Beschwerden jenseits der Speiseröhre |
Laufend heiser, Stimmprobleme oder einen Kloß im Hals? Das könnte an einem stillen Reflux liegen. / © Shutterstock/9nong
Räusperzwang, Kloßgefühl beim Leerschlucken, Heiserkeit, schlechter Geschmack im Mund, Stimmprobleme, Schleimbildung im Rachen, Husten, aber auch Nasennebenhöhlenentzündungen und Atemprobleme: Ein stiller Reflux äußert sich mit vielen Symptomen. Die Patienten haben nicht immer alle Beschwerden, manchmal nur eines, an anderen Tagen mehrere. Auch deren Intensität variiert.
Als gemeinsamer Nenner lässt sich zusammenfassen, dass sich die Beschwerden oberhalb der Speiseröhre niederschlagen. Das hat seinen Grund: Während bei der klassischen gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) die Magensäure in die Speiseröhre kriecht, steigt beim kleinen Bruder das Refluat bläschen-/aerosolartig bis zum Rachen auf und reizt Kehlkopf, Stimmbänder und obere Atemwege. Der Magensaft inklusive der Magenenzyme wie vor allem Pepsin belegen, verschleimen oder verätzen dann regelrecht die empfindlichen Schleimhäute im Nasen- und Rachen-Raum. Medizinisch korrekt ist dann von extraösophagealen Beschwerden oder auch vom laryngo-pharyngealen Reflux die Rede, weil Strukturen außerhalb der Speiseröhre angegriffen werden.
»Beim Aufstoßen steigen viele kleine Luftbläschen schaumartig die Speiseröhre hinauf. Darin enthalten sind Spuren des sauren Magensaftes und diese gelangen dann bis in den Rachen«, erklärt Professor Dr. Martin Storr, Neurogastroenterologe am Gesundheitszentrum Starnberger See, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. »Doch weil oberhalb der Speiseröhre, also im Kehlkopf, im Bereich der Stimmritze sowie in den Atemwegen, die Schleimhaut viel empfindlicher ausgestattet ist als das robustere Epithel der Speiseröhre, reichen bereits geringste Spuren von Magensaft, wie sie bei jedem Aufstoßen – bewusst oder unbewusst - auftreten, um einen Schleimhautschaden und damit Symptome auslösen zu können.«
Storr sieht den stillen Reflux gewissermaßen als »Sammeldiagnose für ein Beschwerdebild, das mit Sodbrennen zu tun haben kann, aber nicht muss. Der Mageninhalt muss zwei Schließmuskeln überwinden, sowohl den unteren zwischen Magen und Speiseröhre als auch den oberen Schließmuskel. Aerosolen und Gasen gelingt es leichter, den oberen Ösophagussphinkter zu passieren, verglichen zu flüssigem Refluat, für den der obere Schließmuskel eine Barriere darstellt«.
Streng genommen könne man den stillen Reflux als laryngo pharyngeale Neuropathie bezeichnen, so der Experte. Aufgrund der chronisch entzündeten Schleimhäute würden im Hintergrund Mechanismen aktiviert, die die Schleimhäute hypersensitiv werden lassen. »Weil dies über Nervenzellen vermittelt wird, entspricht die Hypersensitivität neuropathischen Schmerzen. Diese viszerale Hypersensitivität ist ein Grund, warum Symptome verstärkt dann auftreten, wenn die Schleimhaut zusätzlich gereizt wird. Denn es ist ja so, dass die Betroffenen auf kleinste Reize reagieren. Diese können Spuren von Magensäure in Aerosolform sein, aber eben auch Gewürze im Essen, Gerüche, scharfe Putzmittel, Parfums oder auch trockene Luft können die Schleimhäute Betroffener reizen.« Das macht deutlich: Lebensstilfaktoren im Allgemeinen und der Ernährungsweise im Besonderen kommen eine zentrale Rolle bei der Behandlung der Beschwerden zu.
