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Interaktionen und andere ABP
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Die Krebstherapie hat immer Vorfahrt

Krebspatienten unter oraler Antitumortherapie brauchen all die heilberufliche Unterstützung, die sie bekommen können, um ihre Therapie korrekt und konsequent durchzuführen. Was Apothekenteams auf jeden Fall anbieten sollten.
AutorKontaktDaniela Hüttemann
Datum 20.02.2024  09:00 Uhr

Einfach regelmäßig Tabletten schlucken und der Krebs ist weg? So einfach ist die orale Antitumortherapie nicht. Um die Herausforderungen dieser Medikamente ging es vergangenen Samstag bei der traditionellen gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Hamburg (AKHH) und der Landesgruppe Hamburg der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG).

In dem 4,5-stündigen Webinar vermittelten mit Dr. Dorothee Dartsch und Jürgen Barth zwei absolute Experten ihr klinisch-pharmazeutisches Wissen an die Hamburger Apothekerschaft. Die Inhalte entsprachen den ersten zwei von vier Teilen des Curriculums der Bundesapothekerkammer (BAK) »Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie«. Diese Fortbildung ist zwar nicht vorgeschrieben, wenn man Krebspatienten in der öffentlichen Apotheke die entsprechende pharmazeutische Dienstleistung anbieten will, aber äußerst empfehlenswert. Die Kammer will demnächst auch Fortbildungen zu den anderen Modulen anbieten.

Doch schon die Grundlagen der Antitumortherapie sind sehr umfangreich. Denn seit der Einführung von Imatinib (Glivec®) als erstem Kinasehemmer im Jahr 2001 sind zahlreiche weitere oral verfügbaren Krebsmedikamente auf den Markt gekommen, erläuterte Dartsch, Vizepräsidentin der AKHH und außerdem Geschäftsführerin des Fortbildungsanbieters »Campus Pharmazie«. »Mittlerweile gibt es fast keine Tumor-Entität mehr, die nicht auch oral behandelt werden kann.«

Dabei ist Kinasehemmer nicht gleich Kinasehemmer, was Wirkung, Nebenwirkungen, Interaktionen und Bioverfügbarkeit angeht. Und neben den Kinasehemmern fallen auch herkömmliche orale Zytostatika (»Zytoralia«) und Antimetabolite wie Melphalan und Capecitabin, andere Hemmer von Signalwegen wie PARP- und Hedgehog-Inhibitoren, Immunmodulatoren wie Lenalidomid sowie Endokrinologika wie Tamoxifen, Aromatase-Hemmer und Antiandrogene unter den Begriff der Antitumortherapie.

Jährlich geben die Apotheken in Deutschland mittlerweile mehr als 1,4 Millionen Packungen dieser hochwirksamen und sehr teuren Medikamente ab. Das entspricht im Schnitt etwa 80 Packungen pro Jahr pro Apotheke, rechnete Dartsch vor.

Lieferzeit nutzen, um sich schlau zu machen

Mit den oralen Therapien habe es einen enormen Shift der Verantwortung vom Arzt zum Patienten gegeben, aber auch zur Apotheke. Denn bei der Abgabe gehören Einnahmehinweise, das Ansprechen von Nebenwirkungen und eine Steigerung der Adhärenz unbedingt dazu, nicht nur im Rahmen einer offiziellen pharmazeutischen Dienstleistung, betonte die Apothekerin, die diese pDL selbst öfter durchführt. Auf diese haben Krebspatienten einmalig im ersten Halbjahr nach Neuverordnung einer der oben genannten Medikamente Anspruch.

»Das Gute ist: In der Regel haben Sie diese Medikamente nicht auf Lager, sondern müssen sie bestellen. Das gibt Ihnen die Zeit, sich auf die Beratung bei der Abgabe vorzubereiten«, sagte Dartsch und nannte verschiedene Informationsquellen (siehe Kasten). Denn die Angst, etwas Falsches zu sagen, sollte niemanden dazu verleiten, gar nichts bei der Abgabe zu sagen. »Bereiten Sie auch immer kurze, schriftliche Informationen vor, die Sie dem Patienten mitgeben«, so einer von Dartsch’s wichtigsten Ratschlägen. Auch hier gibt es Vordrucke bei den genannten Quellen.

