Pharmazeutische Zeitung online

Das Gedächtnis des Wassers

05.12.2005  17:05 Uhr

Homöopathie

Das Gedächtnis des Wassers

von Peter Nuhn, Halle (Saale)

 

Der Streit über ihre Wirksamkeit ist so alt wie die Homöopathie selbst. Denn die alternativen Medikamente sind oft so stark verdünnt, dass rein rechnerisch kein Wirkstoffmolekül mehr darin vorhanden sein kann. Dennoch sollen sie dank des »Gedächtnisses des Wassers« helfen. Aber gibt es dies überhaupt?

 

Wasser ist eine Flüssigkeit mit außergewöhnlichen Eigenschaften. Zu den physikochemischen Besonderheiten gehören ein im Vergleich zur Größe des Moleküls viel zu hoher Siedepunkt, die Tatsache, dass Wasser im flüssigen Zustand dichter gepackt ist als im festen Zustand (Eis schwimmt auf Wasser) und die abnorm hohe spezifische Wärme. Als relativ kleines Molekül mit der Molmasse 18 dürfte es unter unseren »Normalbedingungen« (Temperatur, Druck) flüssiges und festes Wasser (Eis) eigentlich gar nicht geben. Der Grund für die abweichenden Eigenschaften des Wassers liegt im Dipolcharakter des Moleküls.

 

Wasser ist ein polares Molekül, bei dem die zwei Wasserstoffatome und das eine Sauerstoffatom ein Dreieck mit asymmetrischer Ladungsverteilung bilden (Sauerstoff negativ, Wasserstoff positiv). Dadurch haben die Wassermoleküle eine große Affinität zueinander. Wasser bildet Wasserstoffbrücken aus, die Moleküle orientieren sich zueinander, bilden mehr oder weniger geordnete Strukturen (dreidimensionale Vernetzung) mit allerdings sehr geringer Verweildauer. Nach neueren Untersuchungen halten die Wasserstoffbrücken durchschnittlich nur 50 Femtosekunden. Jedes Molekül kann Kontakte mit bis zu vier Nachbarn knüpfen. Im Eis sind die Wasserstoffbrücken starr fixiert. Diese Eiskristalle sind eine Gefahr für jedes Leben: sie treiben gelöste Substanzen aus ihrem Gitter und zerstören rein mechanisch intrazelluläre Strukturen. Natürliche Kryoprotektoren (mehrwertige Alkohole wie Glycerol, Gefrierschutzproteine) können die Zellen vor dieser Gefahr schützen.

 

Neben diesem hexagonalen Eis existieren im interstellaren Raum noch verschiedene Formen von amorphem Eis (1). Innerhalb dieses amorphen Eises unterscheidet man heute drei Arten festes glasartiges Wasser und zwei Arten flüssiges glasartiges Wasser, bei denen die Wasserstoffbrücken nicht fest fixiert sind. Bei Bestrahlung mit ultraviolettem Licht kann unser bekanntes kristallines (hexagonales) Eis in derartiges kosmisches Eis übergehen. Im Unterschied zum kristallinen Eis mit seinem starren Gitter können in das amorphe Eis organische Substanzen eingelagert sein. Das interstellare Eis, wie es in Form von Kometen vorliegt (»schmutzige Schneebälle«) könnte deshalb der Ort sein, wo sich die ersten organischen Verbindungen gebildet haben. Durch Einschlag solcher Kometen könnten dann organische Moleküle, wie sie im interstellaren Raum auch tatsächlich nachgewiesen sind, auf die Erde gelangt sein und hier zur Entstehung jener »Ursuppe« beigetragen haben, in der das Leben entstand.

 

Für biochemische Vorgänge entscheidend ist, dass Wasserstoffbrücken nicht nur zwischen den Wassermolekülen, sondern auch mit Ionen und Dipolen ausgebildet werden (Hydratation). Diese durch Hydratation gebundenen Wassermoleküle bezeichnet man auch als gebundenes Wasser im Unterschied zum freien Wasser. Das durch Hydratation an Proteine gebundene Wasser wird auch durch Gefriertrocknung nicht abgegeben. Erst durch die Hydratation werden biologische Membranen gebildet oder erhalten Proteine und andere Biomoleküle ihre biologisch wirksame Struktur. Diese Funktion des Wassers ist auch theoretisch nicht durch eine andere Verbindung zu erreichen, deshalb ist die Behauptung »Ohne Wasser kein Leben« durchaus berechtigt.

