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Chronobiologie

Die innere Uhr des Immunsystems

29.11.2017  10:38 Uhr

Von Elke Wolf, München / Ob es nach einer Virusinfektion zum Ausbruch der Erkrankung kommt und wie schwer diese dann verläuft, hängt auch vom Zeitpunkt der Ansteckung ab. Dass die innere Uhr wesentlich Einfluss auf Immunfunktionen und damit auf die Ausprägung eines Infekts nimmt, ist eine relativ neue Erkenntnis.

»Unsere innere Uhr ist ein fundamentales biologisches Prinzip, das sämt­liche physiologische und Verhaltensrhythmen steuert«, sagte Professor Dr. Achim Kramer vom Institut für ­Medizinische Immunologie an der Berliner Charité auf einer von Sanofi-Aventis ausgerichteten Pressekonferenz in München. »Praktisch alle Zellen unseres Körpers haben eine innere Uhr. Und die steuert viele Funktionen – von der Zellteilung bis zum Schlaf.«

 

Uhr-kontrollierte Gene

Dabei fungiert der suprachiasmatische Nukleus (SCN) hinter dem Auge als Haupttaktgeber. Er wird durch Licht-Dunkel-Zyklen über spezielle Blaulicht-sensitive Zellen im Auge mit der Umwelt synchronisiert. Der SCN dirigiert ein in nahezu jeder Körperzelle vorhandenes genregulatorisches Netzwerk. Er steuert eine ganze Klasse von Uhr-kontrollierten Genen, die dann ihrer­seits die jeweiligen zellulären Prozesse tageszeitlich regulieren, erklärte Kramer.

 

Dass die Schwere einer Virusinfek­tion, etwa einer Erkältung oder einer Influenza, auch davon abhängt, zu welcher Tageszeit die Ansteckung erfolgte, hat im vergangenen Jahr ein britisches Forscherteam herausgefunden (DOI: 10.1073/pnas.1601895113). Der Tag-Nacht-Rhythmus bestimmt mit, wie gut sich Viren vermehren können. Bei Mäusen und in Zellkulturen vermehrten sich Influenza- und Herpes­viren zehnmal schneller, wenn sich die Tiere zu Beginn ihrer Ruhephase – bei den nachtaktiven Nagern also in den Morgenstunden – infizierten. Wurde die ­innere Uhr dagegen blockiert und ­arbeiteten die Forscher mit Mäusen, denen Bmal1 – ein Schlüsselgen für die innere Uhr – fehlt, hatten die Viren von Tageszeiten unabhängig leichtes Spiel.

 

Dieses zelluläre Wechselspiel von Uhren­genen und Viren könnte auch die erhöhte Anfälligkeit gegenüber Virusinfekten in der kalten Jahreszeit erklären. Weil Bmal1 in den Wintermonaten weniger aktiv ist als im Sommer, könnten sich Influenza und andere Erkrankungen in den Wintermonaten stärker verbreiten, spekulierte Kramer, selbst Biochemiker und Chronobiologe.

 

Die Studienergebnisse seien auch eine Erklärung dafür, warum Menschen mit gestörtem Tagesrhythmus oft anfälliger für Viruserkrankungen sind: Ist ihre innere Uhr durch Schichtarbeit oder Jetlag beeinträchtigt, erleichtert dies die Vermehrung von Viren im Körper, informierte der Chronobiologe. »Schichtarbeit und Jetlag führen zu internen Desynchronisationen und Störung von normalen immunologischen Funktionen.« Das zeige etwa eine Studie aus dem Jahr 2013 (DOI: 10.1016/j.jphysparis.2013.03.007).

 

Auch die Effektivität von Impfungen könnte von der Tageszeit abhängen, ­betont Kramer. So ergab kürzlich eine Studie, dass eine Grippeimpfung in den Morgenstunden im Vergleich zu solchen am Nachmittag höhere Antikörperlevel nach sich zieht. Wie Wissenschaftler in der Fachzeitschrift »Vaccine« berichteten, waren bei ­Senioren über 65 Jahren einen Monat nach der Impfung höhere Konzentrationen von Antikörpern nachweisbar, wenn sie die Impfung zwischen 9 und 11 Uhr morgens erhalten hatten (2016, DOI: 10.1016/j.vaccine.2016.04. 032). Die andere Gruppe der Senioren wurde zwischen 15 und 17 Uhr nachmittags geimpft.

 

Tageszeitliche Regulation

 

»Dass Tagesrhythmen für das Immunsystem eine wesentliche Rolle spielen, vermutet man schon seit vielen Jahrzehnten. Aber welche konkreten Mechanismen dahinterstecken, deckt man erst nach und nach auf«, sagte Kramer. So weiß man inzwischen, dass die ­Anzahl von Immunzellen im Blut und im Gewebe je nach Tageszeit schwankt. Auch die Aktivität von Entzündungsmediatoren ist tageszeitlich reguliert, weil es Unterschiede in der Sensitivität von Zellen des angeborenen Immunsystems gibt.

 

Solche Rhythmen bestimmen dann die Symptomatik von immunologischen Erkrankungen, können aber auch für die Therapie genutzt werden, informierte der Referent. So gibt es bei der rheumatoiden Arthritis tageszeitliche Unterschiede in der Symptomatik. Am frühen Morgen sind Steifheit und Schmerz der betroffenen Gelenke ausgeprägter als zu anderen Tageszeiten. Weil dies mit einem morgendlichen ­Anstieg von Entzündungsmediatoren wie Interleukin-6 korreliert, konnte man das mit der rechtzeitigen Einnahme von Glucocorticoiden verhindern.

 

Auch bei Erkältungskrankheiten gibt es seit vielen Jahren Berichte, dass Symptome wie verstopfte oder laufende Nase oder Husten zu bestimmten Tageszeiten schwerer sind. Kramer: »Meist wird berichtet, dass diese Beschwerden morgens direkt nach dem Aufwachen verstärkt auftreten. Es ist also denkbar, dass wie bei der rheumatoiden Arthritis auch bei Erkältungskrankheiten die Schwere der Symptome von immunologischen Tagesrhythmen reguliert wird.« Externe Faktoren wie liegende Position in der Nacht, der Schlaf an sich oder Allergene im Schlafzimmer könnten aber auch einen Einfluss auf die Atemwege ausüben und müssten berücksichtigt werden. /

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