Storr führt in seinem Ratgeber-Buch (siehe Buchtipp) noch einen weiteren auslösenden Faktor an: das Eiweiß abbauende Enzym Pepsin. »Dieses Enzym, auch wenn es nur in Spuren an die Schleimhäute außerhalb der Speiseröhre gerät, macht dann das, wofür es produziert wurde: Es zerlegt Proteine, auch wenn diese Proteine die eigenen Schleimhautzellen ab Kehlkopf aufwärts sind. Pepsin, ebenso wie kleine Mengen Magensäure, wirken folglich an der kaum geschützten Schleimhaut außerhalb von Magen und Speisröhre inflammatorisch.«
Die Diagnose ist für Betroffene nicht selten mit einer Ärzte-Odyssee verbunden. Weil das Beschwerdebild medizinisch gesehen fächerübergreifend ist, gelingt oft die Zuordnung nicht. Man könnte den stillen Reflux laut Storr auch als »Verdachtsdiagnose bezeichnen, die vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt gestellt und vom Gastroenterologen bestätigt wird«. Dieser nimmt eine Magenspiegelung vor sowie in Einzelfällen eine sogenannte 24-Stunden-Impedanz-pH-Metrie, also eine Säure-Refluxmessung per Magensonde. Damit lässt sich feststellen, ob der Mageninhalt bis zum oberen Schließmuskel der Speiseröhre aufsteigt.
Auch diese Methode ist nicht unbedingt aussagekräftig, zeigen Storrs Erfahrungen. Bei vielen Patienten sei die Menge des Rückflusses so minimal, dass die Refluxmessung einen Normalwert anzeigt, obwohl Beschwerden bestehen. »Eine negative Impedanz-pH-Metrie ist deshalb noch kein Beleg dafür, dass man nicht an einem stillen Reflux leidet«, heißt es im Buch.
Umso wichtiger sei eine gründliche Anamnese, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Beschreiben die Patienten etwa, dass ihr Husten mit der Nahrungsaufnahme oder bestimmten Körperpositionen zusammenhängt oder dass beim Vorneüberbeugen Missempfindungen im Halsbereich entstehen, seien das deutliche Hinweise auf den versteckten Reflux.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Die gastroenterologische Leitlinie empfiehlt bei extraösophagealen Beschwerden der Refluxkrankheit zunächst eine Behandlung mit Protonenpumpenblockern (PPI), also etwa mit Omeprazol, Pantoprazol oder Esomeprazol – und das bis zu 12 Wochen (in Einzelfällen bis zu 24 Wochen) 40 mg zweimal täglich. »Die deutlich längere Einnahmeempfehlung im Vergleich zum klassischen Reflux ist der Hartnäckigkeit der Beschwerden des stillen Reflux geschuldet«, informiert Storr. Jedoch: »PPI helfen den meisten Patienten nicht – was sich von ihrer Wirkweise ableiten lässt. Sie reduzieren zwar die Magensaftproduktion, haben aber keinen Einfluss auf die eigentliche Erkrankungsursache, also den Rückfluss durch den schwachen Schließmuskel. Säurehemmer reduzieren auch nicht die Hypersensitivität und die Neuropathie.«
Erfolg versprechender sei da der kombinierte oder alleinige Einsatz von schleimhautschützenden Substanzen. »Mukoprotektiva und Antazida sind eher geeignet, da sie zumindest lokale Effekte entfalten und die Reize, die die neuropathischen Beschwerden verursachen, abpuffern.« Das sind etwa Heilerde und Alginate, beide positiv in der aktualisierten S2k-Refluxleitlinie bewertet. Beide bringen einen neuen Aspekt in die Therapie mit ein: Zusätzlich zur hohen Säurebindungskapazität legt sich Heilerde (wie von Luvos® Heilerde, ist als Arzneimittel zugelassen) nach der Einnahme wie ein Schutzfilm über die strapazierte Schleimhaut der Speiseröhre, hat also einen mukosaprotektiven beziehungsweise schleimhautsensitiven Effekt.
