Allergene gegen Allergien |
07.12.2010 15:10 Uhr |
Von Christina Hohmann / Allergiker mit Allergenen konfrontieren: Das klingt nach Folter, ist aber ein wirksamer Therapieansatz. Die als spezifische Immuntherapie bekannte Methode ist mittlerweile etabliert und gilt als die einzige kausale Therapieoption.
Jedes Jahr, wenn es grünt und die Pollen fliegen, beginnt für viele Menschen die Leidenszeit: Die Nase läuft, die Augen jucken und Niesattacken treten auf. Sie leiden an allergischer Rhinitis, auch Heuschnupfen genannt. Schätzungen zufolge sind etwa 13 Millionen Deutsche betroffen. Manche Menschen leiden das gesamte Jahr an diesen Symptomen, wenn sie auf Tierhaare, Hausstaubmilben oder Schimmel allergisch reagieren. Lebensgefährlich kann es werden, wenn Menschen an Allergien gegen Insektengift leiden.
Ursache ist in allen Fällen eine Überreaktion des Immunsystems auf eigentlich harmlose Stimuli. Wieso es bei manchen Menschen zu dieser Überempfindlichkeit kommt, ist noch nicht vollständig verstanden. Fest steht, dass Allergiker IgE-Antikörper gegen harmlose Substanzen (Antigene) bilden. Sie sind somit sensibilisiert. Kommen sie ein weiteres Mal mit dem Antigen in Kontakt, binden die auf Mastzellen sitzenden IgE-Antikörper das Antigen und lösen die Degranulation der Mastzellen aus, was zum Freisetzen von Histamin und anderen Botenstoffen führt. Dies löst eine für Allergien typische Reaktionskette aus.
Die Symptome lassen sich mithilfe von Medikamenten behandeln oder durch Vermeidung des Allergens reduzieren. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, können Allergiker eine spezifische Immuntherapie (SIT) durchführen. Bei dieser langwierigen und teuren Methode wird dem Betroffenen das spezifische Allergen regelmäßig verabreicht. Dies führt über eine Reihe von immunologischen Veränderungen zu einer lang anhaltenden Toleranz gegen das Allergen. Dabei wird unter anderem die dominante Th2-Antwort, die mit der Allergie assoziiert ist, zugunsten einer stärkeren Th1-Antwort verschoben. Zudem soll die SIT einen »Isotypenswitch« herbeiführen, wobei mehr Antikörper des Typs IgG und weniger IgE gebildet wird.
Diese Mechanismen wurden für die subcutane Immuntherapie (SCIT) beschrieben, bei der das Allergen in Form eines Extrakts unter die Haut injiziert wird. Bei der neueren Form der sublingualen Immuntherapie (SLIT) werden die Allergene in Form von Tropfen oder Tabletten unter der Zunge deponiert. Für diese Methode sind die Wirkmechanismen noch nicht vollständig geklärt, doch die immunologischen Effekte sind ähnlich wie bei der SCIT, heißt es in der Leitlinie zur spezifischen Immuntherapie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie.
Strenge Indikationsstellung nötig
Eine SIT sollte grundsätzlich von einem Arzt durchgeführt werden, der über eine entsprechende allergologische Qualifikation verfügt. Zudem ist für eine SIT eine strenge Indikationsstellung notwendig. Sie sollte nur bei Personen durchgeführt werden, die eine nachgewiesene IgE-vermittelte Sensibilisierung und eine damit zusammenhängende klinisch relevante Symptomatik (eventuell über Provokationstest zu ermitteln) aufweisen und bei denen eine Allergenkarenz nicht möglich ist. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist, dass für das betreffende Allergen eine Allergenlösung erhältlich ist. Dies ist nicht für alle Allergien der Fall. Qualitativ hochwertige Produkte mit nachgewiesener Wirkung sind für Baum-, Gräser- und Roggenpollen, Beifuß, Insektengift, Tierhaare und Schimmelpilze verfügbar. Für Nahrungsmittelallergene stehen keine Extrakte zur Verfügung. Bei einer SIT sind zudem eine Reihe von Kontraindikationen zu beachten (siehe Kasten). Zudem ist vor einer Therapie eine Schwangerschaft auszuschließen, weil eine SIT aus Sicherheitsgründen nicht während einer Schwangerschaft begonnen werden sollte.