 

Poly- oder Superwasser gibt es nicht

 

Die außerordentliche Vielfalt der Wechselwirkungen von Wassermolekülen untereinander, mit anderen Molekülen und mit Grenzflächen hat allerdings auch immer wieder zu Fehlinterpretationen geführt. Schon etwas länger liegt die Diskussion um ein so genanntes Poly- oder Superwasser oder nach seinem »Entdecker« Deryagin-Wasser zurück. Ausgangspunkt für die »Entdeckung« des Polywassers waren Untersuchungen sowjetischer Wissenschaftler, die sich mit dem physikochemischen Verhalten von Wasser in engen Kapillaren beschäftigten und feststellten, dass sich dieses (anomale) Wasser in Siede- und Schmelzpunkt, Dichte und spezifischer Wärme vom normalen Wasser unterschied.

 

Das Kernproblem war, wie feste Oberflächen auf Wasser oder allgemeiner auf Flüssigkeiten weitreichende Ordnungseffekte ausüben können. Zum gesicherten Wissen gehört, dass der Übergang zwischen gebundenem Wasser (hydratisierte hydrophile Gruppen) und freiem Wasser unscharf ist. Das abweichende Verhalten des anomalen Wassers konnte dann auch von anderen Arbeitsgruppen bestätigt werden. Es wurden Modelle entwickelt, die die außergewöhnlichen Eigenschaften des Polywassers erklären sollten.  Ende der sechziger Jahre wurden aber die Stimmen vernehmlicher, die die Ansicht vertraten, dass die ungewöhnlichen Eigenschaften dieses Wassers auf Verunreinigungen zurückzuführen sind, die die Anordnung der Wassermoleküle beeinflussen (4). Als Verunreinigungen wurden vor allem Schweiß und Silicate diskutiert. Anfang der siebziger Jahre hat sich die »Verunreinigungstheorie« dann durchgesetzt und das Polywasser verschwand langsam wieder aus der wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Literatur (2, 3).

 

Wissenschaftliche Belege fehlen

 

In Erklärungsnot kommen verständlicherweise diejenigen, die eine »Hochpotenzchemie« betreiben, das heißt mit Verdünnungen arbeiten, in denen rein rechnerisch kein Molekül mehr in den Versuchslösungen enthalten sein dürfte. Das ist auf Grund der Loschmidtschen Zahl (auch Avogadrosche Konstante) zu ermitteln, die die Anzahl der Moleküle/Mol angibt und 6,025 x 1023 beträgt.

 

Die Verwendung von Hochpotenzen ist neben dem Prinzip »similia similibus curentur« (Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden) einer der Grundpfeiler der Homöopathie. Unter Potenzierung (vom lat. potentia = Kraft, Wirksamkeit) verstand Samuel Hahnemann, dass unter dem Einfluss des intensiven Schüttelns (Dynamisation) die Wirksamkeit der homöopathischen Mittel noch gesteigert wird. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete Hahnemann mit Potenzen im Bereich zwischen C 150 und C 200 sowie im Q-Bereich (D-Potenz: 1:9; C-Bereich: 1:99; Q-Bereich: 1:50.000). Etwa ab einer D 7 ist die Urtinktur auf Grund der Verdünnung nur noch Nebeninhaltsstoff. Von Anfang der Homöopathie an trat das Erklärungsproblem auf, wie sich die Urtinktur gegenüber anderen Stoffen bei den weiteren Potenzierungen »durchsetzen« kann (5-9). Im § 270 seines »Organon der Heilkunde« (10) äußert sich Hahnemann dazu: Ungemein wahrscheinlich wird es hierdurch, dass die Materie mittels solcher Dynamisationen (Entwicklung ihres wahren, inneren, arzneilichen Wesens) sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse und daher in ihrem rohem Zustande, eigentlich nur als aus diesem unentwickelten geistartigen Wesen bestehend betrachtet werden könne. Mit einem »geistartigen Wesen« homöopathischer Mittel lässt sich heute natürlich nicht mehr argumentieren, zumal Vorstellungen entwickelt werden müssten, wie diese »geistartigen Wesen« entstehen und sich durch Schütteln sogar noch vermehren können. Im Folgenden soll auf einige Erklärungsversuche der letzten Jahre eingegangen werden.

