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Onkologie

Die Krebsdiagnose besser verstehen

Was hat es auf sich mit Typing, Grading und Staging? Wann geht eine Erst- in eine Zweitlinien-Therapie über? Und welches Therapieziel wird überhaupt angestrebt? Begriffe, die man braucht, um eine Krebsdiagnose, Leitlinien und Zulassungen besser zu verstehen, erläuterte Apotheker Jürgen Barth bei einer Fortbildung.
AutorKontaktDaniela Hüttemann
Datum 01.03.2024  16:30 Uhr

Krebs – diese Erkrankung macht wohl jedem Angst. Onkologen nehmen sich in der Regel Zeit, um die genaue Diagnose zu erklären. Trotzdem bleiben oft noch Fragen offen oder tauchen später auf. Falls der Patient damit in die Apotheke kommt, sollten auch Pharmazeuten in der Lage sein, die wichtigsten Begriffe zu verstehen und mit dem Patienten darüber zu sprechen.

»Denn nach der genauen Diagnose richtet sich auch die Therapie«, erklärte Apotheker Jürgen Barth, Leiter der StiL-Studienzentrale an der Justus-Liebig-Universität Gießen und spezialisiert auf onkologische Pharmazie. Bei einer gemeinsamen digitalen Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer und DPhG-Landesgruppe Hamburg zur Betreuung von Krebspatienten in der Apotheke erläuterte er die wichtigsten Grundbegriffe.

Krebs ist immer bösartig

Was ist überhaupt Krebs? »Darunter wird immer ein bösartiger Tumor verstanden«, so Barth. Ein Tumor ist eine Geschwulst. Beispiele für gutartige (benigne) Tumoren sind oberflächliche Warzen, Muttermale und Lipome. Die beiden letztgenannten werden primär nicht als Krebs bezeichnet, haben aber ein Entartungspotenzial. »Das wichtigste klinische und histologische Unterscheidungsmerkmal ist die Fähigkeit zur Metastasierung«, so der Referent. »Was metastasiert, ist grundsätzlich bösartig.«

Bei bösartigen Tumoren (Neoplasien) ist das Gleichgewicht aus Wachstum (Proliferation), Spezialisierung (Differenzierung) und Zelltod (Apoptose oder Nekrose) durcheinandergeraten. Dahinter steckt eine Fehlregulation der Genaktivität, meist durch eine oder mehrere Mutationen, die zufällig oder durch externe Noxen zustande kommen. Die Therapie hängt auch davon ab, ob beziehungsweise welche Mutationen vorliegen. Daher wird das Tumorgewebe vor der Therapieentscheidung und auch während des Therapieverlaufs getestet (Typing).

Mutationen seien nicht immer schlecht; sie könnten einen Tumor überhaupt erst angreifbar machen, sagte Barth. Beispiele seien ALK-Fusionsmutationen beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC): Hier kommen ALK-Inhibitoren wie Crizotinib (Xalkori®), Alectinib (Alecensa®) oder Lorlatinib (Lorviqua®) zum Einsatz. Gerade beim NSCLC sei es auch möglich, dass mehrere Mutationen vorliegen, die zum Teil zu Resistenzen führen.

Bildgebung, Biopsie und Blutbild

Bei der Diagnostik werden unterschiedliche Methoden wie Röntgen, MRT und CT verwendet. »Dabei kann ein Tumor erst etwa ab Erbsengröße sichtbar gemacht werden«, informierte Barth. Wichtig für die Diagnose sind zudem eine Biopsie, um das Tumorgewebe genauer zu untersuchen, und ein Blutbild, um etwa nach Tumormarkern zu fahnden.

Die sogenannte Liquid Biopsy, bei der Tumor-DNA im Blut bestimmt wird, eignet sich derzeit noch nicht für den Masseneinsatz in der Früherkennung. Sie werde aber schon genutzt zum Monitoring einer Krebserkrankung, zur Anpassung der Therapie bei Resistenzen oder auch zur Früherkennung eines möglichen Rückfalls (Rezidiv), sagte Barth.

