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Phytos bei Krebs

Beliebt, aber nicht immer sicher

Viele Krebspatienten erhoffen sich von pflanzlichen Arzneimitteln positive Wirkungen auf ihre Erkrankung, Nebenwirkungen der Tumortherapie oder ihren Allgemeinzustand. Häufig gibt es nur wenig Evidenz für die postulierten Effekte. Wechselwirkungen mit den eingesetzten Krebsmedikamenten können zudem dazu führen, dass Phytos mehr schaden als nützen.
Annette Mende
20.05.2020  08:00 Uhr

Interaktionen beachten

Die beabsichtigte Wirksamkeit von Phytopharmaka ist oft nur eine Seite der Medaille. Die andere sind mögliche Wechselwirkungen, die im Fall von Krebspatienten auch die Tumortherapie beeinträchtigen können. Hierzu sprach Professor Dr. Hans-Peter Lipp, Chefapotheker der Apotheke des Universitätsklinikums Tübingen.

Ihm zufolge können vor allem Johanniskraut-Extrakte (Hypericum perforatum) kritische Interaktionen mit Tumortherapeutika eingehen. Hintergrund ist die Induktion unter anderem von CYP3A4, CYP2C19 und Effluxpumpen wie ABCB1 durch Johanniskraut-Inhaltsstoffe wie Hyperforin und Hypericin. Dies führe zu einer drastischen Abnahme der Wirkspiegel unter anderem von Irinotecan, aber auch von Tyrosinkinasehemmern wie Imatinib (DOI: 10.1093/jnci/94.16.1247 und 10.1016/j.clpt.2004.06.007).

Grapefruitsaft (Citrus paradisi) ist zwar kein Phytopharmakon, kann aber bekanntlich über die Hemmung von CYP3A4 im Darmepithel die Pharmakokinetik zahlreicher Arzneistoffe – darunter auch Tumortherapeutika – massiv verändern. Die Hemmung beruhe vor allem auf Dihydrobergamottin und dem Bitterstoff Naringin, so Lipp. »Man kann also vereinfacht sagen: Je bitterer der Grapefruitsaft schmeckt, desto größer ist wahrscheinlich der Einfluss auf den Metabolismus von Arzneistoffen.«

Da die CYP3A4-Hemmung auf den Darm beschränkt ist, sind intravenös verabreichte Substrate des Enzyms, zum Beispiel das Zytostatikum Docetaxel, von der Interaktion nicht betroffen. Anders kann das bei Tyrosinkinasehemmern aussehen, die oral verabreicht werden. »Ibrutinib zeigt nur eine absolute Bioverfügbarkeit von 6 bis 8 Prozent. Grapefruitsaft führt zu einer Verdopplung der Plasmakonzentration und einer entsprechenden Zunahme des Nebenwirkungsrisikos«, nannte Lipp ein Beispiel. Weitere besonders von dieser Interaktion betroffene onkologische Wirkstoffe seien Bosutinib, Cobimetinib, Everolimus, Midostaurin sowie das in Europa noch nicht zugelassene Acalabrutinib.

Ebenfalls in die Kategorie »Interaktionen mit Nahrungsmitteln« fallen Wechselwirkungen mit grünem Tee (Camellia sinensis), wobei hier meist nicht das Getränk, sondern Extrakte in Form von Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden. Vor einigen Jahren habe eine Studie hellhörig gemacht, in der für Epigallocatechingallate (EGCG) aus grünem Tee eine direkte apoptotische Wirkung auf Krebszellen des multiplen Myeloms gezeigt wurde (»Blood« 2006, DOI: 10.1182/blood-2006-05-022814). »Danach gab es wilde Diskussionen darüber, ob EGCG überhaupt in nennenswerten Konzentrationen im Blut ankommen«, berichtete Lipp. Mittlerweile bestehe in der wissenschaftlichen Community Einigkeit darüber, dass der Konsum großer Mengen grünen Tees über eine relativ lange Zeit zu messbaren Konzentrationen von EGCG im Blut führe.

Problematisch sei dabei jedoch der Gerbstoffgehalt des grünen Tees. Die Polyphenole könnten beispielsweise den bei multiplem Myelom indizierten Proteasom-Inhibitor Bortezomib inaktivieren, indem sie mit dem zentralen Bor-Atom einen Chelatkomplex eingingen (»Blood« 2009, DOI: 10.1182/blood-2008-07-171389). Eine Komplexierung sei auch für Platin-II-Verbindungen wie Carboplatin, Cisplatin und Oxaliplatin zu erwarten, wobei es hierzu keine klinischen Daten gebe.

Auch bei oral verabreichten Wirkstoffen wie dem Tyrosinkinasehemmer Sunitinib werde einer präklinischen Arbeit zufolge aufgrund der Bildung von unlöslichen Komplexen die Absorptionsrate deutlich gemindert (»Journal of Molecular Medicine« 2011, DOI: 10.1007/s00109-011-0737-3). Ähnliches sei von Erlotinib und Lapatinib berichtet worden. Grüner Tee könne darüber hinaus auch über CYP-Enzyme sowie diverse Transportproteine Interaktionen verursachen. »Das ist nicht trivial und wir haben die meisten Daten noch gar nicht verstanden«, sagte Lipp.

Generell gebe es zu Interaktionen von Phytopharmaka mit Tumortherapeutika noch viel zu wenige klinische Daten. Die Beurteilung der Relevanz möglicher Wechselwirkungen werde durch die Vielzahl an verfügbaren Präparaten und die Variabilität der Inhaltsstoffe zusätzlich erschwert. Über diese Unsicherheiten müssten Patienten kritisch aufgeklärt werden.

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