Bispezifischer Antikörper Teclistamab verfügbar |
Annette Rößler |
27.09.2023 07:00 Uhr |
Patienten mit refraktärem multiplen Myelom haben meist schon viele Vortherapien hinter sich. Mit Teclistamab gibt es nun im fortgeschrittenen Krankheitsstadium eine neue Option. / Foto: Getty Images/Fly View Productions
Teclistamab (Tecvayli®, Janssen-Cilag) ist ein bispezifischer Antikörper, der durch die gleichzeitige Bindung an sowohl eine Myelomzelle als auch eine T-Zelle beide einander annähert, was die Aktivierung der T-Zelle sowie die anschließende Lyse und den Tod der Myelomzelle zur Folge hat. Die Zielstruktur, an die Teclistamab auf Myelomzellen bindet, ist das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA). Der zweite »Anker« von Teclistamab auf der T-Zelle ist der CD3-Rezeptor.
BCMA wird als Target auch genutzt von den beiden CAR-T-Zelltherapeutika Ciltacabtagen Autoleucel (Carvykti®) und Idecabtagen Vicleucel (Abecma®) sowie von dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Belantamab-Mafodotin (Blenrep®). Letzteres wird allerdings voraussichtlich bald vom Markt verschwinden, nachdem sich die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gegen eine Verlängerung der bedingten Zulassung ausgesprochen hat.
Teclistamab darf angewendet werden bei erwachsenen Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplen Myelom, die zuvor bereits mindestens drei Therapien erhalten haben und deren Erkrankung unter der letzten Therapie fortgeschritten ist. Zu den Vortherapien müssen ein Immunmodulator, ein Proteasom-Inhibitor und ein Anti-CD38-Antikörper zählen. Teclistamab ist zur Monotherapie bestimmt und soll so lange gegeben werden, bis es zu einer Krankheitsprogression oder inakzeptablen Toxizität kommt.
Die empfohlene Dosis beträgt einmal wöchentlich 1,5 mg pro kg Körpergewicht (KG), die als subkutane Injektion verabreicht wird. Dies ist die Erhaltungsdosis. Gestartet wird die Therapie mit einer niedrigeren Dosis von 0,06 mg/kg KG an Tag 1, die dann über 0,3 mg/kg KG an Tag 3 auf 1,5 mg/kg KG an Tag 5 (erste Erhaltungsdosis) schrittweise erhöht wird. Für die ersten beiden Dosen steht Tecvayli als Injektionslösung mit 10 mg/ml zur Verfügung, für die Erhaltungsdosis als Injektionslösung mit 90 mg/ml. Hier besteht die Gefahr einer Verwechslung mit unbeabsichtigter Über- beziehungsweise Unterdosierung. Die beiden Lösungen mit den unterschiedlichen Konzentrationen sollen nicht kombiniert werden, um die Erhaltungsdosis zu erreichen.
Kürzlich gab der Hersteller bekannt, dass die Europäische Kommission einen Antrag genehmigt hat, der die Möglichkeit einer reduzierten Dosierungshäufigkeit von 1,5 mg/kg KG alle zwei Wochen bei Patienten vorsieht, die seit mindestens sechs Monaten ein vollständiges Ansprechen erreicht haben.
Während der Aufdosierungsphase und bei Bedarf auch danach noch soll der Patient eine Prämedikation mit einem Corticosteroid, einem Antihistaminikum und einem Antipyretikum erhalten, die eine bis drei Stunden vor der Teclistamab-Dosis gegeben wird. Nach der Injektion soll der Patient 48 Stunden lang täglich überwacht werden und sich dazu in der Nähe einer medizinischen Einrichtung aufhalten. Verschiedene Toxizitäten können eine Unterbrechung der Therapie erforderlich machen. Genaue Anweisungen hierzu finden sich in der Fachinformation.
Vor Beginn der Behandlung soll gegebenenfalls eine antivirale und/oder antibiotische Prophylaxe stattfinden. Bei Patienten mit einer aktiven Infektion darf die Therapie nicht begonnen werden. Während der Therapie muss der Patient auf Anzeichen und Symptome von Infektionen sowie einer Hepatitis-B-Virus-Reaktivierung überwacht und adäquat behandelt werden. Eine Impfung mit Lebendimpfstoffen wird mindestens vier Wochen vor Beginn der Behandlung, währenddessen und mindestens vier Wochen danach nicht empfohlen.
