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Interaktionen

Der Zeitfaktor bei Wechselwirkungen

Datum 11.12.2007  11:48 Uhr

Interaktionen

<typohead type="3">Der Zeitfaktor bei Wechselwirkungen

Von Petra Zagermann-Muncke

 

Nicht jede Interaktion tritt unmittelbar in Erscheinung und ist nach dem Absetzen sofort beendet. Manche benötigen einige Tage, um sich zu entwickeln, andere Wochen oder gar Monate. Der folgende Artikel gibt einen Überblick, wann und warum protrahierte Effekte zu erwarten sind.

 

Ein Patient wurde nach einem Herzinfarkt auf Marcumar® (Phenprocoumon) eingestellt und soll nun wegen paroxysmalen Vorhofflimmerns das Antiarrhythmikum Cordarex® (Amiodaron) erhalten. Der Interaktions-Check der ABDA-Datenbank ergibt eine mittelschwere Interaktion: Die Wirkung des oralen Antikoagulans wird verstärkt, die Gefahr von Blutungen ist erhöht. Sollen nun zu Beginn der Amiodaron-Behandlung die Blutgerinnungsparameter (INR, Quick-Wert) verstärkt überwacht und die Phenprocoumon-Dosis nach Bedarf gesenkt werden? Der Blick in den Text der Interaktionsmonographie offenbart Überraschendes: Die verstärkte Blutungsneigung tritt unter Umständen erst nach mehrmonatiger Therapie ein und kann auch mehrere Monate nach dem Absetzen von Amiodaron anhalten.

 

Bei gleichzeitiger Behandlung mit oralen Antikoagulanzien müssen daher in den ersten sechs bis zwölf Monaten einer Amiodaron-Therapie und ebenso lange nach dem Absetzen die Blutgerinnungsparameter besonders sorgfältig kontrolliert und die Antikoagulanziendosierungen angepasst werden. Amiodaron hemmt vermutlich CYP2C9, das den oxidativen Metabolismus der Cumarin-Antikoagulanzien katalysiert. Da Amiodaron eine sehr lange Halbwertszeit von 25 bis 100 Tagen hat und langsam im Fettgewebe akkumuliert, stellt sich ein Gleichgewicht erst Monate nach Therapiebeginn ein, sodass es zu dem oben beschriebenen, stark protrahierten Verlauf der Wechselwirkung kommt.

 

Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Wechselwirkungen sind innerhalb der ersten ein bis zwei Wochen nach Beginn der gleichzeitigen Behandlung mit den interagierenden Arzneistoffen Effekte zu erwarten. Nicht jede Wechselwirkung tritt unmittelbar in Erscheinung und ist nach dem Absetzen sofort beendet. Manche Interaktionen benötigen einige Tage, um sich zu entwickeln, andere Wochen oder gar Monate. Hinzu kommen teilweise erhebliche interindividuelle Unterschiede. Die Tabelle führt einige Interaktionen an, deren Effekte sich mit starker Verzögerung zeigen.

 

Wie eine Interaktion verläuft, hängt vom Mechanismus der Interaktion, den pharmakokinetischen Eigenschaften der beteiligten Stoffe und der Art der unerwünschten oder therapeutischen Effekte ab, die durch die Interaktion beeinflusst werden. Der zeitliche Verlauf einer Interaktion ist wichtig für die Entscheidung darüber, wann und wie lange Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden müssen.

 

Ist eine Hemmung der Absorption eines Arzneistoffes A durch einen Arzneistoff B der Interaktionsmechanismus, wirkt sich das ebenso rasch aus wie eine Dosisreduktion von A. Die Verminderung des therapeutischen Effekts zeigt sich mit der gleichen Verzögerung wie der therapeutische Effekt: Bei Antibiotika ist die antimikrobielle Wirkung sofort vermindert, ebenso die negativ inotrope Wirkung von Herzglykosiden, während beispielsweise eine verminderte Wirkung von Bisphosphonaten oder Strontiumranelat, die auf den relativ langsamen Knochenumbau einwirken, erst nach Wochen oder Monaten in Erscheinung tritt, auch wenn verminderte Plasmakonzentrationen schon unmittelbar nach Beginn der gleichzeitigen Gabe festzustellen sind.

