Der Staat soll die Boni-Sünder stoppen |
Alexander Müller |
23.09.2025 13:00 Uhr |
Die Paritätische Stelle von GKV-SV und DAV soll Verstöße der Versender gegen die Preisregeln sanktionieren. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will den Vertragspartnern helfen, die Daumenschrauben gegenüber den Versendern anzuziehen. / © IMAGO/dts Nachrichtenagentur
Beim Deutschen Apothekertag (DAT) hat sich ABDA-Präsident Thomas Preis erneut über das »systemzerstörerische Geschäftsgebaren ausländischer Versandhändler« echauffiert. Wer sich nicht an Recht und Gesetz halte, müsse von der Belieferung der GKV-Versicherten in Deutschland ausgeschlossen werden, forderte er.
In der anschließenden Diskussionsrunde verwies Ministerin Warken auf die sogenannte Paritätische Stelle des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) und des Deutschen Apothekerverbands (DAV). »Aktuell ist es Aufgabe dieses gemeinsamen Gremiums. Ich will jetzt nicht nur den Ball zurückspielen, aber es besteht heute die Möglichkeit, dass die GKV und die Apothekerschaft gegen diese Rechtsbrüche vorgehen«, so die Ministerin im Gespräch mit der PZ. Auf die Nachfrage, ob sie den Vertragspartnern den Rücken stärke, die Daumenschrauben gegenüber den Versendern anzuziehen und sie aus der Versorgung auszuschließen, sagte Warken: »Ja.«
Preis konterte im PZ-Doppelinterview: »Wenn das so einfach wäre. Es geht um die Drohung von Schadenersatzforderungen, die weder der DAV bezahlen könnte noch der GKV-Spitzenverband.« Das Einhalten von Verordnungen sei Aufgabe des Staates und könne nicht subsidiär gelöst werden. Die ABDA will der Politik nun einen Vorschlag machen, damit die Sanktionierung von Verstößen gegen geltendes Recht wieder eindeutig staatliche Aufgabe ist.
Richtig ernst genommen haben die EU-Versender das Rx-Boni-Verbot nie. Und sie fühlten sich vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Jahr 2016 bestätigt, dass sie sich nicht an die deutschen Preisvorschriften halten müssen.
Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sträubte sich zwar dagegen, das im Koalitionsvertrag vorgesehene Rx-Versandverbot umzusetzen, fand aber im Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) 2020 zumindest im GKV-Bereich eine Neuregelung für das Boni-Verbot. Dieses wurde in das Sozialgesetzbuch (SGB) umgezogen und damit der EU-Rechtsprechung weitgehend entzogen.
In § 129 Absatz 3 ist jetzt geregelt, dass mit den Krankenkassen nur abrechnen darf, wer dem Rahmenvertrag beigetreten ist, sich an die Preisbindung hält und Versicherten keine Zuwendungen gewährt.
Doch Shop-Apotheke, Doc Morris & Co. werfen insbesondere seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) am 17. Juli dieses Jahres mit Rabatten um sich. Die Karlsruher Richter haben sich in dem langjährigen Verfahren zwar explizit nur mit dem alten Boni-Verbot im § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) befasst, aber die Versender sehen die Entscheidung trotzdem als Freibrief und überbieten sich in der Gewährung von Rabatten beim Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel.
Das ist eindeutig illegal und könnte sanktioniert werden – nur von wem? Ex-Gesundheitsminister Spahn hat den Ball mit dem VOASG seinerzeit ins Feld der Selbstverwaltung gespielt. GKV-SV und DAV haben wie vorgesehen eine Paritätische Stelle mit je drei Mitgliedern besetzt, die gegen etwaige Verstöße vorgehen und Sanktionen verhängen soll.