Die oralen Krebsmedikamente wirkten zwar durchaus zielgerichteter als klassische Chemotherapien, trotzdem haben sie zahlreiche, teils schwere Nebenwirkungen, davon auch einige sehr häufige Klasseneffekte wie an Haut und Schleimhäuten, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, Müdigkeit und Schwindel. Das muss bereits vor Therapiebeginn von Onkologen und Apothekern angesprochen werden. Der Patient braucht zum Beispiel je nach Substanz und Risikoprofil eine antiemetogene Prophylaxe oder ein Rezept für Loperamid, falls es zu starkem Durchfall kommt – und er muss genau wissen, wann er sofort zum Arzt muss. Ebenso braucht es Hinweise zur Hautpflege und zum Sonnenschutz.

Einnahmezeitpunkte konkret benennen und aufschreiben

Diese Hinweise gehören ebenso auf den Merkzettel wie präzise Angaben zur Einnahme der oralen Krebsmedikamente. »Vor« oder »nach dem Essen« sind zu ungenau. »Fragen Sie den Patienten, wann seine üblichen Esszeiten sind und machen Sie ihm dann konkrete Angaben, und zwar schriftlich«, riet Dartsch und hatte ein Beispiel, das gleich auch eine mögliche Interaktion enthielt. Dabei ging es um Refluxbeschwerden, die so störend waren, dass der Patient nicht auf eine säurehemmende Therapie verzichten wollte.

Protonenpumpeninhibitoren wie Omeprazol sollten grundsätzlich unter oraler Krebstherapie vermieden werden, da sich Interaktionen zeitlich nicht umgehen lassen und die PPI den Magen-pH-Wert so stark steigen lassen, dass die Freisetzung des Krebsmedikaments stark beeinflusst werden kann, was vor allem einige Tyrosinkinase-Inhibitoren betrifft. »Wenn der PPI wirklich absolut unverzichtbar ist, dann sollte er gleichzeitig mit dem Tyrosinkinase-Hemmer und mit Cola eingenommen werden«, so Dartsch. »Wir müssen dem Patienten immer Brücken bauen, weil sonst die Gefahr besteht, dass er bei der lebenswichtigen Krebstherapie inadhärent wird.«

Auch H2-Antihistaminika und die klassischen Antazida können die Wirkung der Krebstherapie beeinflussen. Im konkreten Beispiel sollte der Patient Erlotinib und Famotidin einnehmen. Er gab an, normalerweise um 08:00 Uhr zu frühstücken. Dann sollte er das Erlotinib um 07:00 einnehmen und hat für das Famotidin einen Zeitrahmen zwischen 09:00 und 21:00 Uhr. Denn zum einen sollte Erlotinib entweder eine Stunde vor dem Essen oder frühestens zwei Stunden danach eingenommen werden. Zum anderen sollte Erlotinib zwei Stunden vor Famotidin oder frühestens zehn Stunden danach eingenommen werden. Daraus ergibt sich das oben genannte Fenster.

Mit einem Tool der (kostenpflichtigen) Zytoralia-Datenbank lassen sich solche zeitlich exakten Medikationspläne für die Krebsmedikamente erstellen, die auch mögliche Therapiepausen berücksichtigen, zum Beispiel wenn das Einnahmeintervall über fünf Tage die tägliche Einnahme vorsieht und dann zwei Tage Therapiepause. Hier bietet sich an, dem Wochenrhythmus gemäß montags mit der Einnahme zu beginnen. Auf dem Medikationsplan der Zytoralia-Datenbank der DGOP lassen sich die einzelnen Einnahmezeitpunkte abhaken. Zudem kann der Patient anhand einer Smiley-Skala seinen Allgemeinzustand und Nebenwirkungen beurteilen. Der Patient brauche zudem vorab eine Handlungsanweisung, was er tun muss, wenn er eine Einnahme vergisst oder erbricht, erinnerte Dartsch.

