Das sind die Ideen des BfArM gegen Lieferengpässe |
Melanie Höhn |
16.03.2022 14:30 Uhr |
Kritische Lieferketten von Herstellern zeigt das aktuelle Beispiel des Brustkrebsmedikaments Tamoxifen. / Foto: Fotolia/Minerva Studio
Für eine sichere Arzneimittelversorgung sei es entscheidend, Abhängigkeiten zu reduzieren – sowohl von Herstellern, als auch von Regionen, sagt Michael Horn vom BfArM. Denn: Konzentrationsprozesse der Industrie und Versorgungsengpässe können eine Gefahr für die Arzneimitteltherapie von Patienten darstellen, erläutert Horn und ergänzt: »Wir stehen seit Jahren in einem Konzentrationsprozess, sowohl was die Verfügbarkeit von Zulassungen angeht, aber auch was die Anzahl von Produktionsstätten angeht.«
Kritische Lieferketten von Herstellern zeige das aktuelle Beispiel des Brustkrebsmedikaments Tamoxifen. Aus ursprünglich acht Unternehmen, die Tamoxifen in Verkehr gebracht haben, seien inzwischen nur noch drei übrig. Durch Anordnungen des BfArM zur kontingentierten Abgabe sowie zur täglichen Übermittlung der Produktions- und Lagerdaten der Unternehmen – inklusive Importen des Bundesministeriums für Gesundheit – konnten über fünf Millionen Tabletten zusätzlich in den Markt gebracht werden. Zudem wurden Produktionen von der Industrie vorgezogen.
Beim Thema Lieferengpässe geht Horn weiterhin auf die Abhängigkeit von Regionen und die Anfälligkeit von Handelsbeziehungen, »die gestern noch solide und zukunftsträchtig aussahen«, ein – dies zeige der Krieg in der Ukraine. Im Moment sei die Versorgungssituation in Deutschland nicht gefährdet. Doch die Europäische Union müsse sich Gedanken machen, wie sie sich für wichtige Arzneistoffe unabhängiger aufstellt. Das BfArM prüfe »immer sehr genau, welche Regionen betroffen sind und was das für unsere Versorgung in Deutschland bedeutet«, sagt er.
Auch die erste Welle der Covid-19-Pandemie habe Schwachstellen in der Versorgung und Abhängigkeiten von Regionen offengelegt: Transportprobleme am verstopften Suez-Kanal oder zeitweise Exporteinschränkungen bei Drittstaaten. Weil die Industrie und der Gesetzgeber eigeninitiativ Maßnahmen ergriffen hätten, sei Deutschland durch die zweite Welle der Corona-Pandemie in Bezug auf die Arzneimittelversorgung gut hindurchgekommen.
Für das BfArM ist Lieferengpassmanagement nichts Neues. Schon im Jahr 2016 begann das Bundesinstitut mit einem Jour fixe zum Thema Liefer- und Versorgungsengpässe. Im Jahr 2017 wurde dann ein neues Meldeverfahren sowie eine Lieferengpass-Datenbank eingeführt. »Ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt« war laut Horn der 1. April 2020, als im Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) verschiedene Maßnahmen umgesetzt wurden, die den Bundesoberbehörden einen legalen Rahmen gaben, sich mit dem Thema Versorgungsengpässe zu beschäftigen. Dieses Gesetz habe dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und dem BfArM zum Beispiel die Möglichkeit gegeben, Maßnahmen zur kontingentierten Abgabe anordnen können, »sodass wir sehr schnell bei drohenden Lieferengpässen aus einer zentralen Position heraus agieren können«, sagt Horn. Daten zur Produktion und zur Lagerhaltung von den Unternehmen können seitdem aus einer gesetzlichen Basis heraus angefordert werden. Weiterhin hat das BfArM im Jahr 2021 ein Lieferengpass-Portal aufgebaut.
Generelle Lösungsansätze beim Thema Lieferengpässe sehen für Horn so aus, dass an einer Diversifizierung in Bezug auf die Herstellervielfalt gearbeitet werden müsse – dies betreffe die Anzahl der Hersteller, aber auch die Regionen, aus denen Produkte bezogen werden. Zudem müsse ein breites therapeutisches Spektrum erhalten werden: »Es ist gut, einen bunten Blumenstrauß an Alternativen zu haben, die dann auch verfügbar gemacht werden können«, sagt Horn. Weiterhin sei es essenziell, die Arzneimittelstrategie für Europa der Europäischen Kommission umzusetzen. Diese sei »jetzt im Beginn, mit Leben gefüllt zu werden«. Darin gehe es unter anderem um diversifizierte und sichere Lieferketten, ökologisch nachhaltige Arzneimittel oder Mechanismen der Krisenvorsorge- und –reaktion oder die Stärkung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Im März 2022 bekam die EMA ihr erweitertes Mandat: Damit soll ihre Rolle gestärkt werden, was das Krisenmanagement und die Krisenvorsorge bei drohenden Versorgungsengpässen angeht. Sie soll Arzneimittelengpässe überwachen und bei kritischen Medikamenten Engpässe während einer Krise melden. Parallel dazu soll das Programm EU4Health von der Europäischen Kommission, an dem auch das BfArM beteiligt ist, die Versorgungslage verbessern.
Dennoch dürfe man sich nicht nur darauf verlassen, »dass irgendwo in der Europäischen Kommission die richtigen Weichenstellungen gesetzt werden, sondern jeder muss immer bei sich selber anfangen und schauen, was kann ich dazu beitragen, um die Versorgungssituation zu verbessern«, sagt Horn. Deshalb will sich das BfArM künftig nachhaltig aktiv auf nationaler und europäischer Ebene dafür einsetzen, dass sich die Versorgungssituation in Deutschland verbessert. Das BfArM-Projekt »Koordinierung der Produktion wichtiger Wirkstoffe« widmet sich potenziellen Sollbruchstellen im System und Problemen in der Grundversorgung. Außerdem rückt in diesem Projekt die Schwachstellenanalyse für wichtige Wirkstoffe und die Bedarfsermittlung der Kapazitäten der Wirkstoff- und Intermediate-Herstellung in den Fokus.
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