»Berliner Patient« die zweite |
Annette Rößler |
19.07.2024 15:00 Uhr |
Dass sich das Virus dennoch nicht wieder vermehrte und bis heute bei dem Patienten nicht nachweisbar ist, bezeichnet Gaebler in einer Pressemitteilung der Charité als äußerst überraschend. Denn bei anderen HIV-Infizierten, die Stammzelltransplantationen von einem nicht immunen Spender erhalten hatten, habe sich das HI-Virus nach wenigen Monaten wieder vermehrt, so der Experte. Der Verlauf dieses Patienten deute nun darauf hin, dass nicht allein die CCR5-Mutation dafür ausschlaggebend sei, ob eine Remission gelingt, sagte Gaebler gestern in einer Vorab-Pressekonferenz zur Aids-Konferenz.
Welche Faktoren jenseits der CCR5-Mutation das sein könnten, wissen die Forschenden derzeit noch nicht. »Möglicherweise hat die Geschwindigkeit einen Einfluss, mit der das neue Immunsystem das alte ersetzt«, vermutet Gaebler. Im aktuellen Fall sei das mit unter 30 Tagen vergleichsweise schnell gegangen. Auch bestimmte immunologische Eigenschaften der Spenderin, beispielsweise besonders aktive natürliche Killerzellen, kämen als Erklärung in Betracht.
Die Forschenden wollen den Fall weiter untersuchen, um die Mechanismen aufzuklären. Sie erhoffen sich davon neue Erkenntnisse, die letztlich möglicherweise zur Entwicklung von Immuntherapien oder therapeutischen Impfstoffen gegen HIV führen könnten. Eine Stammzelltransplantation ist eine überaus belastende und potenziell lebensbedrohliche Prozedur; sie kommt deshalb als therapeutischer Ansatz nicht für alle HIV-Infizierten in Betracht. Alle Personen, bei denen das Verfahren bislang zu einer »Heilung« der HIV-Infektion geführt hat, waren zusätzlich auch an AML oder einer anderen Leukämieform erkrankt.
Eine HIV-Infektion in Remission zu bringen, ist bislang nachweislich erst bei fünf, möglicherweise sechs Personen gelungen. Der erste, Timothy Ray Brown, wurde lange als »Berliner Patient« bezeichnet, um seine Anonymität zu wahren, hob diese jedoch später selbst auf. Die wissenschaftliche Publikation über den Fall erschien 2009. 2019 folgte der »Londoner Patient« Adam Castillejo, 2023 der »Düsseldorfer Patient« Marc Franke sowie die »New Yorker Patientin« und der »City of Hope Patient« Paul Edmonds. Der »Genfer Patient«, dessen Fall 2023 auf der Aids-Konferenz vorgestellt wurde, hatte eine Stammzellspende einer Person mit ausschließlich funktionierendem CCR5-Rezeptor erhalten. Laut der Charité wird bei ihm aber aufgrund einer recht kurzen Nachbeobachtungszeit unterschiedlich bewertet, ob die HIV-Infektion tatsächlich geheilt ist.