 

Enzyminhibition

 

Die Aktivität der metabolisierenden Enzyme, häufig Cytochrom-P-450-abhängiger Enzyme wie CYP3A4 oder CYP2D6, wird gehemmt, sobald der enzymhemmende Stoff A in ausreichender Menge appliziert wird beziehungsweise in ausreichender Konzentration am Enzym vorhanden ist. Wie schnell die Wechselwirkung in Erscheinung tritt, hängt überwiegend von der Halbwertszeit des betroffenen Arzneistoffes B ab: Bei Arzneistoffen mit einer kurzen Halbwertszeit können sich schon nach ein bis zwei Tagen Effekte auf die Plasmakonzentration zeigen, während diese bei einem Stoff mit einer längeren Halbwertszeit irgendwann im Verlauf des Drei- bis Vierfachen der Halbwertszeit in Erscheinung treten können. So haben die oralen Antikoagulanzien Phenprocoumon und Warfarin eine Halbwertszeit von mehreren Tagen. Hinzu kommt, dass deren Effekt über die Hemmung der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren vermittelt wird, die ihrerseits eine Halbwertszeit von zwei bis drei Tagen haben. Veränderungen der Plasmakonzentrationen zeigen sich daher erst mit einer Verzögerung von etwa einer Woche durch veränderte Gerinnungszeiten.

 

Aber auch die Halbwertszeit des Enzyminhibitors kann von Bedeutung sein: Der Serotonin-Reuptake-Hemmer Fluoxetin inhibiert CYP2D6. Fluoxetin hat eine Halbwertszeit von ein bis vier Tagen, der ebenfalls inhibitorisch wirksame Metabolit Norfluoxetin eine von 4 bis 16 Tagen. Hier ist besonders zu beachten, dass der inhibitorische Effekt nach dem Absetzen von Fluoxetin wegen der langen Halbwertszeiten nur langsam über Wochen abklingt.

 

Ein besonderer Fall liegt bei der Wechselwirkung zwischen Fluoropyrimidinen (zum Beispiel Fluorouracil) und Phenprocoumon vor: Verlängerte Blutungszeiten und Blutungskomplikationen können auftreten. Meist zeigen sich diese einige Tage nach Beginn der gleichzeitigen Behandlung; sie können aber im Verlauf von mehreren Monaten zunehmen beziehungsweise erst nach mehreren Wochen in Erscheinung treten. Auch nach Absetzen des Fluoropyrimidins kann die Wechselwirkung noch circa einen Monat weiter bestehen. Der Mechanismus dieser Interaktion ist nicht in Einzelheiten bekannt. Offenbar beeinträchtigen Fluoropyrimidine die Synthese von CYP2C9, das den oxidativen Metabolismus der oralen Antikoagulanzien katalysiert. Der protrahierte Verlauf wird dadurch zumindest teilweise erklärt.

 

Enzyminduktion

 

Die Induktion von CYP-Enzymen wie CYP3A4 benötigt einige Tage, denn es muss zunächst vermehrt Enzymprotein erzeugt werden. Eine Wechselwirkung, die auf diesem Mechanismus beruht, benötigt etwa sieben bis zehn Tage für ihre Entwicklung. So können bei gleichzeitiger Behandlung mit Enzyminduktoren wie Rifampicin, Phenytoin oder Johanniskraut innerhalb einiger Tage die therapeutischen Wirkungen von Theophyllin oder Ciclosporin abnehmen oder ganz verloren gehen.

 

Eine Enzyminduktion kann in ihren Auswirkungen aber auch protrahiert in Erscheinung treten, wenn die jeweiligen Effekte des betroffenen Arzneistoffs sich langsam entwickeln: Nach mehreren Monaten bis Jahren einer Dauertherapie mit Phenytoin, Phenobarbital oder Carbamazepin kann ein Vitamin-D-Mangel mit asymptomatischer Hypocalciämie bis hin zur Osteomalazie entstehen. Das Krankheitsbild wird auch als Osteopathia anti-epileptica bezeichnet. Wahrscheinlich beschleunigen die Antiepileptika den oxidativen Metabolismus der Vitamin-D-Derivate. Wegen des dabei meist nur grenzwertigen Vitamin-D-Mangels und der langsamen Knochenumbaurate zeigt sich diese Interaktion erst nach längerer Zeit.

 

Pharmakodynamische Interaktionen

 

Pharmakodynamische Interaktionen beruhen auf additiven oder subtraktiven Effekten der beteiligten Arzneistoffe. In der Regel treten solche Interaktionen unmittelbar nach Beginn der gleichzeitigen Behandlung auf. Einige unerwünschte Ereignisse können während der gesamten Dauer der gleichzeitigen Behandlung mit erhöhter Häufigkeit auftreten. Das ist dann der Fall, wenn weitere Risikofaktoren das Interaktionsrisiko erhöhen. Dies trifft beispielsweise auf die erhöhte Myopathie-Inzidenz unter CSE-Hemmern und Colchicin zu. Einige unerwünschte Wirkungen benötigen auch längere Zeit, um sich zu entwickeln, zum Beispiel die erhöhte Häufigkeit von Gastroduodenal-Ulzera bei gleichzeitiger Behandlung mit nicht steroidalen Antiphlogistika und Glucocorticoiden.

