Bulevirtid bei Hepatitis D |
Sven Siebenand |
02.10.2020 07:08 Uhr |
Neuigkeiten im Hepatitis-Alphabet: Bulevirtid darf bei chronischer Hepatitis D eingesetzt werden, auch gegen Hepatitis-B-Viren ist es wirksam. / Foto: Adobe Stock/Paulus Rusyanto
Die chronische Hepatitis D gilt als schwerste Form der Virushepatitiden und tritt immer zusammen mit Hepatitis B auf. Off label wurden Patienten mit chronischer Hepatitis D bislang zum Beispiel mit PEG-Interferon-α behandelt. Bulevirtid ist nun zugelassen zur Behandlung der chronischen Hepatitis-D-Infektion bei erwachsenen Patienten mit kompensierter Lebererkrankung.
Um in die Leberzelle zu gelangen zu können, benötigen Hepatitis-D-Viren Hüllproteine von Hepatitis-B-Viren, vor allem L-HBsAg. Darüber binden die Viren spezifisch an den Natrium-Taurocholat-Cotransporter (NTCP) und gelangen dann ins Innere der Zelle, wo sie replizieren können. Das Andocken an NTCP wird durch Bulevirtid unterbunden. Der Wirkstoff ist ein Peptid, dessen Struktur von L-HBsAg abgeleitet ist. Der Entry-Inhibitor bindet spezifisch an NTCP und blockiert damit die Bindestelle für die Viren.
In der MYR202-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von drei Bulevirtid-Dosen (2, 5 und 10 mg/d) über einen Zeitraum von 24 Wochen bei insgesamt 118 Patienten mit chronischer Hepatitis D untersucht. Die Studienteilnehmer erhielten entweder Bulevirtid plus Tenofovir oder eine Tenofovir-Monotherapie. Der primäre Endpunkt der Studie war eine nicht nachweisbare HDV-RNA-Konzentration oder eine Verringerung um ≥ 2log10 von Studienbeginn bis Woche 24. Dieses Ziel erreichten unter Bulevirtid/Tenofovir 55 von 90 Patienten und nur einer von 28 Patienten in der Gruppe mit der Tenofovir-Monotherapie.
Die empfohlene Dosis von Bulevirtid beträgt täglich eine subkutane 2-mg-Injektion. Das Mittel kann allein oder in Kombination mit einem Wirkstoff zur Behandlung der Hepatitis-B-Infektion angewendet werden. Bulevirtid kann zum Beispiel in den Oberschenkel oder in den Bauch injiziert werden. Die optimale Behandlungsdauer ist nicht bekannt. Laut Fachinformation sollte sie solange fortgesetzt werden, wie dies mit einem klinischen Nutzen verbunden ist. Im Falle einer anhaltenden (sechs Monate) HBsAG-Serokonversion, kann über eine Beendigung der Therapie nachgedacht werden. Sehr häufig werden erhöhte Gallensäure-Konzentrationen im Blut beobachtet, häufig sind zum Beispiel Reaktionen an der Injektionsstelle.
Verschiedene Arzneimittel können die NTCP-Zielstruktur von Bulvirtid hemmen. Daher wird es nicht empfohlen, sie mit dem neuen Arzneistoff zu kombinieren. Zu diesen Arzneistoffen zählen zum Beispiel Sulfasalazin, Irbesartan, Ezetimib, Ritonavir und Ciclosporin A. Zudem ist die gleichzeitige Anwendung von NTCP-Substraten nach Möglichkeit zu vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel verschiedene Statine sowie Schilddrüsenhormone und Estron-3-sulfat.
Als Vorsichtsmaßnahme sollten Schwangere und Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Verhütungsmethode anwenden, nicht mit Bulevirtid behandelt werden. In der Stillzeit muss überlegt werden, ob das Stillen unterbrochen oder auf die Arzneistoff-Therapie verzichtet wird.
Hepcludex wird im Gefrierschrank aufbewahrt (- 20 Grad Celsius). Vor der Rekonstitution kann das Mittel bis zu drei Monate im Kühlschrank bei 2 bis 8 Grad Celsius aufbewahrt werden. Danach ist es für zwei Stunden bei Raumtemperatur stabil. Aus mikrobiologischer Sicht wird jedoch dazu geraten, es nach Rekonstitution sofort zu verwenden.
Eine Chronifizierung der Hepatitis-D-Infektion verschlechtert die Prognose der Betroffenen drastisch. Nicht umsonst gilt die chronische Hepatitis D als schwerste Form der Virushepatitis. Off label wurde in der Vergangenheit mit Interferon-Präparaten behandelt, die aber längst nicht bei allen Patienten ansprachen oder für diese geeignet sind. Somit ist es ein relevanter Fortschritt, dass es nun endlich auch eine zugelassene Therapie gibt. Bulevirtid ist eindeutig als Sprunginnovation einzugruppieren.
Die Ergebnisse der MYR202-Studie zeigen, dass der neue Arzneistoff wirksam und sicher ist. Daten aus der MYR203-Studie zeigen, dass auch eine Kombination mit PEG-Interferon-α sinnvoll sein kann. Sehr wahrscheinlich wird man von Bulevirtid in der Zukunft noch mehr hören. Das Wirkprinzip der Entry-Inhibition funktioniert auch bei Hepatitis B. Studienergebnisse belegen auch hier einen Nutzen. Gut möglich, dass darüber hinaus noch ganz andere Indikationen möglich sind. Lebererkrankungen wie nicht alkoholische Steatohepatitis oder primär biliäre Cholangitis könnten – basierend auf der Blockade des NTCP-Cotransporters durch Bulevirtid – ebenfalls ein Einsatzgebiet werden.
Sven Siebenand, Chefredakteur