Vom Rheuma zur Osteoporose |
27.10.2006 13:11 Uhr |
Vom Rheuma zur Osteoporose
Von Christina Hohmann, Wiesbaden
Rheumatische Erkrankungen können zu Knochenschwund führen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Entzündungsaktivität. Das Immunsystem der Patienten setzt Botenstoffe frei, die die Knochenresorption erhöhen. Auch die medikamentöse Therapie und die Immobilität der Patienten fördern die Osteoporose.
Dass Rheuma nicht nur eine gelenknahe Osteoporose, sondern auch einen systemischen Knochenschwund hervorrufen kann, ist eine relativ neue Erkenntnis. Die Betroffenen selbst machten Mediziner auf diesen Zusammenhang aufmerksam. »Immer wieder berichteten Patienten, dass sie sich schon beim Niesen, Lachen oder Husten Rippen gebrochen haben«, erklärte Professor Dr. Gert Hein von der Klinik für Innere Medizin in Jena auf dem 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, der gemeinsam mit der 20. Jahrestagung der Assoziation für Orthopädische Rheumatologie in Wiesbaden stattfand.
Der Knochenschwund setzt früh ein. »Bereits im ersten Erkrankungsjahr verlieren Patienten mit einer Rheumatoiden Arthritis etwa 10 Prozent der Knochenmasse«, sagte Hein. Entsprechend weit verbreitet ist die Osteoporose bei Betroffenen. Laut Hein wiesen bei einer großen Untersuchung 40 Prozent der Rheuma-Patienten bereits Osteoporose auf. Weitere 40 Prozent zeigten eine Osteopenie, eine verminderte Knochenmineralisierung. Nur etwa 17 Prozent der untersuchten Patienten hatten normale Knochen, berichtete Hein.
Einen erheblichen Anteil an dem Geschehen hat der chronische Entzündungsprozess, der Rheumaerkrankungen zugrunde liegt. Das Immunsystem setzt Botenstoffe frei, die den Knochenabbau fördern. »Die Entzündung zerstört das Verhältnis zwischen Osteoblasten und Osteoklasten, also zwischen den knochenaufbauenden und knochenabbauenden Zellen«, erklärte Professor Dr. Georg Schett von der Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie der Universität Erlangen. So hemmen proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-1 (IL-1) und TNF-alpha über die Induktion von Stickstoffmonoxid (NO) in Osteoblasten die Knochenformation. Gleichzeitig fördern die Botenstoffe über die Induktion von RANKL (receptor activator of nuclear factor-κB ligand) die Bildung neuer Osteoklasten.
RANKL und sein Rezeptor RANK gehören zur TNF-Superfamilie. Der Ligand RANKL wird unter anderem von Osteoblasten gebildet und kommt in membrangebundener oder freier Form vor. Bindet RANKL an seinen Rezeptor RANK, der sich auf Osteoklasten-Vorläuferzellen befindet, differenzieren sich diese zu reifen Osteoklasten. »Dies geht sehr schnell«, verdeutlichte Schett. Nach zwei Tagen Entzündung beginnen die Vorläuferzellen schon, sich zu differenzieren. Nach fünf Tagen setzt bereits der Knochenabbau ein. Neben den Vorläuferzellen besitzen auch reife Osteoklasten den Rezeptor RANK. Die Interaktion mit RANKL bewirkt bei diesen eine Verhinderung der Apoptose. Da die proinflammatorischen Zytokine IL-1 und TNF-alpha die Expression des Liganden RANKL erhöhen, fördern sie somit die Osteoklastenneubildung und sichern das Überleben der reifen Osteoklasten.
RANKL eignet sich als Target
»Eine Hemmung von RANKL hat keinen Einfluss auf das Entzündungsgeschehen, aber einen massiven Einfluss auf die Knochenresorption«, sagte Schett. Das RANKL/RANK-System sei somit ein gutes Target, um die Osteoklastogenese zu hemmen und das Verhältnis in Richtung der Osteoblasten zu verschieben.
Einige Substanzen seien in der klinischen Entwicklung schon weit fortgeschritten, berichtete Professor Dr. Roland Baron vom Department of Orthopaedics and Rehabilitation an der Yale University School of Medicine in New Haven, USA. Ein Wirkstoff, der monoklonale Antikörper IMG-162, befinde sich bereits in Phase III. Ein idealer antiresoptiver Wirkstoff sollte Osteoklasten aber partiell funktionstüchtig lassen und nicht töten, wie etwa Bisphosphonate es tun. Denn die Zellen senden positive, stimulierende Signale an Osteoblasten, die beim Rückgang der Osteoklastenzahl schwächer werden. Neben den RANKL-Antagonisten befinden sich noch weitere Substanzen in der Pipeline wie etwa Inhibitoren der speziellen Protonenpumpen der Osteoklasten oder Integrin-Antagonisten, berichtete Baron.
Entzündung senkt Vitamin-D-Spiegel
Der Knochenschwund bei Rheuma-Patienten hat aber noch weitere Ursachen. So sinke bei chronisch entzündlichen Erkrankungen auch der Spiegel aktiver Vitamin-D-Metaboliten signifikant, sagte Hein. Der Grund hierfür ist vermutlich die geringere Expression beziehungsweise Aktivität des Enzyms 1-alpha-Hydroxylase, das für die Bildung des aktiven Metaboliten 1,25-Hydroxy-Vitamin D3 verantwortlich ist. Eventuell binden aktive Metaboliten aber auch vermehrt an spezifische Rezeptoren, die von aktivierten T-Zellen gebildet werden, sagte Hein.
Die Glucocorticoid-Therapie, die viele Patienten mit rheumatischen Erkrankungen erhalten, steigere das Osteoporose- und Frakturrisiko noch zusätzlich, so Hein. Bei 34 Prozent der weiblichen Patienten mit einer Dauertherapie von mindestens 5 mg Prednisolonäquivalent trat innerhalb von fünf Jahren eine Fraktur auf. Die Wirkstoffe induzieren ebenfalls über das RANKL/RANK-System die Neubildung von Osteoklasten. Außerdem mindern sie die Materialeigenschaften des Knochens, indem sie die Calciumresorption im Darm reduzieren und die Calciumausscheidung über die Niere erhöhen.
Ein weiterer Faktor, der die Osteoporose fördert, ist die schmerzbedingte Immobilität von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen. Der Bewegungsmangel führe zu einem Abbau der Muskulatur und zu einem allgemeinen Schwund der Knochenmasse, erklärte Hein.
Um den Knochenschwund aufzuhalten, sollten Rheuma-Patienten vor allem ihre Grunderkrankung gut im Griff haben und sich gut ernähren. Auch der regelmäßige Aufenthalt in der Sonne sei als Prophylaxe wichtig, wobei zehn Minuten UV-Exposition pro Tag ausreichen, betonte Hein. Zu beachten sei aber, dass von Oktober bis April nahezu kein Vitamin D in der Haut gebildet wird, da die Sonne zu schwach ist. Manche Rheuma-Patienten sollten in dieser Zeit daher eine Substitution erhalten. Auch ausreichend Bewegung habe einen schützenden Effekt. Vor allem moderate Ausdauersportarten wie Radfahren, Schwimmen und mäßiges Laufen seien zu empfehlen.