 

Keine reproduzierbaren Ergebnisse

 

Der Streit um das »Gedächtnis des Wassers« wurde 1988 durch eine Veröffentlichung des Franzosen Jacques Benveniste im Fachmagazin »Nature« ausgelöst (11). Jacques Benveniste (1935-2004), Mediziner und Immunologe, war zu dieser Zeit Forschungsdirektor des staatlichen Instituts INSERM (Institut de la Santé et de la Recherche Médical) in Paris. Benveniste war 1970 international bekannt geworden durch die Entdeckung des Plättchen-aktivierenden Faktors (PAF) und war Ritter der Ehrenlegion. In dem erwähnten Artikel berichtete die Arbeitsgruppe um Benveniste über Versuche mit einem Antiserum, das Antikörper der Klasse IgE enthält und basische Leukozyten degranuliert. Das Bemerkenswerte und Aufsehenerregende war nun, dass mit Verdünnungen bis zu einer Konzentration von 2.2x10-126 M gearbeitet wurde, also in einem Bereich, in dem rein rechnerisch keine Antikörpermoleküle mehr enthalten sein konnten.

 

Daraufhin reiste Nature-Chefredakteur John Meddox zusammen mit dem Fälschungsexperten Walter Stewart und dem amerikanischen Pseudowissenschafts-Gegner James Randi nach Paris, um die Experimente zu überprüfen. Randi hat inzwischen einen Preis in Höhe von einer Million Dollar für den Nachweis »paranormaler, supernatürlicher oder okkulter Kräfte« gestiftet. Die negativ verlaufenen Ergebnisse der Überprüfung (»High-dilution« experiments a delusion) (12) wurden zusammen mit den bei der Redaktion eingegangenen kritischen Lesermeinungen und einer Entgegnung von Benveniste in einem späteren Heft von »Nature« veröffentlicht (12 - 14). Unabhängige Gutachter konnten die Ergebnisse nicht reproduzieren und wiesen auf systematische Fehler bei der Versuchsdurchführung hin. Benveniste selbst stand allerdings zu seinen Ergebnissen bis zuletzt. Benveniste schreibt von McCarthy-like prosecutions (14) und beschwert sich über den Dilletantismus der von Heddox geleiteten Kontrollversuche. Die einzelnen Etappen des beispiellosen Wissenschaftsskandals um Benveniste sind in (15) zusammengetragen. Nur am Rande sei erwähnt, dass Benveniste 1991 und nochmals 1998 den »Ig Nobelpreis« für Chemie erhalten hat. Der Ig-Nobelpreis (von engl. ignoble) ist ein Anti-Nobelpreis oder besser gesagt Schandpreis, der von der Havard-University für ungewöhnliche Forschungsergebnisse verliehen wird, die nicht wiederholt werden können.

 

Auf Grund des Vorwurfes fehlerhafter oder gefälschter Experimente wurden Benveniste die staatlichen Fördermittel entzogen und 1992 die Abteilung von Benveniste am INSERM geschlossen. Benveniste gründete eine eigene Firma »DigiBio«, in der er seine Untersuchungen zum »Wassergedächtnis« bis zu seinem Tod fortsetzte.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Untersuchungen von Benveniste mit ultrahochverdünnten Lösungen und seine Vorstellungen, dass ein Molekül Informationen im Wasser hinterlässt, auch wenn es nicht mehr anwesend ist ­ als ob sich das Wasser daran erinnere, das Molekül  gesehen zu haben ­ begeistert als wissenschaftliche Begründung der Homöopathie mit ihren Hochpotenzen interpretiert wurden. Die Erklärungsversuche für die Informationsspeicherung als Grundlage des Wassergedächtnisses variieren allerdings. Benveniste erklärte es damit, dass jedes Molekül ein elektromagnetisches Signal sendet, das auch erhalten bleibt, wenn das Molekül nicht mehr vorhanden ist. Benveniste prägte den Begriff einer digital biology. Benveniste und später auch Schiff (15) führten dann so genannte Übertragungsexperimente durch, bei denen die in einem Röhrchen durch »elektromagnetische Felder« gespeicherten substanzspezifischen Informationen durch elektrische Leitung ohne jeden Stofftransport auf ein zweites Röhrchen übertragen werden sollen. Die Versuche des Physikers und Nobelpreisträgers Georges Charpak, gemeinsam mit Benveniste die von diesem postulierten »elektromagnetischen Molekülinformationen« (electromagnetic signals) 1995 nachzuweisen, führten allerdings zu keinem Ergebnis.

 

Wenn, dann nur Kurzzeitgedächtnis

 

Interessant sind die Untersuchungen des Chemikers Louis Rey (16). Rey verdünnte Salzlösungen, darunter Kochsalz, so lange, dass rein rechnerisch in den extrem verdünnten Lösungen kein Salz mehr vorhanden sein dürfte. Trotzdem zeigte die Thermolumineszenz nach Gammabestrahlung in diesen Lösungen deutlich andere Intensitäten als in »reinem« Wasser. Rey führte diese »Gedächtniseigenschaften« des Wassers auf veränderte Wasserstoffbrückenbindungen zurück. Allerdings sind diese Effekte extrem kurzlebig und für eine Begründung der Hochpotenz-Homöopathie ungeeignet.