Generell seien Tumormarker mit Vorsicht zu interpretieren. So könne etwa der Wert des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) nicht nur bei Prostatakrebs erhöht sein, sondern auch, wenn der Patient mit dem Fahrrad in die Praxis gefahren ist. Es gibt einige Tumormarker mit therapeutischen Konsequenzen, wie die Wachstumsfaktoren EGFR beim Dickdarmkarzinom und HER2 bei Brustkrebs. Hierbei handelt es sich im engeren Sinne um durch Mutationen entstandene Tumorantigene. Diese sind jedoch nicht tumorexklusiv, sondern überexprimiert und/oder (über-)aktiviert.

Wichtig für die Prognose und Auswahl der Therapie ist das Typing, bei dem die Tumorzellen und ihre Eigenschaften genauer beschrieben werden. Dadurch lässt sich oft auch feststellen, was das Ursprungsgewebe ist, ob also beispielsweise ein Herd in der Lunge ein primärer Lungentumor ist oder eine Metastase eines Tumors in einem anderen Organ.

Grading und Staging

Beim Grading wird der Tumor histologisch charakterisiert und mit gesundem Ausgangsgewebe verglichen – der Schweregrad der Erkrankung wird bestimmt. »Dabei gilt: Je entdifferenzierter der Tumor ist, desto höher ist der Grad und umso schwieriger ist die Erkrankung zu therapieren«, erläuterte Barth.

Neben dem Grading wird auch ein Staging vorgenommen. Dabei wird ein bösartiger Tumor basierend auf der anatomischen Ausbreitung in Stadien eingeteilt. Auch das ist wichtig für Prognose und Therapieplanung. Beim Staging werden solide Tumoren nach dem TNM-System klassifiziert. »T bedeutet Tumorgröße, N steht für Node, also Knoten, womit die örtlichen Lymphknoten gemeint sind, und M sind die Fernmetastasen«, erklärte der Referent. Die Zahl hinter dem N gibt jedoch nicht die Zahl der befallenen Lymphknoten an. Das ist tumorspezifisch festgelegt. Beim Mammakarzinom bedeutet N1 beispielsweise ein bis drei befallene Lymphknoten in der Achsel.

Daraus ergeben sich dann Tumorformeln im Arztbrief wie rpT2pN1M0. Das steht für einen rezidiven (r), pathologisch gesicherten (p) T2-Tumor (also ein gewachsener Tumor) mit pathologisch gesichertem (p) Lymphknotenbefall N1 ohne Metastasenbildung (M Null).

Was ist das Therapieziel?

Nach Typing, Grading und Staging wird das Therapieziel festgelegt, bevor über die dafür am besten geeignete Therapieform entschieden wird. Man unterscheidet zwischen kurativer, adjuvanter, neoadjuvanter, additiver, palliativer und supportiver Therapie.

Die kurative Therapie hat eine Heilung im Sinne einer dauerhaften Tumorfreiheit als Ziel. Das kann mitunter durch Operation, Bestrahlung und Medikamente (oft in Kombination) erreicht werden. Ziel einer adjuvanten (»helfenden«) Therapie ist die Reduktion des Rezidivrisikos. Sie wird beispielsweise häufig bei Brust-, Lungen- und fortgeschrittenem Darmkrebs angewendet. »Auch hier ist man bereit, gewisse Toxizitätsrisiken einzugehen«, so Barth. »Denn wenn der Tumor zurückkommt, hat man meist keine Chance mehr.«

Eine neoadjuvante Therapie wird vor Operationen eingesetzt, um die Tumorlast vor dem Eingriff zu senken (»Down Staging«) oder einen Tumor überhaupt erst operabel zu machen. Unter einer additiven (ergänzenden Therapie) versteht man alle medikamentösen oder radiotherapeutischen Maßnahmen nach einer inkompletten chirurgischen Resektion, also Entfernung des Tumors.

