Erhitzte Gonaden, müffelnde Tänzer und beschränkte Banker |
15.12.2008 10:34 Uhr |
<typohead type="3">Erhitzte Gonaden, müffelnde Tänzer und beschränkte Banker
Von Daniel Rücker
In 50 Ausgaben haben wir auch in diesem Jahr kaum eine Gelegenheit ausgelassen, Sie zu deprimieren. Doch das Leben ist zu kurz, um sich von morgens bis abends die Stimmung versauen zu lassen. Es gibt noch eine Welt jenseits von Rabattverträgen, Europäischem Gerichtshof und Medikamentenabholstellen.
In diesem Jahr lassen wir gleich zu Beginn jegliche Hemmung fallen. Das hat schließlich auch jene Diskothek in Celle getan, die im Sommer dieses Jahres ihre Besucherinnen aufforderte: »Kämpfe um Deinen Traum«. Dabei ging es den Betreibern der Zappelbude weniger um Ideale und Visionen als um Maße. Denn die Art des Traums war bereits vorgegeben: Ein chirurgischer Eingriff, den der Fachmann Mamma-Augmentation und der Laie Brustvergrößerung nennt, sollte unter den operationswilligen Besucherinnen der Zappelbude verlost werden.
Doch am Ende scheiterte die Tombola. Die Wettbewerbszentrale in Bad Homburg wollte die Verlosung partout nicht hinnehmen. Operationen unterlägen dem Werbeverbot, heißt es in der Begründung. Der Schnippelgutschein im Wert von mehr als 3000 Euro blieb unverlost.
Die ansonsten freigeistig eingestellte PZ-Redaktion teilt die Bedenken dagegen, jungen Frauen auf diesem Weg einen Herzenswunsch zu erfüllen. Wir wollen keine Welt, in der es allein um mit dem Maßband bewertete Oberflächlichkeiten geht.
Anders wäre unser Urteil ausgefallen, wenn der Tanzschuppen Hirnvergrößerungen unter den Kandidatinnen verlost hätte. Das hätten wir unter gute Tat abgebucht. Freilich wäre dann wohl die Schar der Kandidatinnen kleiner gewesen, weil sie sich davon keinen Selektionsvorteil versprechen. Der politischen Korrektheit wegen müssen wir deshalb am Schluss dieser Geschichte auf den verderblichen Einfluss der Partnerwahlkriterien junger Männer auf das von uns verhohnepipelte Verhalten junger Frauen hinweisen.
Und weil uns dieser Hinweis noch nicht reicht, werden in der nächsten Geschichte den kognitiven Fähigkeiten der Männer tiefe Schrammen zugefügt. Ein guter Teil von ihnen lässt sich nämlich regelmäßig »die Hoden grillen«, wie es das britische Wissenschaftsmagazin »New Scientist« in einem Bericht wenig wissenschaftlich beschreibt. Und das Beste, oder das Dämlichste daran: Die Männer zahlen auch noch dafür, und zwar nicht zu knapp.
Immerhin bekommt das Geld die Autoindustrie und damit eine Branche, die es bitter nötig hat. Deren immer häufiger in neue Modelle eingebaute Sitzheizungen erwärmen nach einer Untersuchung der Universität Gießen die männlichen Gonaden um durchschnittlich 0,6 Grad. Kaum der Rede wert, sagen Sie jetzt? Vollkommen falsch, sagen die Wissenschaftler. 37,3 statt wie üblich 36,7 Grad bringen die Spermien mächtig ins Schwitzen. An Befruchtung ist da nicht mehr zu denken.
Doch wie so vieles hat auch diese Geschichte eine gute Seite. Wenn Sie beim nächsten Mal im Nachtdienst gegen drei Uhr morgens herausgeklingelt werden, weil ein mäßig begabter Diskothekenbesucher und seine brustvergrößerte transiente Eroberung zu dämlich waren, sich rechtzeitig mit empfängnisverhütenden Produkten zu bevorraten, dann geben sie dem Düffeldoffel ein letztes Mal seine gewünschten Kondome und sagen noch dazu: »Beim nächsten Mal machen Sie doch auf der Heimfahrt einfach die Sitzheizung an und lassen mich weiterschlafen.«
Wie weit der Weg vom Hodengrill zu Überraschungseiern ist, mag jeder für sich bewerten. Fehlen darf die nächste Geschichte jedoch keinesfalls in einem Jahresrückblick. Sie spielt dort, wo in diesem Jahr viele Geschichten spielten, und auch die handelnde Partei ist ein Dauergast in den Gazetten. Es geht um Bayern, es geht um Politik, es geht um die CSU. Die kämpfte nicht nur gegen den Gesundheitsfonds, die Finanzkrise der Bayern LB und die Pendlerpauschale. Es gab noch einen weiteren dicken Aufreger: Die Bundestags-Kinderkommission hatte sich im Sommer dafür starkgemacht, Überraschungseier zu verbieten. Das kann einer Partei, die sich über Monate im Wahlkampf für das Gute, Schöne und Wahre eingesetzt hat, nicht egal sein. Flugs wurde mit Günther Beckstein, Otmar Bernhard, Christine Harderthauer und – sozusagen als unmittelbar betroffenem – dem Chef der bayerischen Jungen Union, Stefan Müller, ein Team zusammengestellt, das aus allen Rohren gegen die Kinderkommission schoss. Als »weltfremde Schreibtischtäter« wurden die Verbotsbefürworter gegeißelt. Und am Ende, so kennt der Bayer seine CSU, wurde dann alles wieder gut. Das Überraschungseierretterquartett konnte die Gefahr abwenden. Die Synthese aus Schokolade, Spaß und Spannung bleibt.
