele Länder aus Furcht vor Bioterrorismus Vorräte mit Pockenimpfstoff an.
Vermehrungsfähige echte Menschenpockenviren lagern in den USA und in Russland, wie der Virologe Professor Dr. Norbert Nowotny vom Institut für Virologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien sagte. »Rückblickend muss man aber festhalten, dass die Ängste vor Bioterrorismus nach 2001 irrational waren. Der Einsatz von Pocken als Waffe wäre schließlich überhaupt nicht kontrollierbar.«
Die Bundesregierung hat laut einem Bericht für den Gesundheitsausschuss des Bundestages etwa 100 Millionen Dosen Pockenimpfstoff eingelagert. Dieses Vakzin sei wegen zu erwartender Nebenwirkungen jedoch nicht zum Einsatz gegen Affenpocken geeignet, sagte Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD).
»Der ältere Pockenimpfstoff hat viele Nebenwirkungen, zudem enthält er vermehrungsfähige Viren, die sich im Körper von immungeschwächten Menschen ausbreiten könnten«, sagte Professor Dr. Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.
Nach den Worten des Wiener Facharztes für Impfen und Reisemedizin Professor Dr. Herwig Kollaritsch wäre heutzutage etwa ein Viertel der Bevölkerung wegen Gegenanzeigen wie Immunschwächen nicht mehr damit impfbar.
Daneben gibt es noch einen neueren Pockenimpfstoff, der auf einer Weiterentwicklung durch den Mikrobiologen Professor Dr. Anton Mayr in den 1960er-Jahren in Bayern basiert: Dabei werde ein im Labor abgeschwächtes Impfvirus genutzt, um eine Immunantwort gegen Pocken zu erzeugen, sagte Kollaritsch. Fachleute sprechen kurz von MVA-Impfung (MVA: Modifiziertes Vacciniavirus Ankara).
»Diese Impfung wurde in den 1960ern eine Zeit lang verwendet, aber nie in großem Stil. Sie ist besser verträglich, das Virus nicht mehr vermehrungsfähig«, sagte Kollaritsch, der Mitglied des österreichischen Pendants zur Ständigen Impfkommission (STIKO) ist. Es bilde sich auch keine Impfnarbe.
Er sieht bei dem Vakzin das Problem einer recht ungewissen Impfeffektivität in der Praxis angesichts der ausgerotteten Krankheit. »Man kann aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Schutz ausgehen.«
Das seit 2013 in der EU für Erwachsene gegen klassische Pocken zugelassene MVA-Vakzin heißt Imvanex® und kommt von der deutsch-dänischen Firma Bavarian Nordic. In den Vereinigten Staaten ist es bereits unter dem Namen Jynneos™ auch gegen Affenpocken zugelassen. Die WHO wies kürzlich darauf hin, dass es nicht flächendeckend verfügbar sei.
Britische Gesundheitsbehörden haben jüngst nach Angaben der UK Health Security Agency mehr als 1000 Dosen davon an Kontaktpersonen von Affenpockeninfizierten verabreicht. Auch Deutschland sorgt für den Fall vor, dass solche sogenannten Ringimpfungen bei Kontakten von Erkrankten notwendig werden sollten: Lauterbach kündigte am Dienstag die prophylaktische Bestellung von bis zu 40.000 Dosen Imvanex an. Konkrete Pläne, diesen auch zu verwenden, gebe es noch nicht. »Wir könnten diesen Impfstoff, sollte es notwendig werden, unmittelbar einsetzen«, sagte Lauterbach.
In dem neueren Impfstoff sieht Kollaritsch allenfalls ein Instrument, um Menschen zu impfen, die ein hohes Risiko haben, dem Erreger ausgesetzt zu sein. Als Beispiel nennt er das Personal spezieller Isolierstationen, die Infizierte versorgen. »Für die breite Bevölkerung wäre diese Impfung Unfug. Affenpocken sind wesentlich harmloser als die Pocken und infektionsepidemiologisch von viel geringerer Bedeutung.«