Bei Interaktionen vor allem auf CYP3A4 und pGp achten

Grundsätzlich sind zahlreiche Interaktionen zwischen oraler Krebstherapie und anderen Medikamenten, aber auch Supplementen (Johanniskraut, Calcium) und Lebensmitteln selbst (Grapefruit, grüner Tee) möglich. Die klinische Relevanz zu bewerten sei unter anderem Übungssache. Vor allem im Blick haben sollte man neben den Magen-pH-verändernden Substanzen alles, was über das Cytochrom-Enzym CYP3A4 und den Transporter p-Glykoprotein geht. Eine der wichtigsten Aufgaben der Apotheke ist es daher auch, die komplette Medikation zu erfassen beziehungsweise den Einnahmeplan auf Vollständigkeit und Korrektheit zu überprüfen, da der Onkologe nicht automatisch wisse, was der Patient noch so alles einnehme.

»Die Krebstherapie hat immer Vorfahrt«, betonte Dartsch in Bezug auf das Interaktions-Management. Das heißt, bei klinisch relevanten Interaktionen, die sich nicht durch Zeitabstände lösen lassen, sollte immer das andere Medikament ausgetauscht werden, was Sache des Arztes ist. Von wechselwirkenden OTC-Käufen muss dagegen die Apotheke abraten.

»Die Krebstherapie hat immer Vorfahrt« gilt aber auch für Gegenanzeigen und Nebenwirkungen. Wenn eine Kontraindikationen eines Krebsmedikaments angegeben ist, müsse man dies manchmal in Kauf nehmen für das Überleben des Patienten. »Der Patient hat nichts davon, wenn wir Rücksicht auf sein Asthma nehmen, aber den Tumor nicht richtig therapieren können«, machte Dartsch deutlich, solange mit kurativem Ziel therapiert wird. Zudem seien die Angaben in den Fachinformationen auch juristischer Natur, weil zum Beispiel einige Konstellationen nicht geprüft wurden. »Wir müssen lernen, uns auch an anderen Quellen zu orientieren und für den Patienten, der vor mir steht, eine individuelle Lösung zu finden«, so die Referentin.

Nebenwirkungen proaktiv ansprechen

Auch die unerwünschten Nebenwirkungen lassen sich nicht komplett vermeiden, müssen aber, um die Adhärenz nicht zu gefährden, adressiert und gemanagt werden. Auf die Möglichkeiten der Supportivtherapie ging Jürgen Barth noch genauer ein. Ebenso erklärte der Spezialist für onkologische Pharmazie und Leiter der StiL-Studienzentrale am Uniklinikum Gießen zahlreiche Grundbegriffe und Grundlagen der Onkologie wie das Staging und Grading von Tumorerkrankungen (Bericht folgt).

Barth betonte: »Durch pharmazeutische Interventionen und Betreuung werden auch harte Endpunkte für die Krebspatienten verbessert, wie die AMBORA-Studie gezeigt hat.« Durch Medikationsanalysen, Interaktions- und Nebenwirkungsmanagement und nicht zuletzt einer Adhärenz-Beratung komme es zu weniger Therapieunterbrechungen und -abbrüchen, Klinikaufenthalten und sogar weniger Todesfällen bei Krebspatienten.

Neben den medizinisch-ethischen Gründen für eine gute pharmazeutische Beratung sprachen die Referenten auch die pharmakoökonomische Verantwortung der Apotheken an. Die Therapiekosten fingen bei 55.000 Euro im Jahr an. »Da ist es auch finanziell eine Katastrophe, wenn ein Medikament nicht richtig angewendet wird, auch mit allen Folgekosten und indirekten Kosten«, meinte Dartsch und griff damit ein Eingangs-Statement von Hamburgs Kammerpräsident Holger Gnekow auf. Er geht davon aus, dass die Apotheken in Zukunft nicht nur mehr pharmakoökonomische Verantwortung übernehmen, sondern vor allem auch mehr für ihre Beratungsleistung honoriert werden könnten. Daher warb er dafür, sich verstärkt an pharmazeutische Dienstleistungen heranzuwagen.

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