 

Einen Sonderfall stellen irreversible Monoaminoxidase-Hemmer wie Tranylcypromin dar: Dieser hat eine pharmakodynamische Halbwertszeit von 14 bis 21 Tagen, sodass die Monoaminoxidase-Hemmung nach dem Absetzen noch etwa 14 Tage anhält. Wechselwirkungen, zum Beispiel mit Sympathomimetika, Levodopa, Serotonin-Reuptake-Hemmern oder Opioiden, die auf der Monoaminoxidase-Hemmung beruhen, können daher noch entsprechend lange nach Behandlungsende auftreten.

 

Die Fach- und Gebrauchsinformationen der Hersteller geben häufig nur an, dass Arzneistoff A die Plasmakonzentration von Arzneistoff B erhöhen oder senken kann und Dosisanpassungen erforderlich werden können. In der ABDA-Datenbank wird darüber hinaus der zeitliche Verlauf einer Interaktion beschrieben, soweit sich dies aus der Literatur ergibt. Im Monographie-Text finden sich diese Angaben unter »Pharmakologischer Effekt«; die Begründung dafür liefert der Abschnitt über den Mechanismus. Im Abschnitt »Maßnahmen« wird angegeben, wann und wie lange beispielsweise Plasmakonzentrationen oder andere Parameter zu überwachen sind, um klinische Auswirkungen der Interaktion zu verhüten.

Beispiele für Interaktionen, die mit starker Verzögerung in Erscheinung treten

Interaktion protrahierter Effekt Mechanismus
Antikoagulanzien, orale - Amiodaron verstärkte blutgerinnungshemmende Wirkung unter Umständen erst nach mehrmonatiger Therapie; kann mehrere Monate nach dem Absetzen von Amiodaron anhalten Enzyminhibition
Antikoagulanzien, orale - Fluoropyrimidine verlängerte Blutungszeiten sowie Blutungskomplikationen meist nach einigen Tagen, können aber im Verlauf von mehreren Monaten weiter zunehmen beziehungsweise erst nach mehreren Wochen in Erscheinung treten Enzyminhibition
Antiphlogistika, nicht steroidale - Glucocorticoide erhöhte Inzidenz von Magenulzera und Magen-Darm-Blutungen während der gesamten Dauer der gleichzeitigen Anwendung nach mindestens einwöchiger Behandlung pharmakodynamisch
Cholesterol-Synthese-Hemmer - Colchicin erhöhtes Risiko von Myopathie und Rhabdomyolyse im Verlauf der gesamten Behandlung (beim Hinzukommen weiterer Risikofaktoren wie starke Muskelanstrengung, Dosiserhöhung) pharmakodynamisch/Enzyminhibition
Lithiumsalze - Schleifendiuretika bei gleichzeitiger Behandlung über mehrere Monate verstärkte Lithium-Wirkungen: Tremor, Sedierung, Ataxie, Nystagmus, Seh- und Sprachstörungen, Muskelschwäche, Polydipsie, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Durchfall Hemmung der renalen Lithium-Elimination
Methotrexat - Retinoide in Einzelfällen nach mehreren Wochen beziehungsweise Monaten schwere lebensbedrohende, jedoch reversible Hepatitiden pharmakodynamisch
Neuroleptika - Lithiumsalze sehr selten nach einigen Tagen bis Monaten neurotoxische Symptome möglich, irreversible Hirnschäden nicht auszuschließen pharmakodynamisch
Phenytoin - Sultiam im Verlauf von etwa vier Wochen steigende Phenytoin-Plasmakonzentrationen; je nach Ausgangskonzentration und individueller Empfindlichkeit Intoxikationssymptome Enzyminhibition
Reverse-Transkriptase-Hemmer (nukleosidisch) - Ribavirin erhöhtes Laktatacidose-Risiko, im Allgemeinen nach einigen Monaten der Behandlung ungeklärt
Vitamin-D-Derivate - Antiepileptika, enzyminduzierende nach mehreren Monaten bis Jahren Vitamin-D-Mangel mit asymptomatischer Hypocalciämie bis hin zur Osteomalazie möglich Enzyminduktion

Literatur

Horn, J. R., Hansten, P. D.: Disaster: Failing to consider the time course of drug interactions. Pharmacy Times, März 2006, Seite 30

ABDA-Datenbank: ABDATA Pharma-Daten Service, Eschborn, Stand August 2007

 

Anschrift der Verfasserin:

Dr. Petra Zagermann-Muncke

ABDATA Pharma-Daten Service

Carl-Mannich-Straße 26

65760 Eschborn

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