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Antibiotika

Wunderwaffen werden stumpf

22.11.2011  15:47 Uhr

Von Annette Mende, Berlin / Quo vadis Antibiotika? Dieser Frage gingen am Europäischen Antibiotika-Tag mehrere Experten bei einem Symposium der Paul-Ehrlich-Gesellschaft nach. Deutlich wurde, dass die rasante Zunahme von Resistenzen ein immenses Problem darstellt. Die einstigen Wunderwaffen gegen Infektionen werden immer stumpfer.

Pro Jahr werden in Deutschland 250 bis 300 Tonnen Antibiotika in der Humanmedizin verbraucht. Der Einsatz der Medikamente kann Leben retten, doch nicht immer werden die richtigen Antibiotika in angemessener Dosierung und Dauer gegeben. Die Folge sind zunehmende Resistenzen, vor allem bei gramnegativen Bakterien wie Escherichia coli. Ein Beispiel sind Extended-Spectrum-Betalactamase-Bildner (ESBL), die außer Penicillinen auch die meisten Betalactam-Antibiotika hydrolysieren können, etwa Cephalosporine der dritten und vierten Generation.

 

Die Verbreitung von ESBL-bildenden E. coli hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Dagegen geht die Bedeutung von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) tendenziell zurück. »ESBL-bildende E. coli sind mittlerweile wichtiger als MRSA, obwohl Letztere häufig noch immer als Synonym für Krankenhaus-Problemkeime angesehen werden«, sagte Professor Dr. Michael Kresken, Wissenschaftlicher Sekretär der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, in Berlin. Wie schwierig es ist, ESBL-bildende Keime in den Griff zu bekommen, zeigt sich aktuell im Fall eines Bremer Klinikums, in dem seit August drei Frühchen an Infektionen mit ESBL-bildenden Klebsiellen starben.

Als Bestandteil der natürlichen Darmflora ist E. coli ein sogenannter Kommensale, also ein Lebewesen, das sich von Nahrungsbe­standteilen des Wirts (Menschen) ernährt, ohne ihn zu schädigen. Außerhalb des Darms kann eine Besiedelung mit E. coli pathologisch werden. So ist der Keim vor allem als Erreger von ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen bekannt. Doch sind Coli-Bakterien häufig auch die Ursache für andere Infektionen, darunter Beatmungs­pneu­monien und Sepsis. In diesen Fällen können multiresistente Erreger lebensbedrohlich werden.

 

»Mittlerweile ist jede zehnte Krankenhaus-Infektion mit E. coli auf einen ESBL-Keim zurückzuführen«, sagte Kresken. Da bereits mehr als ein Viertel der Erregerstämme (25 bis 30 Prozent) gegen Fluorchinolone resistent sind, eignen sich diese Antibiotika nicht mehr zur Behandlung von schweren Infektionen, wenn der Verdacht einer Beteiligung von E. coli besteht. Wirksam sind – noch – die Carbapeneme. »Doch lassen Daten aus Griechenland und der Türkei befürchten, dass auch gegen diese Antibiotika bald Resistenzen auftauchen werden«, sagte Kresken.

 

Der Ursprung des immer größer werdenden Resistenzproblems ist laut Kresken im ambulanten Bereich zu suchen. Dieser mache in Deutschland etwa 85 bis 90 Prozent des Antibiotikaverbrauchs aus. Zwar sei die Häufigkeit von Antibiotikaverordnungen in den vergangenen Jahren nicht nennenswert gestiegen. »Doch der Anteil breit wirkender Antibiotika wie Cephalosporine und Fluorchinolone am Gesamtverbrauch hat dramatisch zugenommen«, so der Infektiologe.

 

Schweden machts vor

 

Einen Grund für diese Entwicklung sieht Kresken im Preisverfall bei generischen Substanzen. »Wenn Reserveantibiotika nur noch ein paar Cent pro Tablette kosten, werden sie einfach häufiger verordnet.« Das sei aber fatal, denn »wir sind bis auf Weiteres verdammt dazu, mit den Substanzen zurechtzukommen, die wir haben.« In den kommenden Jahren sei nicht damit zu rechnen, dass neue Antibiotika mit guter Aktivität gegen gramnegative Bakterien auf den Markt kommen werden. Der Einsatz breit wirksamer Substanzen müsse daher dringend reduziert werden.

 

Dass das bei dennoch guter Versorgung der Patienten funktionieren kann, machen uns etwa die skandinavischen Länder vor. Dort kommen Reserveantibiotika deutlich seltener zum Einsatz. Während Oralcephalosporine und Fluorchinolone in Deutschland bei ambulanten Verordnungen mehr als ein Fünftel des Antibiotikaverbrauchs ausmachten (22 Prozent), seien es in Schweden nur knapp 8 Prozent, berichtete Kresken. Logische Konsequenz aus dem vernünftigeren Umgang mit den Antiinfektiva: Die Resistenzsituation stellt sich durchweg günstiger dar als hierzulande.

