Die Folgen der Pest in unserem Genom |
Theo Dingermann |
24.10.2022 15:10 Uhr |
Bei der Analyse der genetischen Merkmale fielen den Forschern zahlreiche genetische Varianten auf, deren Häufigkeit offenbar durch den Selektionsdruck der Pest in der Population angereichert worden war. Dies waren Kandidaten, die möglicherweise mit einer verstärkten Überlebenswahrscheinlichkeit assoziiert waren.
Besonders in den Fokus der Wissenschaftler rückten schließlich vier Genloci, bei denen besonders deutlich auffiel, dass sie je nach ihrer jeweiligen Version entweder eine erhöhte Anfälligkeit oder aber eine bessere Widerstandskraft gegenüber dem Pesterreger vermittelt haben könnten.
Dabei handelte es sich zum einen um das Gen für CTLA4, das sehr prominent an der Immunregulation beteiligt ist, indem es verhindert, dass überschießende aktivierende Signale an T-Zellen vermittelt werden. Ein weiterer Kandidat war das Gen für TICAM2, das an der Signalvermittlung von Toll-like-Rezeptoren beteiligt ist. Ein dritter Kandidat ist das NFATC1-Gen. Das von ihm kodierte Protein nimmt eine zentrale Rolle bei der induzierbaren Gentranskription während der Immunantwort ein.
Am prominentesten fiel jedoch ERAP2 auf. Das von diesem Gen kodierte Protein ist eine Zink-Metalloaminopeptidase, die sich im endoplasmatischen Retikulum befindet und die am Zurechtschneiden antigener Epitope für die Präsentation durch Moleküle des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC) Klasse I beteiligt ist. Personen, die Träger zweier Kopien einer bestimmten Variante von ERAP2 (rs2549794) sind, können vergleichsweise viel dieses Proteins produzieren und daher antigene Peptide sehr effizient generieren.
Dass dies im Falle einer Infektion mit Y. pestis bedeutsam ist, zeigten die Forschenden dadurch, dass Immunzellen, die die aktiven Genkopien von ERAP2 tragen, das Bakterium effektiv eliminieren können. Immunzellen, die keine aktiven Genkopien tragen, kommen mit dem Bakterium deutlich schlechter zurecht.
Dass es sich bei den identifizierten Mutationen tatsächlich um Resultate eines Selektionsereignisses handelt, die nicht aus dem natürlichen genetischen Drift resultieren, zeigten die Forschenden durch den Vergleich mit Mutationen in nichtkodierenden Regionen. Man kann annehmen, dass solche Regionen nicht unter Selektionsdruck geraten, sodass in diesen Regionen Mutationen nur auf Basis eines natürlichen genetischen Drifts entstehen.
Zwar hatte sich der genetische Drift nach der Pestepidemie etwas beschleunigt. Aber 35 der Mutationen in den Immunitätsgenen waren viel schneller aufgetaucht als dies in den neutralen Regionen der Fall war, sodass sie nur das Ergebnis eines natürliches Ausleseprozesses gewesen sein konnten.
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