Ein Randereignis, sagen Sie jetzt? Unbedeutend, irren Sie sich? Die PZ-Redaktion sieht das anders. Wir sind uns sicher, dass der CSU-Einsatz nicht unerheblich zum desaströsen Wahlergebnis der bayerischen Staatspartei beigetragen hat. Der Applaus der Kinder war den Christsozialen gewiss, doch dürfen die nicht wählen. Eltern, Onkel, Tanten, Omas, Opas können dagegen wählen. Denen hat die CSU mit ihrem bestenfalls gut gemeinten Engagement jedoch das nur mäßig beliebte Ritual erhalten, an jeder Kasse fünf Minuten lang über Sinn und Unsinn gesunder Ernährung zu diskutieren. Wenn das Beckstein, Huber und Söder keine Wählerstimmen gekostet hat, was dann?
Vielleicht war es dann doch das von der CSU vorschnell gefeierte strikteste aller Nichtraucherschutzgesetze, das nur vor Bierzelten, aber nicht vor Diskotheken haltmachte und dort für großen Schaden sorgte. Denn dort wird jetzt zwar nicht mehr geraucht, aber weiterhin gestunken. Der Anti-Nikotin-Kreuzzug hat Kollateralschäden erzeugt: Manche Menschen riechen auch ganz ohne Nikotin und Teer schlecht. Schweiß und Bier sind hier zwei Stichworte, die jedes weitere überflüssig machen. In vielen Diskotheken mussten die Betreiber schnell feststellen, dass die Luft in ihrem Schuppen zwar wieder durchsichtig, aber keinesfalls frischer war als zu der Zeit, da Raucher ihrem Treiben noch völlig unkriminalisiert nachgehen durften. Nachdem sich immer häufiger Diskothekenbesucher über müffelnde Tänzer beschwerten, sorgt nun die Beduftung mit Frühlingswiesen- oder Sommerwald-Aromen für Schutz vor olfaktorischen Provokationen.
Die PZ-Redaktion hält dies allerdings für eine versaillessche Lösung. Statt das Übel an der Wurzel zu packen, und den Tätern mit Wasser und Seife zu Leibe zu rücken, werden die Missstände mit gesundheitlich bedenklichen chemischen Düften übertüncht. Da hätte man die Leute ja auch gleich weiter rauchen lassen können. Im Kern geht es doch auch um Hygiene und Gesundheit. Das darf uns, das darf den Apothekern nicht egal sein.
Egal dürfte es manchen Apothekern auch nicht sein, dass eine Untersuchung der Universität Gießen über Börsenmakler erst spät, für manche ein paar Tausend Euro zu spät, veröffentlicht wurde. Psychologen um Professor Dr. Markus Knauff hatten darin nämlich festgestellt, dass den Aktienhändlern logisches Denken schwerfällt. Wenn sie die Wahl zwischen Logik und Erfahrung haben, dann setzen sie grundsätzlich auf Erfahrung. Werden sie aufgefordert, eine Situation allein mit logischem Denken zu bewerten, schneiden sie beim Aktienkauf schlechter ab als Börsenlaien.
Das Ergebnis ist ernüchternd für alle Menschen, die ihr Geld in ebenso lukrativen wir todsicheren Zertifikaten bei heute nicht mehr ohne staatliche Hilfe lebensfähigen Banken angelegt haben. Sie haben ihr Geld Menschen anvertraut, denen Kant deutlicher ferner ist als Pawlow, nur dass der Speichelfluss nicht einsetzt, wenn ein Glöckchen klingelt, sondern wenn Scheine rascheln. Das gibt zu denken, das macht traurig.
Macht es tatsächlich traurig? Nein!, sagen Krisenexperten. Damit kommen wir, wie es sich für ein Jahresende gehört, zu den guten Nachrichten, die in keinem Rückblick fehlen dürfen. Und selbst zur Finanzkrise gibt es Positives zu vermelden. Diese macht die Menschen nach einem Beitrag im »New Scientist« zwar ärmer, aber nicht unglücklicher. Krisen generell, so schreibt das Magazin, hätten nichts daran geändert, dass heute die Menschen glücklicher sind als vor 25 Jahren. Geld wirke sich nicht auf das Glücksgefühl aus, sagen die Forscher aus Deutschland und den USA, schränken allerdings ein, dass dies nur gilt, wenn man mehr als 1000 Dollar im Monat verdient. Wir gehen mal davon aus, dass dies auf die Mehrzahl unserer Leser zutreffen könnte, und rechnen nun damit, dass Sie fröhlich pfeifend ins Jahr 2009 hinübergleiten werden.