 

Wie stark Multiresistenzen in der deutschen Intensivmedizin mittlerweile schon die Auswahl an wirksamen Antibiotika einschränken, machte Professor Dr. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover anhand der Behandlungsoptionen bei MRSA-Infektionen deutlich. »Das wesentliche Antibiotikum zur Behandlung von MRSA-Infektionen war in den vergangenen Jahrzehnten Vancomycin. Die Substanz wurde gegeben, obwohl klar war, dass sie schlecht gewebegängig ist und es gerade bei Pneumonien eine hohe Rate an Therapieversagern gibt«, sagte Welte.

Hygiene verbessern

 

Alternativ zum Vancomycin steht mit Linezolid eine bakteriostatische Substanz mit guter Gewebepenetrabilität zur Verfügung, die sich in der Therapie der MRSA-Pneumonie etablierte, obwohl die Zulassungsstudien nur eine begrenzte Zahl an Patienten mit dieser Indikation eingeschlossen hatten. »Das ist ein Grundproblem, dem wir immer wieder begegnen. Die Studien werden mit gesunden Freiwilligen gemacht. Für die eigentliche Population, nämlich die multimorbiden Patienten auf der Intensivstation, gibt es so gut wie keine Daten«, sagte Welte.

 

Anders als Linezolid zeigt Daptomycin keine Aktivität in der Lunge, weshalb es für die Behandlung von Pneumonien ausscheidet. Es hat aber seinen Platz in der Therapie von MRSA-Infektionen, vor allem aufgrund seiner hohen Bakterizidie und der Fähigkeit, Biofilme zu penetrieren. Tigecyclin, eine Weiterentwicklung des Doxycyclins, ist nur zur Behandlung von intraabdominellen Infektionen und schweren Haut- und Weichteilinfektionen zugelassen. Telavancin ist deutlich besser gewebegängig als Vancomycin, darf aber nicht bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt werden.

 

Die Liste der Antibiotika, die gegen multiresistente Keime (noch) wirksam sind, ist also kurz. Welte betonte daher wie sein Vorredner nachdrücklich, dass der rationale Umgang mit den Substanzen essenzielle Bedeutung hat. Dazu sei unter anderem eine Verbesserung der Hygienemaßnahmen erforderlich. »Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Maßnahmen wie etwa die ‚Aktion Saubere Hände‘ an geschultes und überhaupt vorhandenes Personal gebunden ist. Wenn aus Kostengründen immer mehr Personal abgebaut wird, dient das nicht gerade der Infektionskontrolle«, sagte Welte. /

Vom Teller in den Darm

Nicht nur Menschen werden häufig mit Antibiotika behandelt, auch die moderne Nutztierhaltung kommt ohne den Einsatz der Arzneistoffe nicht aus. Dabei findet schon bei sehr geringen Konzentrationen der Substanzen eine Selektion resistenter Mikroorganismen statt. Diese gelangen über die Nahrungskette in den Menschen, können als Erreger von Zoonosen selbst krank machen oder als Kommensale im Darm ein Resistenzreservoir bilden, aus dem die Resistenzgene auf andere, virulente Erreger übertragen werden können.

 

Um die Resistenzsituation zu beobachten, untersucht das Nationale Referenzlabor für Antibiotikaresistenz am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) daher regelmäßig Stichproben aus Nutztierbeständen und daraus gewonnenen Lebensmitteln. Die dabei ermittelten minimalen Hemmkonzentrationen (MHK) bewertet das BfR anhand von sogenannten epidemiologischen Cut-off-Werten. Diese markieren den Beginn der Resistenzentwicklung gegen ein bestimmtes Antibiotikum, sind aber niedriger als die klinischen Grenzwerte, ab denen die Erreger therapieresistent sind. Besonders problematisch sind Resistenzen gegen Wirkstoffgruppen, die als »critically important« eingestuft werden und sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin eingesetzt werden, etwa Cephalosporine, Fluorchinolone und Makrolide.

 

Laut jüngstem Überwachungsreport des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ist bei E. coli europaweit ein Anstieg der Resistenz gegen alle Wirkstoffklassen zu beobachten. Das ECDC bezeichnet in dem Report resistente Krankheitserreger als die bedeutendste Krankheitsgefahr in Europa.

 

Verschiedene EU-Mitgliedsstaaten haben Systeme zur Erfassung der Abgabe- oder Verbrauchsmengen von Antibiotika in der Veterinärmedizin etabliert, doch nicht so Deutschland. Hierzulande schreiben die Leitlinien der Bundestierärztekammer vor, dass Antibiotika nur dann eingesetzt werden sollen, wenn es nicht zu vermeiden ist. Die Realität sieht aber offenbar anders aus. So zeigen die Ergebnisse eines vom BfR in Auftrag gegebenen Forschungsprojekts, dass Mastschweine während ihres Lebens durchschnittlich 5,9 Mal mit Antibio­tika behandelt werden, Milchrinder pro Lebensjahr 2,5 Mal und Mastkälber pro Lebensjahr 2,3 Mal. Eine Studie zum Antibiotikaeinsatz in der Hähnchenmast in Nordrhein-Westfalen ergab, dass fast alle Hähnchen zumindest einmal in ihrem Leben antibiotisch behandelt werden (96,4 Prozent). Um die weitere Zunahme von Resistenzen zu verhindern, müsste daher nicht nur in der Humanmedizin besonnener mit Antibiotika umgegangen werden, sondern auch in der Veterinärmedizin und Tiermast.

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