Überschätzte Pflanzenkraft |
29.10.2007 15:24 Uhr |
<typohead type="3">Überschätzte Pflanzenkraft
Von Sven Siebenand, Berlin
Nahrungsergänzungsmittel mit Copalchi-Rinde, Merasingi-Blätter, Nopalkaktus und Co. erfreuen sich zu Unrecht größter Beliebtheit bei Diabetikern. Im Regelfall ist deren Einnahme nicht empfehlenswert und kann die Arzneimitteltherapie nicht ersetzen.
Während Patienten verschreibungspflichtigen Medikamenten meist kritisch gegenüberstehen, ist das Risikoverhalten bei Nahrungsergänzungsmitteln ein ganz anderes, sagte Apotheker Dr. Eric Martin, Marktheidenfeld, auf der Herbsttagung für Praktische Diabetologie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft am vergangenen Wochenende. Die in vereinzelten Studien nachgewiesenen positiven Wirkungen dieser häufig stark beworbenen Nahrungsergänzungsmittel mit teilweise unkonventionellen Inhaltsstoffen zeigen sich insbesondere bei Patienten, deren Blutzuckerspiegel schlecht eingestellt ist. Dagegen ist der Nutzen bei gut behandelten Patienten nur gering.
Als Beispiel dafür führte der Apotheker Zimt-Präparate an. Für diese liegen im begrenzten Umfang kontrollierte Studien vor. Ihr Kennzeichen: beeindruckende Ergebnisse, allerdings auch erhebliche methodische Mängel, so Martin. Zum Beispiel ließen Studiengröße sowie ethnische Zusammensetzung zu wünschen übrig und es bestehe keine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Der Referent führte eine Studie an, in die Patienten mit einem Nüchtern-Blutzucker zwischen 200 und 300 mg/dl einbezogen wurden. »Wirksam, aber bei welchen Patienten«, lautete Martins Fazit.
Chrom, Vanadium oder gar nichts
Auch für Bockshornklee-Samen, Nopalkaktus, Bittermelone, Ginseng und Merasingi-Blätter ist die Datenbasis mau, was kontrollierte Studien anbelangt. Keinerlei valide Studiendaten, sondern nur In-vitro-Ergebnisse konnte Martin für Copalchi-Rinde anführen. »Um dieses Adjuvans sollte man besser einen großen Bogen machen«, schlussfolgerte der Referent.
Auch von der Einnahme von Spurenelementen versprechen sich viele Diabetiker gesundheitlichen Nutzen. Renner seien Mittel mit Chrom, Zink oder Vanadium. Für alle drei sei die Wirksamkeit aber nicht sehr gut dokumentiert, im Falle von Vanadium gebe es überhaupt keine Daten aus kontrollierten und randomisierten Studien.
Wenn ein Präparat medizinische Wirkungen haben soll, muss es als Arzneimittel zugelassen werden. Dazu muss der Hersteller Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität nachweisen. Nahrungsergänzungsmittel erfüllen diese Sicherheitsanforderungen nicht.
»Bei der Vielzahl guter oraler Antidiabetika brauchen Diabetiker keine zusätzlichen Nahrungsergänzungsmittel«, fasste Martin zusammen. Wichtiger sei es, den Patienten zu motivieren, die vom Arzt verordneten Medikamente wie vorgesehen einzunehmen. Kein Nahrungsergänzungsmittel kann die Arzneimitteltherapie, Ernährungsumstellung und ausreichend Bewegung ersetzen. Manchmal schaden die Supplemente sogar: Denn Wechselwirkungen oraler Antidiabetika nicht nur mit anderen Medikamenten (siehe Kasten), sondern auch mit Nahrungsergänzungsmitteln können Probleme bereiten. So steige zum Beispiel das Risiko einer Unterzuckerung bei gleichzeitiger Gabe von oralen Antidiabetika und Flohsamen.
»Obwohl zahlreiche Interaktionen mit oralen Antidiabetika beschrieben sind, sind nur wenige klinisch relevant und erfordern unmittelbares Eingreifen«, informierte Dr. Nina Griese vom Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA in Berlin. Unter den pharmakodynamischen Interaktionen stellte die Apothekerin Arzneistoffgruppen vor, die den Blutzucker senken oder erhöhen. Letzteres sei vor allem bei Diabetikern zu beachten, die Glucocorticoide oral einnehmen. Zu Beginn, während und am Ende der Therapie sollte der Blutzucker sorgfältig überwacht werden.
Zu verstärkten oder verlängerten Unterzuckerungen könne die Kombination von oralen Antidiabetika mit nicht kardioselektiven Betablockern führen. Zudem können sich in diesem Fall auch die Warnsymptome einer Unterzuckerung verändern. Das Schwitzen nimmt zu, Tremor, Herzfrequenz und Kopfschmerz dagegen ab. Die Einnahme von kardioselektiven Betablockern sei dagegen unproblematisch.
Bei den pharmakokinetischen Interaktionen ging Griese unter anderem auf Metformin ein. Das Biguanid sollte vor, während und bis 48 Stunden nach Untersuchung mit iodhaltigen Röntgenkontrastmitteln abgesetzt werden, da die Gefahr einer Laktatazidose besteht. Denn die Gabe des Kontrastmittels kann zu einer eingeschränkten Nierenfunktion führen, und Metformin, welches über die Niere ausgeschieden wird, sammelt sich im Körper an.
Bei den Sulfonylharnstoffen Glibenclamid und Glimepirid kann sich zum Beispiel durch die Kombination mit Phenylbutazon, Fibraten und Ciprofloxacin die Wirkung verstärken. Im Falle der Glinide weist Repaglinid ein stärkeres Wechselwirkungspotenzial auf als Nateglinid, so Griese. Die Kombination von Repaglinid mit Gemfibrozil sei klinisch relevant und eine Kontraindikation. Alternativ könne man auf Nateglinid oder ein anderes Fibrat, etwa Bezafibrat oder Fenofibrat, ausweichen. Auch bei der Kombination mit den Glitazonen Pioglitazon und Rosiglitazon könne Gemfibrozil problematisch sein und Dosisumstellungen nötig machen.
Insgesamt seien die oralen Antdiabetika überschaubar, was Interaktionen betrifft. Allerdings besteht bei Diabetikern eine hohe Wahrscheinlichkeit für Polypharmazie, räumte Griese ein. Kommen zum Beispiel Antihypertensiva oder CSE-Hemmer hinzu, steigt die Gefahr von Interaktionen.