»Die aktuelle Krebstherapie ist im Grunde unzumutbar« |
| Daniela Hüttemann |
| 15.02.2024 09:00 Uhr |
Etwa eines von 330 Kindern erkrankt vor seinem 18. Geburtstag an Krebs. Am häufigsten sind Leukämien, Lymphome und Hirntumore. / Foto: Getty Images/FatCamera
Krebs im Kindes- und Jugendalter ist insgesamt selten. Nach Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters erkranken aber jedes Jahr rund 2200 Minderjährige neu an Krebs. »Das bedeutet, dass etwa 1 von 330 Neugeborenen bis zum 18. Lebensjahr an Krebs erkrankt«, erläutert der Krebsinformationsdienst. Am häufigsten treten Leukämien (30 Prozent), Tumoren des zentralen Nervensystems (24 Prozent) und Lymphome (15 Prozent) auf.
Die Heilungschancen sind gut: Acht von zehn Kindern überleben ihre Krebserkrankung länger als 15 Jahre nach Diagnose, allerdings sind die Heilungsraten abhängig von der Krebsart. Grundsätzlich werden alle Kinder im Rahmen von klinischen Studien behandelt, wobei dies nicht bedeutet, dass neue Verfahren getestet werden. Vielmehr handelt es sich um sogenannte Therapie-Optimierungs-Studien. »Dies bedeutet, dass alle jungen Patienten nach einheitlichen Standards die jeweils beste Behandlung erhalten, vielleicht aber in einer neuen Kombination oder mit anderen, kleineren Verbesserungen«, erklärt der Krebsinformationsdienst.
Trotzdem: »Die aktuelle Krebstherapie bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen, ist im Grunde unzumutbar«, findet Rössig, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Münster, in einem Interview der José-Carreras-Leukämie-Stiftung zum Internationalen Kinderkrebstag am 15. Februar. Sie fordert mehr Forschung und den Zugang zu neuen Therapiemöglichkeiten. Die Standardtherapie besteht je nach genauer Erkrankung aus Operation, Chemo- und Strahlentherapie; bei Blutkrebs gegebenenfalls auch eine Knochenmarktransplantation.
»Die heutige Krebstherapie beruht auf dem Prinzip, dass alle Zellen im menschlichen Körper, die sich schnell teilen, vernichtet werden«, erläutert Rössig das Grundprinzip von Chemo- und Strahlentherapie. »Keine Zelle teilt sich so schnell wie eine Krebszelle, aber durch die herkömmlichen Therapien wird insbesondere bei Kindern ein immenser Flurschaden angerichtet.«
So werde durch die Chemotherapie oft die Blutbildung beeinträchtigt. Die Patienten hätten über einen längeren Zeitraum keine Abwehrkräfte und könnten sich nicht gegen Infektionen wehren. In vielen Fällen würden insbesondere die Schleimhäute zerstört. »Man kann es wirklich kaum ertragen«, berichtet Rössig aus dem Klinikalltag, obwohl »ohne Frage diese Form der Therapie sehr erfolgreich bei der Zerstörung der Krebszellen« sei.
»Viele Kinder und Jugendliche heilen wir zwar mit dieser Therapie, aber die Nebenwirkungen sind eine schwere Belastung für die jungen Patienten«, so die Kinderonkologin. Es komme häufig zu Spätfolgen, zum Beispiel, dass Kinder einen Hörschaden erleiden oder nicht gut wachsen. »Meistens haben die Kinder irgendeinen messbaren Schaden, insbesondere nach einer Knochenmarktransplantation. Wir suchen deshalb nach Alternativen, die zum einen wirksam sind, also die Krebszellen vernichten, aber vor allem nicht diese schwerwiegenden Spätfolgen verursachen. Wir wollen die Kinder nicht nur gesund machen, sondern auch die Qualität des Überlebens verbessern.«
Im Frühling soll eine klinische Studie starten, die die CAR-T-Zelltherapie bei pädiatrischen Leukämie- und Tumorpatienten untersuchen soll. Rössig leitet eine entsprechende Arbeitsgruppe mit Forschenden der Universitäten Münster, Erlangen, Hannover und Regensburg.
Grundsätzlich wünscht sie sich mehr und präzisere Therapiemöglichkeiten. Dazu müssten die krebsauslösenden Mechanismen noch besser verstanden werden. »Wir müssen die Achillesferse der Krebszelle finden, um wirksame Therapien zu entwickeln«, fordert die Expertin. »Wir wollen weg vom Schrotschuss Chemotherapie. Die Therapie der Zukunft wird eine Kombination aus Chemotherapie, Immuntherapie und eben dieser ,Achillesfersen-Therapie‘ sein, die den Krebs nachhaltig bekämpft, aber möglichst wenige Nebenwirkungen auslöst.«
Zum internationalen Kinderkrebstag äußerte sich auch der Arzt und Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, ähnlich: Die personalisierte Krebstherapie stelle auch bei Kindern die Zukunft dar. Auch er nannte die CAR-T-Zelltherapie bei Leukämien als Beispiel. Ullmann forderte mehr Anreize für die Weiterentwicklung der Versorgung und Forschung, auch durch eine AMNOG-Reformierung.
Ullmann: »Die derzeitige AMNOG-Gesetzgebung, speziell in Bezug auf sogenannte Orphan Drugs für seltene Entitäten, könnte die Entwicklung und Verfügbarkeit personalisierter Therapien behindern.« In kleinen Patientengruppen sei eine neue Form der Nutzenbewertung erforderlich, um die spezifischen Bedürfnisse dieser Patienten angemessen zu berücksichtigen.