Der Weitblick fehlt |
Bewegung an der frischen Luft entspannt – auch den Augapfel. / Foto: Adobe Stock/Christian Schwier
Aufgrund der Pandemie verbringen Kinder wie Erwachsene mehr Zeit am Bildschirm und dadurch mehr Zeit mit Sehen im Nahbereich. Ständige Nahsicht durch Homeoffice und -schooling führt zu einem vermehrten Längenwachstum des Augapfels, um in der Nähe nicht laufend akkommodieren zu müssen.
Was Homeschooling und Wechselunterricht und der stetige Blick nicht etwa auf die Tafel in einigen Metern Entfernung, sondern auf das nur Zentimeter entfernte Computerdisplay oder Handy in der Freizeit und auch während der Schulzeit für die jungen Menschen bedeutet, ist bislang nicht klar. Die Experten gehen aber von einer starken Zunahme der Kurzsichtigkeit, auch Myopie genannt, durch diese forcierte Naharbeit aus. Bereits von einer »Quarantäne-Kurzsichtigkeit« ist die Rede.
Dabei gebe es eine wirksame Gegenmaßnahme: »Die Kinder müssen raus! Wer sich täglich mindestens zwei Stunden täglich im Freien aufhält und bewegt, kann dem vorbeugen«, rät Professor Dr. Norbert Pfeiffer, Direktor der Universitäts-Augenklinik Mainz bei einer Online-Pressekonferenz der Stiftung Auge der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Durch den Blick in die Ferne könne sich der Augapfel wieder entspannen.
Derzeit sei rund ein Drittel der Deutschen kurzsichtig, informierte Pfeiffer. Doch die Rate könnte sich durch die Pandemie erhöhen. Er und seine Kollegen haben in einer Untersuchung mit mehr als 15.000 gesunden Probanden vor der Pandemie herausgefunden, dass alle der rund 30 Gene, welche Kurzsichtigkeit bewirken, zusammen weniger Einfluss haben als die Dauer der Schulausbildung. »Für jedes Jahr, das wir in die Schule gehen, werden wir ein bisschen kurzsichtiger«, meinte Pfeiffer. Nahm man bisher an, dass dieser Prozess etwa mit dem 18. Lebensjahr abgeschlossen ist, zeigten die Ergebnisse aber auch auf, dass die Berufswahl beziehungsweise die Länge der weiteren Berufsausbildung einen starken Einfluss auf das Kurzsichtigwerden haben: »Je höher der Bildungsabschluss, umso stärker die Kurzsichtigkeit.«
Beobachtungen aus asiatischen Ländern bestätigen diese Studienergebnisse. Asiaten neigen stärker zur Kurzsichtigkeit. »Dort gibt es Rekrutenjahrgänge, bei denen 90 Prozent eine Brille für die Ferne tragen«, sagte Pfeiffer. Das habe nicht nur genetische Gründe, sondern liege vor allem daran, dass die Kinder früher eingeschult und somit früher mit Naharbeit konfrontiert werden. Die Folgen bestehen nicht nur im Tragen einer Brille oder von Kontaktlinsen. Bei einer Myopie ist vor allem das spätere Risiko für eine Netzhautablösung, eine altersabhängige Makuladegeneration und ein Glaukom deutlich erhöht.
Sich täglich zwei Stunden im Freien zu bewegen, wirke der Myopisierung entgegen. Ob dabei das Schweifen des Blickes in die Ferne, die Bewegung oder auch die Lichtexposition behilflich seien, sei noch nicht ganz klar. Tatsache ist, dass in Wohnräumen eine Lichtstärke von etwa 200 Lux herrschten, ein trüber Tag draußen bringt es auf etwa zehnmal so viele und ein Sonnentag auf etwa 20.000 bis 30.000 Lux. Bei wenig Licht wird die Pupille erweitert und die Tiefenschärfe nimmt ab, das Sehen wird anstrengender, informiert die Stiftung Augengesundheit.
Häufige Naharbeit zieht noch ein zweites Phänomen nach sich: das Sicca-Syndrom (siehe Kasten). Nur sehr selten ist hierfür eine zu geringe Tränenproduktion Ursache, eine sekretorisch-wässrige Störung mit vermindertem Tränenvolumen. Weitaus häufiger liegt trockenen Augen ein gesteigerter Verlust der Tränenflüssigkeit, eine vermehrte Verdunstung, die evaporative Form aufgrund einer Beeinträchtigung der schützenden Lipidschicht zugrunde.
