Diabetiker besonders gefährdet bei Hitze |
Sven Siebenand |
10.11.2021 15:30 Uhr |
Diabetiker steuern einen überproportional großen Anteil an der Gesundheitslast des Klimawandels bei, da sie wegen ihrer eingeschränkten Fähigkeit zur Wärmeregulation eine signifikant erhöhte Hitzemorbidität und Mortalität aufweisen. / Foto: Getty Images/gece33
Gegen Ende des 21. Jahrhunderts wird ohne Gegensteuerung durch ausreichende klimapolitische Maßnahmen eine globale Mitteltemperatur um 4 Grad Celsius steigen, Deutschland liegt nach aktuellen Berechnungen deutlich über dem weltweiten Durchschnitt mit einem Plus von fast 6 Grad Celsius. Zudem ist davon auszugehen, dass auch extreme Wetterlagen wie Hitzewellen an Häufigkeit, Dauer und Stärke zunehmen werden. Gleichzeitig wird vermutlich auch die Diabetesprävalenz deutlich zunehmen.
Das ist keine gute Kombination. Professor Dr. Rainer Sauerborn vom Universitätsklinikum Heidelberg sprach bei der Herbsttagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft von zwei auf Kollisionskurs zurollenden Zügen. Denn Menschen mit Diabetes haben eine erhöhte hitzebedingte Morbidität und Mortalität. Deshalb schütze eine gute Klimapolitik Diabetiker. Und umgekehrt helfen Diabetesprävention und gut eingestellte Diabetiker dem Klima via geringerem CO2-Fußabdruck, so Sauerborn.
Die Ursachen der Vulnerabilität von Diabetikern bei Hitze sind einerseits in der gestörten Vasodilatation und damit in der reduzierten trockenen Wärmeabgabe und andererseits im gestörtem Schwitzen und damit in der reduzierten feuchten Wärmeabgabe zu suchen. Beides resultiert aus einer gestörten regulatorischen Kontrolle – sowohl peripher als auch zentral. Die Aktivität sympathischer Nervenbahnen scheint bei Menschen mit Diabetes mellitus herabgesetzt. Sowohl die Funktion der Schweißdrüsen als auch die Einstellung der Blutgefäßspannung sind dadurch massiv beeinträchtigt. Sauerborn fasste zusammen, dass Diabetiker zu spät, zu langsam und insgesamt zu schwach auf Hitze reagieren.
Die Hitzeanpassung bei Diabetikern ist dem Experten zufolge noch schlechter, wenn Komorbiditäten wie periphere Neuropathie oder Adipositas hinzukommen. Letzteres lässt sich mit dem ungünstigeren Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen erklären: Die Oberfläche für trockenen Hitzeaustausch ist bei Menschen mit Adipositas relativ zum Volumen kleiner als bei Menschen mit Normalgewicht.
Wie Dr. Lena Marie Jakob vom St. Josefskrankenhaus Heidelberg deutlich machte, sind insbesondere insulinpflichtige Diabetiker bei heißen Temperaturen gefährdet. Es gelte zu bedenken, dass bei warmem Wetter die Insulinwirkung viel schneller eintritt und das Risiko einer Hypoglykämie dadurch erhöht sein kann.
Zu den Empfehlungen zur Prävention einer Unterzuckerung in Hitzeperioden zähle an erster Stelle die Aufklärung der Patienten. Diese sollen häufiger Blutzucker messen, die Symptome einer Hypoglykämie gut kennen und diese Symptome nicht fälschlicherweise der Hitze zuordnen. Ärzte sollten vor einer Hitzeperiode gegebenenfalls die Insulindosis anpassen beziehungsweise mit den Patienten besprechen, wie viel Insulin sie in einer Hitzeperiode spritzen sollen.
Jakob machte auch deutlich, dass es in einer Hitzeperiode auch zur Hyperglykämie und Ketoazidose kommen kann. Wichtiger Grund dafür ist die Temperatursensibilität von Insulin. Patienten sollten ihren Insulinvorrat bei 2 bis 8 Grad Celsius im Kühlschrank lagern und Pens, die sie gerade in Gebrauch haben, gut vor Hitze schützen. Neben der Verwendung von Kühltaschen (cave: direkten Kontakt von Insulin mit Kühlakkus vermeiden) gibt es dafür mittlerweile auch Temperaturschutzkappen für Pens. Insulinpumpenträgern riet die Medizinerin, die Pumpe unter der Kleidung und körpernah zu tragen.
Verliert Insulin unter Hitzeeinwirkung unerkannt seine Wirksamkeit, kann dies in einer Überzuckerung und Ketoazidose münden. Deshalb ist es wichtig, dass Diabetiker auch die Symptome einer Ketoazidose, etwa starker Durst, Müdigkeit, trockener Mund, kennen und diese nicht irrtümlicherweise auf die Wärme zurückführen. Sie sollten bei hohen Blutzuckerwerten auf Ketonkörper testen und zusätzlich auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr achten.