| Cornelia Dölger |
| 22.12.2022 11:45 Uhr |
Weil die Corona-Infektionszahlen in China in die Höhe geschossen sind, beansprucht das Land wichtige Arzneimittel derzeit erst einmal für sich selbst, weshalb die Behörden beschlossen haben, die Ausfuhr von Ibuprofen und Paracetamol zunächst einzustellen. / Foto: imago images/MiS
Wie Franceinfo.fr am heutigen Donnerstag berichtet, haben die grassierenden Coronavirus-Infektionen in China dazu geführt, dass das Land vor einem akuten Mangel an Medikamenten mit Ibuprofen und Paracetamol steht. Seit demnach vor gut zwei Wochen die rigide »Null-Covid«-Politik gelockert wurde, schossen die Infektionsraten in die Höhe. In der Folge schnellte auch die Nachfrage nach den Präparaten hoch, was den normalen Produktionsbetrieb auf den Kopf stellte. Die Behörden hätten deshalb kurzfristig beschlossen, die Ausfuhr der wichtigen Medikamente einzustellen. Woher diese Informationen stammen, meldet Franceinfo allerdings nicht. Auch offizielle Bestätigungen gibt es bislang nicht.
Die Fabriken arbeiteten derzeit nicht größtenteils für den Export wie sonst üblich, sondern müssten zunächst die unvorhergesehene Nachfrage aus dem Inland befriedigen. Auf diese waren die chinesischen Behörden nicht vorbereitet, heißt es. »Nach der Aufhebung der Gesundheitsbeschränkungen war die Nachfrage plötzlich sehr hoch«, zitiert die Zeitung den Werksleiter einer Fabrik in der Nähe von Peking. Die Mannschaft arbeite auf Hochtouren.
Um die Inlandsversorgung zu sichern, habe einer der wichtigsten staatlichen Pharmakonzerne, Sinopharm, mit der Mobilisierung aller seiner Tochtergesellschaften begonnen, heißt es weiter. Dutzende Speziallastwagen mit mehr als 100.000 Medikamentenkisten an Bord seien in die Hauptstadt geschickt worden. Auf der Website des Konzerns finden sich dazu allerdings keine Informationen. Und nicht nur das: Wie das Portal weiter berichtet, hat China darüber hinaus damit begonnen, die dringend benötigten Medikamente im Ausland einzukaufen – für den Eigenbedarf.
Das Problem hatte sich offenbar abgezeichnet. Wie das Portal Global Times bereits vor zwei Tagen berichtete, hatte Chinas Regulierungsbehörde für Medizinprodukte, die National Medical Products Administration (NMPA), zuvor angekündigt, bei steigendem Bedarf entsprechende Produktionskapazitäten freizugeben. Darüber habe das chinesische Staatfernsehen berichtet. Der Behörde zufolge sei die Rohstoffversorgung für Paracetamol und Ibuprofen ausreichend. Laut NMPA-Daten besitzen demnach 446 inländische Unternehmen Produktionslizenzen für die Herstellung von Ibuprofen, von denen 104 im Jahr 2021 in Betrieb gewesen seien; 986 Unternehmen dürfen demnach Paracetamol herstellen, wobei seit 2021 111 Unternehmen in Betrieb seien.
Der Bericht der Behörde habe weiterhin versucht, die Situation als relativ entspannt darzustellen, indem er auf die große Durchschlagskraft der Pharmahersteller verwies. So verfüge Shandong Xinhua Pharmaceutical Co., einer von zwei Ibuprofen-Herstellern in China, über eine Jahreskapazität von 8.000 Tonnen für Ibuprofen-Rohstoffe – was weit über dem Volumen der Inlandsnachfrage der vergangenen Jahre liege. Das Unternehmen Anqiu Lu'an Pharmaceutical Co. könne fast 30.000 Tonnen Paracetamol-Rohstoff produzieren, doppelt so viel wie die derzeitige Inlandsnachfrage, zitiert Global Times den Bericht.
Nach dem Ende der strengen Corona-Maßnahmen wies zudem der Epidemiologe und Gesundheitsökonom Eric Feigl-Ding laut dem Nachrichtenportal livemint.com darauf hin, dass das Land mit einem Mangel an grundlegenden Ibuprofen-Medikamenten konfrontiert sei. Die Menschen seien gezwungen, direkt zu den Fabriken des Herstellers zu gehen und in einer langen Schlange darauf zu warten. Feigl-Ding warnte davor, dass ein globaler Mangel die Folge sein könnte.
Der Branchenverband Pro Generika reagierte überrascht auf die Entwicklung aus China, zeigte sich aber nicht alarmiert. »Wir wissen derzeit nichts von amtlichen Exportstopps in China«, so eine Sprecherin auf PZ-Anfrage. »Doch selbst wenn es solche gibt, erwarten wir kurzfristig keine Einschränkung unserer Arzneimittelversorgung.« Denn die Produktion der beiden Wirkstoffe finde schwerpunktmäßig in anderen Weltregionen statt – vor allem in Indien und, was Ibuprofen angehe, auch in den USA. Nachfragen der PZ beim Bundesgesundheitsministerium sowie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) blieben bislang unbeantwortet.
In der Ibuprofen-Versorgung dürfte die Abhängigkeit von China also nicht allzu groß sein. Hier ist der deutsche Chemiekonzern BASF einer der weltweit wichtigsten Lieferanten. BASF produziert Ibuprofen bereits seit Jahrzehnten in Ludwigshafen und Texas. 2017 hatte der Konzern angekündigt, die Ibuprofen-Produktion in Ludwigshafen sogar um ein weiteres Werk zu ergänzen.
In einer Pressemitteilung äußerte sich die Apothekerkammer Saarland zu dem Schritt Chinas. »Uns wird zur Zeit auf dramatische Weise vor Augen geführt, was es bedeutet, nicht nur bei lebenswichtigen Medikamenten von einem einzigen Land abhängig zu sein«, kritisierte Kammerpräsident Manfred Saar. Wie lange der sich jetzt noch verschärfende Arzneimittelmangel anhalten wird, sei nicht vorherzusagen. »Die Erfahrungen aus den zurückliegenden Corona-Jahren lassen aber befürchten, dass China über Monate hinweg einen derartigen Bedarf an Arzneimitteln haben wird, dass mit einer Besserung in Deutschland nicht zu rechnen ist«, warnte Saar.
Die starke Abhängigkeit von China bei wichtigen Arzneimitteln wird schon lange heftig diskutiert und taucht immer wieder auf verschiedenen politischen Agenden auf. Um das daraus folgende Risiko von Lieferengpässen zu entschärfen, will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter anderem mit einer EU-Arzneimittelstrategie für mehr Vielfalt bei den Lieferwegen sorgen. In aktuellen Eckpunkten zu einem möglichen Generika-Gesetz schlägt das BMG zudem vor, dass bei Ausschreibungen zu Rabattverträgen künftig auch Zuschläge vergeben werden sollen, wenn die Anbieter in Europa produzieren. (Die PZ hatte ausführlich darüber berichtet.)
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