Von der Anwendung von Teclistamab bei Schwangeren oder Stillenden wird abgeraten. Frauen im gebärfähigen Alter sollen während der Behandlung und bis fünf Monate danach zuverlässig verhüten. Ebenfalls während der Behandlung und mindestens fünf Monate danach soll nicht gestillt werden.
Unter der Therapie mit Teclistamab kann es infolge eines Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndroms (ICANS) zu einer Bewusstseinstrübung kommen. Wenn das der Fall ist, soll der Patient kein Fahrzeug führen oder gefährliche Maschinen bedienen.
Wirksamkeit und Sicherheit von Teclistamab wurden in der einarmigen, offenen Phase-I/II-Studie MajesTEC-1 untersucht (»New England Journal of Medicine« 2022, DOI: 10.1056/NEJMoa2203478). Teilnehmer waren 165 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplen Myelom und mindestens drei Vortherapien (median fünf Vortherapien). 78 Prozent der Patienten waren dreifach refraktär gegen einen Immunmodulator, einen Proteasom-Inhibitor und einen Anti-CD38-Antikörper.
Auf die Therapie mit Teclistamab sprachen 104 Patienten (63 Prozent) an, wobei 54 (33 Prozent) ein stringentes komplettes Ansprechen zeigten, elf (7 Prozent) ein komplettes Ansprechen, 32 (19 Prozent) ein sehr gutes partielles Ansprechen und sieben (4 Prozent) ein partielles Ansprechen. Die mediane Dauer des Ansprechens betrug 18,4 Monate.
Die häufigsten Nebenwirkungen aller Grade waren Hypogammaglobulinämie (75 Prozent der Patienten), Zytokin-Freisetzungssyndrom (72 Prozent), Neutropenie (71 Prozent), Anämie (55 Prozent) und weitere. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten bei 65 Prozent der Patienten auf, am häufigsten Pneumonie (16 Prozent), Covid-19 (15 Prozent), Zytokin-Freisetzungssyndrom (8 Prozent) und weitere.
Tecvayli ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C und im Originalkarton zu lagern. Vorbereitete Spritzen sollen sofort angewendet werden. Falls dies nicht möglich ist, können sie bis zu 20 Stunden bei Kühlschrank- oder Raumtemperatur (15 bis 30 °C) gelagert werden.
Eine Reihe neuer Medikamente gegen das bisher unheilbare multiple Myelom ist in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen. Eine Zielstruktur der verfügbaren Therapeutika ist das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA), das auf der Oberfläche von Myelomzellen exprimiert wird. Auf dem Markt gibt es bereits CAR-T-Zelltherapeutika, die BCMA adressieren.
Auch der neue bispezifische Antikörper Teclistamab zielt auf BCMA ab. Mit einem zweiten »Arm« bindet Teclistamab an den CD3-Rezeptor auf der Oberfläche von T-Zellen. So werden Myelom- und T-Zellen zusammengebracht, was letztlich zum Tod der Myelomzellen führt. Ein gewisser Innovationswert ist Teclistamab damit nicht abzusprechen, sodass es vorläufig als Schrittinnovation bezeichnet werden kann. Auch die Ergebnisse der zulassungsrelevanten Studie bei den stark vorbehandelten Patienten sind als positiv zu bewerten.
Direkte Vergleiche mit den BCMA-gerichteten CAR-T-Zelltherapeutika wären natürlich wünschenswert, um eine noch bessere Einordnung vorzunehmen. Ein Vorteil von Teclistamab gegenüber den CAR-T-Zellen ist sicherlich, dass der hohe logistische und zeitliche Aufwand, bis die Zellen fertiggestellt sind, bei der subkutanen Antikörpergabe wegfällt. Die Einführung von Teclistamab ist ferner positiv zu bewerten, da sich die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) kürzlich gegen eine Verlängerung der bedingten Marktzulassung des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats Belantamab-Mafodotin ausgesprochen hat und dieses ebenfalls gegen BCMA gerichtete Medikament dann vermutlich bald nicht mehr im Handel ist.
Sven Siebenand, Chefredakteur