Rein physikalisch wirken auch Kautabletten, die die Gelbildner Hyaluronsäure, Xanthan und Carbomer enthalten (Sobrade®). Beim Zerkauen bildet sich ein Gel-Komplex, der die Speiseröhre nach dem Schlucken mit einem Schutzfilm auskleidet. Dieser schützt die Schleimhäute vor aufsteigendem Mageninhalt; unter der sich aufziehenden Schicht kann sich die Schleimhaut regenerieren.
Die Unterstützung der Schließmuskelabdichtung ist der Pluspunkt der Alginate. Sie greifen an der Säuretasche, der sogenannten Acid Pocket, an – eine Ansammlung von Magensäure am Übergang vom Magen zur Speiseröhre. Alginate, die meist mit einem Antacidum kombiniert sind (wie Gaviscon® Dual, Reluba®), bilden einen Schaum auf der Acid Pocket und eliminieren diese. Zusätzlich bewirken sie eine mechanische Refluxblockade, ein auf dem Speisebrei schwimmendes Gel, das gleichzeitig wie ein Schutzfilm in der Speiseröhre wirkt. Auch Feigenkaktus-Extrakt (wie Refluthin®) wirkt zur Speiseröhre hin abdichtend.
Die bloße Medikamenteneinnahme wird das Problem nicht lösen können, macht Storr klar. Lebensstilveränderungen und eine Ernährungsanpassung gehören gewissermaßen als Basistherapie eines stillen Reflux dazu. So sind aufgrund der ursächlich mitverantwortlichen Hypersensitivität einerseits sämtliche Reizstoffe aus dem Umfeld zu verbannen – »Prüfen Sie kritisch Ihr Umfeld und entfernen Sie alles, was Ihre Schleimhute reizen könnte. Denken Sie auch an Duftstoffe in Weichspülern, Raumsprays, Teppichböden, Duftbäumen im Auto oder Eau de Toilettes« – und andererseits säurepuffernde Maßnahmen auch durch die Ernährungsweise erforderlich.
Es ist alles zu meiden, was die Schleimhaut reizt, vor allen Dingen scharf Gewürztes mit Curry, Chili oder Pfeffer, säurehaltige Nahrungsmittel wie Tomaten, Essig, Sauereingelegtes, Alkohol in jeder Form, fettiges oder geräuchertes Fleisch. Bei den Getränken sind Kaffee, Espresso und Sprudelwasser, Limonaden und kohlensäurehaltige Getränke einzuschränken. Milch und Eiweißreiches mindert dagegen die Beschwerden. Ein wichtiger Hinweis vom Experten: »Ernährung wird von vielen Patienten als vordergründig angesehen, ist aber äußerst selten eine Ursache. Hydrogencarbonatreiches Wasser bindet Spuren von Säure, aber auch Spuren von sonstigen Reizstoffen und ist damit eine sehr gut geeignete Erstmaßnahme.«
Der Neurogastroenterologe rät also zu Heil- und Mineralwasser mit einem hohen Hydrogencarbonatgehalt (> 600 mg/l gut, > 1800 mg/l exzellent): »Vermutlich ist Heilwasser beim stillen Reflux eine der nachhaltigsten Methoden.« Und: »Vorteilhaft ist, dass Heilwasser jegliche Säure blockt und dadurch das therapeutische Dilemma löst, dass beim stillen Reflux nicht nur die Säure aus dem Magen, sondern auch Säuren durch die Ernährung und Säure durch Milieufaktoren im Kehlkopf-Rachen-Raum problematisch sind.«
Positiver Nebeneffekt: Auch die Pepsinproblematik wird angegangen: Pepsin wird nur aktiviert, wenn die Umgebung sauer ist. Ohne begleitende Säure kann Pepsin keinen Schleimhautschaden jenseits der Speiseröhre anrichten.