Lebensqualität im Fokus

Ziele einer palliativen Therapie sind die Verlängerung der Überlebenszeit bei nicht heilbaren Erkrankungen und die Linderung tumorbedingter Symptome. Entscheidend sei dabei die Lebensqualität des Patienten, betonte der Apotheker. Um Nebenwirkungen zu vermeiden, wird nicht so intensiv behandelt wie bei einem adjuvanten, neoadjuvanten oder kurativen Ansatz. »Hier wird sehr individuell behandelt und die Bedürfnisse des Patienten stehen im Vordergrund«, so Barth.

Unter einer supportiven (unterstützenden) Therapie versteht man alle Maßnahmen, die nicht direkt den Tumor bekämpfen, zum Beispiel eine parenterale Ernährung bei Tumorkachexie oder die Vorbeugung und Behandlung von Nebenwirkungen der Antitumortherapie. Hier alle Möglichkeiten auszuschöpfen, nennt man »Best Supportive Care«.

In welcher Therapielinie befindet sich der Patient?

Der Einsatz der verschiedenen Medikamente ist durch die zugelassenen Indikationen und durch Leitlinien geregelt. Die erste Behandlung nach Diagnosestellung wird Erstlinientherapie genannt. Innerhalb dieser kann es verschiedene Mittel der ersten, zweiten Wahl et cetera geben. Die neoadjuvante Therapie wird nicht als Erstlinientherapie bezeichnet.

»Muss der Wirkstoff aufgrund von Unverträglichkeit gewechselt werden, spricht man immer noch von Erstlinientherapie«, betonte Barth. Erst wenn eine Remission erreicht war und dann ein Rezidiv auftritt oder ein Tumor unter laufender Therapie weiterwächst oder metastasiert und daraufhin die Therapie umgestellt wird, spricht man von Zweitlinientherapie. Diese Unterscheidung sei wichtig für eine zulassungskonforme oder leitliniengerechte Behandlung. Dabei kann eine leitliniengerechte Therapie unter Umständen auch einen Off-Label-Einsatz erfordern.

Beurteilung der Wirksamkeit

Die Wirksamkeit einer Therapie wird bei soliden Tumoren vor allem über ihren Einfluss auf Größe und Ausdehnung des Tumors bewertet – dafür ist das Staging vor Therapiebeginn wichtig. In klinischen Studien kommen verschiedene Begrifflichkeiten vor. Der laut Barth »wichtigste und härteste Parameter« ist das Gesamtüberleben aller Patienten, das Overall Survival (OS). Das ist die Zeit ab Therapiebeginn bis zum Tod, die durch ein Medikament möglichst ausgedehnt werden soll.

Gängig sind auch die Parameter Gesamtansprechrate, Remissionsdauer und progressionsfreies Überleben. Die Gesamtansprechrate (Overall Response Rate, ORR, auch Remission Rate genannt) ist die Summe der relativen Häufigkeiten von kompletter Remission (CR: das Verschwinden aller nachweisbaren Tumorbefunde für mindestens vier Wochen) und partieller Remission (PR: die Reduktion der Tumormasse um mindestens 50 Prozent für mindestens vier Wochen ohne Neuauftreten von Tumormanifestationen und ohne Progression irgendeines Tumorparameters). »Auch eine Stable Disease (no remission), also keine Verschlechterung der Erkrankung, wird noch als Ansprechen aufgefasst, vor allem bei langsam wachsenden Tumoren«, ergänzte Barth.

Die Remissionsdauer (Duration of Remission, DOR) bezeichnet die Zeit zwischen einer CR oder PR bis zum Auftreten eines Rezidivs oder einer Progression. Das progressionsfreie Überleben (Progression Free Survival, PFS, auch Time to Progression, TTP) steht für die Zeit zwischen dem Therapiebeginn und dem Nachweis einer Progression.

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