Der angepasste Rahmenvertrag sieht in § 27 konkrete Vertragsmaßnahmen vor. Bei gröblichen oder wiederholten Verstößen gegen das Boni-Verbot gemäß § 129 SGB V können Vertragsstrafen von bis zu 50.000 Euro für jeden Verstoß verhängt werden. Für gleichgeartete und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang begangene Verstöße darf die Gesamtstrafe 250.000 Euro nicht überschreiten.
Der Rahmenvertrag sieht neben Verwarnungen und Vertragsstrafen sogar den Ausschluss aus der Versorgung für zwei Jahre als Sanktion vor. So steht es analog im § 129 SGB V: »Bei gröblichen und wiederholten Verstößen ist vorzusehen, dass Apotheken von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren ausgeschlossen werden können.«
Das Problem mit der Durchsetzung besteht in den Haftungsfragen. Im Rahmenvertrag heißt es: »Das Haftungsrisiko tragen der GKV-Spitzenverband und der DAV je nach den Stimmanteilen der für die Entscheidung maßgeblichen Mitglieder, die den Antrag für begründet halten und die sich zugleich für die konkrete (gegenüber der Apotheke verhängten) oder eine höhere Strafe ausgesprochen haben.«
Hierin sehen Juristen das Risiko, dass ein Versender gegen die Sanktion klagen und im Erfolgsfall sogar Schadenersatz für vermeintlich entgangene Gewinne fordern könnte. Doc Morris hat genau das in einem Verfahren gegen die Apothekerkammer Nordrhein tatsächlich schon getan, der Fall ist nicht abschließend entschieden.
Der DAV hat zur Haftungsfrage ein Rechtsgutachten erstellen lassen, das eine persönliche Haftung der Mitglieder der Paritätischen Stelle zumindest nicht ausschließt. Das Problem liegt demnach in handwerklichen Fehlern in der Errichtung. Anders als beispielsweise beim Nacht- und Notdienstfonds (NNF) mit einer Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) ist bei der Paritätischen Stelle fraglich, ob eine gesetzliche Beleihung für die Rechtspflege gegeben ist. In diesem Fall würde der Staat haften.
Die Krankenkassen würden sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts hier zwar leichter tun als der DAV e.V., haben aber bislang wenig Ansporn erkennen lassen, gegen die Verstöße vorzugehen. Zwar verweisen auch sie auf die Gültigkeit der Preisbindung, lassen die Versender aber bislang gewähren.
Aus Sicht von Rechtsanwalt Joachim Wüst ist Untätigkeit der Paritätischen Stelle in diesem Fall sogar selbst gesetzeswidrig. Wer mit den Kassen abrechne, müsse sich an den Rahmenvertrag halten. »Macht er dies nicht, muss er die Konsequenzen tragen, die der Rahmenvertrag dafür vorsieht«, heißt es in einem Schreiben des Anwalts, der unter anderem ans BMG verschickt wurde. Selbst das Risiko einer Haftung für eine verhängte Geldstrafe hält Wüst für hinnehmbar – angesichts der Schäden, die die Versender im Apothekenmarkt anrichteten.
Gleichzeitig liegt auf der Hand, dass die Versender jede ausgesprochene Strafe mit allen Mitteln angreifen würden. Doc Morris war sogar gegen die Gründung der Paritätischen Stelle vorgegangen und wollte Sanktionen prophylaktisch verbieten lassen. Doch das Sozialgericht Berlin wies den niederländischen Versender Ende 2021 ab. Wenn überhaupt, könne DocMorris gegen verhängte Sanktionen klagen.
ABDA-Präsident Preis sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: »Wir brauchen dringend eine Nachjustierung.« Ministerin Warken will sich nicht aus der Verantwortung stehlen: »Es braucht einen Mix: Man muss die bestehenden Gesetze besser durchsetzen und prüfen, ob man nachjustieren muss, wo es Lücken gibt. Und wir müssen die Rahmenbedingungen für die Versandapotheken noch enger gestalten, um den Spielraum einzuschränken«, sagte sie beim DAT.