Reform bremst Innovationen |
30.10.2007 15:58 Uhr |
<typohead type="3">Reform bremst Innovationen
Von Uta Grossmann, Berlin
Das Wettbewerbsstärkungsgesetz der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) macht seinem Namen keine Ehre. Bei einem Kongress in Berlin kamen Vertreter von Krankenkassen, Industrie und dem IGES-Institut zu dem Ergebnis, die jüngste Gesundheitsreform gebe Wettbewerb und Innovationen keine Impulse.
Professor Dr. Bertram Häussler nahm die sogenannte Ein-Prozent-Regel beim Gesundheitsfonds aufs Korn. Demnach dürfen Krankenversicherte künftig maximal ein Prozent ihres Bruttoeinkommens für Zusatzbeiträge ihrer Krankenkasse ausgeben. Der Gesundheitsfonds soll zum 1. Januar 2009 eingeführt werden. Dann zahlen alle gesetzlich Versicherten den gleichen Beitragssatz.
Die Ein-Prozent-Regel, prophezeite Häussler, könnte vor allem Kassen mit einkommensschwachen Mitgliedern in finanzielle Bedrängnis bringen. »Das setzt bei den Krankenkassen einen Wettbewerb um Billigmedizin in Gang, der nicht zu verantworten wäre«, sagte er.
Nach Häusslers Auffassung haben Regulierungsansätze wie die Ein-Prozent-Klausel das Potenzial, die Gesundheitsreform scheitern zu lassen. Er schlug vor, für einen bestimmten Erprobungszeitraum ohne diese Klausel auszukommen.
Häussler ist Direktor des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), das am vergangenen Donnerstag in der Hauptstadt den Kongress »Innovation im Wettbewerb« ausrichtete. Mitveranstalter sind die Techniker Krankenkasse (TK), der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) und der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed).
Professor Dr. Norbert Klusen, Vorsitzender des Vorstandes der TK, machte keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass er den neuen Spitzenverband Bund der Krankenkassen für überflüssig hält. Der Spitzenverband löst die sieben Krankenkassenverbände ab. Er ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und untersteht der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit.
Gefahr der Rationierung
Es drohe die Gefahr einer noch stärkeren staatlichen Steuerung des Systems der Gesetzlichen Krankenversicherung, warnte Klusen. »Das führt zu mehr Bürokratie, zu Rationierung und schlechterer Versorgung.« Wenn man dagegen die Forderung nach mehr Wettbewerb ernst nähme, müssten man die Krankenkassen auch wie Unternehmen behandeln, forderte der TK-Vorstandschef.
Dr. Meinrad Lugan, Vorstandsvorsitzender des BVMed, hob die Bedeutung von Innovationen für die Unternehmen der Medizintechnologie hervor. Sie machen ein Drittel des Umsatzes mit Produkten, die jünger als drei Jahre alt sind. Durchschnittlich investieren die forschenden Medizintechnik-Unternehmen neun Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Medizintechnische Neuerungen führen die Liste der beim Europäischen Patentamt in München angemeldeten Erfindungen des Jahres 2006 mit 14.700 Patenten an. Lugan kritisierte, dass Innovationen häufig lediglich unter dem Kostenaspekt diskutiert würden. »Wir müssen gemeinsam mit Krankenkassen und Anwendern gute Instrumentarien entwickeln, um die Nutzen- und Kosteneffekte über den Gesamtverlauf einer Behandlung oder Krankheit zu ermitteln«, forderte er. Schließlich habe die schnellere Einführung von Innovationen meist ökonomische Vorteile: Sieverkürzen die Genesungszeiten der Patienten und ermöglichen ihnen so, schneller wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren, was Fehlzeiten reduziert.
Lugan sprach sich gegen Einrichtungen wie das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) aus, das er als Budgetsteuerungsinstrument versteht. Das IQWiG prüft im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Bundesgesundheitsministeriums den Nutzen von Arzneimitteln und medizinischen Therapien und setzt die Preise von Arzneimitteln ins Verhältnis zu ihrem Nutzen.
Dr. Robert Paquet, Leiter des Berliner Büros des BKK Bundesverbandes, bemängelte den Trend zu einem zunehmend einheitlichen Leistungsrahmen der Kassen. »Die Reform verkürzt den Wettbewerb in vieler Hinsicht auf Kostendämpfung und erhöht damit die Gefahr von Qualitätsdumping und versteckter Rationierung.«