Damit Ihnen dies umso leichter fällt, wollen wir Sie noch mit weiteren positiven Botschaften überraschen. Bei der ersten geht es um Heavy-Metal-Fans. Für diejenigen, die zwischen den Stilrichtungen zeitgenössischer Musik nicht perfekt unterscheiden können, sei gesagt, das sind nicht selten langhaarige Männer mittleren bis fortgeschrittenen Alters, die ihren Unterkörper in Jeans hüllen, die noch mit D-Mark bezahlt wurden, und den Oberkörper mit einer schwarzen, mit Ketten behängten Lederjacke bedecken und dem Motorradfahren nicht abgeneigt sind. Dazu hören sie Musik, die ob ihrer überschaubaren Varianz einen hohen Wiedererkennungswert hat und vorzugsweise mit einem Schalldruckpegel abgespielt wird, der zwischen dem eines Presslufthammers und eines startenden Spaceshuttles liegt. Genau diese Menschen, sagt eine Untersuchung der Universität in Edinburgh, seien sanftmütig und entspannt, ja manchmal sogar schüchtern. Wenn das keine gute Botschaft ist.
Da haben wir in den vergangenen Jahren an manchen Abenden aus übertriebener Vorsicht die Straßenseite gewechselt, wenn uns, sagen wir mal 10 bis 15 Männer mit den gerade beschriebenen Attributen, auf dem Bürgersteig entgegenkamen. Das können wir uns nun schenken. Ja, im Gegenteil sogar, demnächst gehen wir auf die Herren zu, raunen ihnen ein aufmunterndes »Traut Euch doch mal was« zu und holen die Sanftmütigen so aus ihrer Schüchternheit. Gleich morgen, da sind wir uns einig, wollen wir damit aber noch nicht anfangen. Mit solchen Gesten warten wir, bis deren Erfolgschancen zweifelsfrei belegt sind, wir sind schließlich Naturwissenschaftler.
Ein gute Nachricht haben wir auch noch für alle Marathonläufer. Das »British Medical Journal« stellt sie in eine Reihe mit dem Roten Kreuz, der Heilsarmee oder Dr. Brinkmann. Denn: Sie retten Menschenleben. Nicht direkt und nicht jeden Tag, sondern eher mittelbar. Dort, wo sich eine Horde Dauerläufer durch die Straßen einer Stadt quält, können keine Autos sein und dort, wo keine Autos sind, gibt es auch weniger Unfalltote. Der Effekt lässt sich sogar messen. Die Wissenschaftler haben Daten von etlichen Läufen in den USA zwischen 1975 und 2005 ausgewertet. Nach der Statistik sind wegen den mit dem Lauf verbundenen Straßensperrungen 46 Menschen weniger an Verkehrsunfällen gestorben. Das ist großartig. Noch ehrfürchtiger wird das selbstlose Tun der Marathonis, wenn man weiß, dass immerhin 26 von ihnen dafür ihr eigenes Leben gaben, vor allem auf den Kilometern 41 und 42. Sie opferten sich, um andere zu retten. Das sollte uns berühren, gerade in dieser Zeit, auch wenn es in der Regel unfreiwillig geschah.
Bevor sich die PZ-Redaktion für dieses Jahr verabschiedet, wollen wir unseren Lesern die letzte, die ultimative gute Nachricht nicht vorenthalten: Jeder kann sich sein Gegenüber schöntrinken. Diese Erkenntnis stammt aus Schottland und könnte sonst wohl nur noch aus Irland stammen. Und das Schöne ist: Sie gilt für Männer wie für Frauen. Wissenschaftler aus Edinburgh hatten Studenten Porträtfotos vorgelegt und um eine Bewertung der Attraktivität der abgebildeten Menschen gebeten. Danach mussten oder durften die Probanden ein Viertel Wein trinken und anschließend sich dieselben Bilder noch einmal ansehen. Alkoholisiert gaben sie deutlich bessere Noten, unabhängig vom Geschlecht. Alkohol lässt also alle Menschen schöner erscheinen.
In der PZ-Redaktion hat diese Erkenntnis viel bewegt. Das ewige Genörgel, irgendjemand habe eine hässliche Nase, schlechte Frisur oder Übergewicht, ist vorbei. Wem sein Gegenüber im Büro nicht gefällt, der trinkt ein Viertele und wenn das nicht reicht, dann eben zwei oder drei.
Sie sehen, es gibt für alles eine Lösung, man muss dafür aber auch schon mal neue Wege gehen. Und wenn uns das Jahr 2008 nur dies lehrt, dann ist das doch ein versöhnlicher Abschluss und ein guter Ausblick für 2009. In diesem Sinn, eine schöne Zeit.