Hier helfen künstliche Tränen weiter. Sie enthalten Polymere, die auf dem Auge mehr oder weniger lange haften und den wässrigen Anteil des Tränenfilms steigern. Sie verringern die Tränenfilmosmolarität und reduzieren die Scherkräfte beim Blinzeln. Das allein dämpft den mechanisch bedingten Entzündungsschub und sorgt für Entspannung. Je nach Polymerisationsgrad unterscheiden sie sich in ihrer Viskosität.
Häufige Bildschirmarbeit verschlechtert die Bedingungen für das Auge, unter denen es arbeiten muss - und zwar auf vielerlei Weise:
Niedrigviskose Tränenersatzmittel enthalten zum Beispiel synthetische Polymere wie Polyvinylpyrrolidon oder Polyvinylalkohole (wie Liquifilm®, Vidisept®, Oculotect® fluid/sine PVD®) und sind eher etwas für leichtere Beschwerden. Höher viskose Filmbildner wie das Cellulosederivat Hypromellose (wie Berberil® DryEye, Sic-Ophthal®) oder Natriumcarboxymethylcellulose (wie Optive®) sowie Polyacrylsäuren/Carbomere (wie Lac®-Ophthal® Gel) schmieren besser und sind für ausgeprägtere Beschwerden gedacht. Bestehen bereits Epithelveränderungen, sind Gele zu empfehlen, so etwa mit höher viskoser Hyaluronsäure (wie Hylo-Comod®, Biolan® Gel, Artelac® Rebalance). Auch Ophthalmika mit Dexpanthenol oder Vitamin A (wie Oculotect® Gel) tragen zur Regeneration bei. Die Hyaluronsäure kann man genauso wie Cellulosederivate in ihrer Viskosität variieren.
Anwendungsfreundlicher zeigen sich wässrige Präparate, die durch eine spezielle Galenik erst im Auge zähflüssig werden (wie Systane® Balance, -Ultra). Die Tropfen enthalten viskositätserhöhende Zusätze aus natürlichen Rohstoffen wie Polysaccharide wie das aus Guar-Gummi gewonnene Hydroxypropylguar. In Verbindung mit der Tränenflüssigkeit und dem ebenfalls enthaltenen Propylenglykol bildet es auf der Augenoberfläche ein Mucin-artiges Gel aus, und zwar ohne dass den Patienten Schlieren stören. Genau umgekehrt funktionieren Augengele mit Naturstoffen wie dem Tamarindensamen-Polysaccharid. Das viskose Gel verflüssigt sich im Auge beziehungsweise beim Lidschlag (wie Visine® müde Augen).
Sicca-Patienten, bei denen eher die Lipidschicht des Tränenfilms gestört ist, profitieren von einem Tränenersatzmittel mit Lipidzusatz. Das können Perfluuorhexyloctan (EvoTears®), Triglyceride (Artelac Lipids®) oder Phospholipide (wie Systane® Balance) sein. Letztere können nicht nur getropft, sondern auch aufgesprüht werden. Und zwar mit Sprays, in denen die Phospholipide in Liposomen verpackt vorliegen (wie Tears Again®, Omnitears® Lidspray, Lipo Nit®).
»Diese Applikationsform hat sich als besonders kinderfreundlich erwiesen, da diese keine Manipulationen am Auge erforderlich machen«, informiert Dr. Ulrich Enzel, Kinder- und Jugendarzt aus Heilbronn und zahlreichen Apothekern und PTA von Fortbildungen bekannt. »Für ein erfolgreiches Einbringen von Augentropfen sollte die Lidspalte geöffnet sein, und diese Manipulation an den Lidern werde von Kindern üblicherweise als unangenehm, wenn nicht gar bedrohlich empfunden. Augensprays dagegen können auf die geschlossenen Augen appliziert werden. Eine Reflex-Gegenwehr unterbleibt. Im Gegenteil: Kinder empfinden diesen »kleinen Regen auf das Auge« häufig als angenehm«.