schlecht zu kontrollierendes oder mittel- bis schwergradiges Asthma bronchiale
kardiovaskuläre Erkrankungen mit erhöhtem Risiko von Nebenwirkungen nach Adrenalingabe
schwere Autoimmunerkrankungen, Immundefizienzen
maligne neoplastische Erkrankung
unzureichende Compliance
Entzündungen der Mundhöhle (SLIT)
Der Ablauf der Therapie unterscheidet sich bei den verschiedenen Allergenextrakten. Für jedes Produkt liegen Dosisrichtlinien der Hersteller vor. In der Regel wird in der Aufdosierungsphase die Dosis langsam gesteigert, bis eine Erhaltungsdosis erreicht ist. Diese wird dann in regelmäßigen Abständen (alle vier bis acht Wochen) für mindestens drei Jahre verabreicht. Die Injektionen sollte ein Arzt vornehmen, der zur Notfallbehandlung möglicher systemischer Nebenwirkungen von allergischen Reaktionen bin hin zu anaphylaktischem Schock oder schweren Asthmaattacken in der Lage ist. Die Injektionen werden in der Regel ambulant durchgeführt, bei Risikopatienten kann die Einleitung der SIT auch stationär erfolgen. Nach der Allergengabe sollte der Patient wegen möglicherweise auftretender Reaktionen mindestens 30 Minuten unter ärztlicher Kontrolle bleiben. Zudem sollte er den restlichen Tag schwere körperliche Anstrengung, Saunabesuche und Alkoholkonsum meiden.
Die SLIT hat gegenüber der SCIT den Vorteil, dass sie vom Patienten selbst zu Hause durchgeführt werden kann. Dabei sind die vom Hersteller beigefügten Gebrauchs- und Dosierungshinweise zu beachten. Zum Teil kann es nötig sein, die erste Gabe unter ärztlicher Kontrolle durchzuführen. Die Tropfen oder Tabletten sind unter der Zunge zu applizieren, wo sie zwei bis drei Minuten verweilen sollen, bis sie geschluckt werden können. Bei direktem Allergenkontakt kann Händewaschen helfen, eine Allergenverschleppung und dadurch ausgelöste Symptome an Augen oder Nase zu vermeiden.
In den ersten fünf Minuten nach der Einnahme sollte der Patient weder trinken, noch Zähne putzen. In der Regel gibt es auch bei der SLIT eine Steigerungsphase, in einigen Schemata entfällt diese aber oder ist stark verkürzt. Nach der Steigerungsphase wird die Höchstdosis täglich über zwei bis drei Jahre eingenommen. Die SLIT hat den Vorteil, dass sie weniger systemische Nebenwirkungen hervorruft als die SCIT.
Nachgewiesen wirksam
Die Wirksamkeit der subcutanen spezifischen Immuntherapie ist gut belegt, vor allem für die Rhinokonjunktivitis. Die meisten Daten liegen hier für die Therapie von Gräser- und Birkenpollenallergien vor. Sie belegen eine Abnahme der Symptome und des Medikamentenverbrauchs um etwa 45 Prozent. Auch bei der Therapie der Hausstaubmilben-, Tierhaar-, Schimmelpilz- und Insektengiftallergie ist die SCIT erfolgreich. Gegen Asthma ist die Therapie nur begrenzt wirksam: Studien zufolge senkt die Therapie zwar die Symptomstärke und den Medikamentenverbrauch, kann aber die Lungenfunktion nicht verbessern. Bei Kindern kann die Immuntherapie aber einen Etagenwechsel (Ausbildung von Asthma nach anfänglicher Rhinokonjunktivitis) und Neusensibilisierungen gegen weitere Allergene verhindern.
Weniger gut belegt ist der Nutzen der SLIT. Zur Wirksamkeit bei Rhinokonjunktivitis bei Gräserpollenallergie ist die Datenlage gut, bei anderen Indikationen eher dünn. Die SLIT sollte daher laut Leitlinie nur eingesetzt werden, wenn die SCIT zum Beispiel wegen Spritzenphobie oder Unverträglichkeit der Injektionen nicht infrage kommt. /