 

Inzwischen sind auch von anderen Arbeitsgruppen Versuche auf dem Gebiet der »Hochpotenzchemie« publiziert worden. 2001 berichtete die Pharmakologin Madeleine Ennis von der University of Belfast von biologischen Wirkungen, die hoch verdünnte Lösungen hervorgerufen haben sollen.

 

2004 wurden von Nieber und Mitarbeitern über In-vitro-Wirkungen am Rattendarm  mit Belladonnaextrakten  bis zur Potenzierung D100 (nach HAB geschüttelt und nicht gerührt, wie betont wird) berichtet (19). In der Pressemitteilung der Universität Leipzig anlässlich der Verleihung des Hans-Heinrich-Reckeweg-Preises der Internationalen Gesellschaft für Homotoxikologie e. V. und der Internationalen Gesellschaft für Biologische Medizin e. V. für den Wirkungsnachweis homöopathischer Mittel heißt es dazu: Die Wirkung kann also nicht auf einer Substanzwirkung beruhen, sondern offensichtlich treten durch den homöopathischen Verdünnungsprozess Modifikationen des flüssigen Arzneiträgers auf, die zu einer physiko-chemischen Beeinflussung von Übertagungsmechanismen führen ­ denn ohne Schütteln keine Wirkung! Die Untersuchungen und eine Dissertation zu einem ähnlichen Thema (20) sind auf harte Kritik gestoßen (10, 11). Besonders problematisch sind die Aussagen über die Art der »physikalischen Information« über die die Wirkung vermittelt werden soll, da auf Grund der Verdünnung auf einer molekularen Ebene nicht mehr diskutiert werden kann.

 

Fazit: Bislang gibt es keine eindeutigen Ergebnisse, die ein »Gedächtnis des Wassers« belegen.

 

Literatur

<typolist type="1">

Blake, David F., Peter Jenniskens: Kosmisches Eis. Wiege des Lebens? Spektrum der Wissenschaft (2001) 28-34.

Franks, F., Polywasser. Betrug oder Irrtum in der Wissenschaft? Vieweg 1984.

Schuller, D., Zum Problem Polywasser. Naturwissenschaften 60 (1973) 145-151.

Rousseau, D.L., Porto, S.P.S., Polywater: Polymer or Artefakt? Science 167 (1970) 1715-1718.

Jacobi, U. I.: Der Hochpotenzstreit. Von Hahnemann bis heute. Eine pharmazeutische Untersuchung. Dissertation, Heidelberg 1993

Sauerbeck, Karl-Otto. Wie gelangte Hahnemann zu den Hochpotenzen? Ein Kapitel aus der Geschichte der Homöopathie. Allgemeine Homöopathische Zeitung 235 (1990) 223-232.

Prokop, L., Prokop, O. : Homöopathie und Wissenschaft. Stuttgart 1957

Harisch, Günter: Jenseits von Milligramm. Springer, Heidelberg 1990

Resch, Gutmann: Wissenschaftliche Grundlagen der Homöopathie. Barthel & Barthel, 1994 

Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. Hrsg.: J. M.Schmidt. Stuttgart 1999

Davenas, E., Beauvais, F., Amara, J., Oberbaum, M., Robinzon, B., Miadonna, A., Tedeschi, A,; Pomeranz, B., Fortner, P., Belon, P., Sainte-Laudy, J., Poitevin, B., Benveniste, J.: Human basophil degranulation triggered by very dilute antiserum against IgE. Nature 333 (1988) 816-818.

Maddox, J., Rand, J., Stewart, W. W. : High-dilution experiments a delusion. Nature 334 (1988) 287-290.

Nature 334 (1988) 285-286

Jacques Benveniste replies. Nature 334 (1988) 291

Schiff, M., Das Gedächtnis des Wassers. Homöopathie und ein spektakulärer Fall von Wissenschaftszensur. Zweitausendeins 1999

Rey, Louis. Physica A (2003)

www.xy44.de/belladonna/radau

 

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Peter Nuhn

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Institut für Pharmazeutische Chemie

Wolfgang-Langenbeck-Straße 4

06120 Halle/Saale

nuhn(at)pharmazie.uni-halle.de

Mehr von Avoxa