Pfizer provoziert halb Europa |
27.10.2006 13:11 Uhr |
Pfizer provoziert halb Europa
Von Thomas Bellartz
Der weltgrößte Pharmakonzern Pfizer sorgt mit seinen Aktivitäten in Großbritannien jetzt europaweit für Aufmerksamkeit. Die Liaison mit Pfizer bringt den Großhändler UniChem jedenfalls in schwerste Nöte - nicht nur die britischen Apotheken, sondern die gesamte Branche stellt sich gegen Pfizer und seinen Lieferanten.
Die ersten Risse waren bereits in den vergangenen Tagen sichtbar geworden, nun platzen die Bomben, eine nach der anderen, Tag für Tag. Mit seiner Vorgehensweise hat der Pharmakonzern Pfizer nun auch den europäischen Verband der Pharmagroßhändler GIRP ins Wanken gebracht. Der Verband, in dem nicht nur nationale Verbände, sondern auch einzelne Unternehmen Mitglied sind, wollte sich am Montagmorgen in Brüssel zu einer Sitzung treffen. Einziger, aber wesentlicher Tagesordnungspunkt: die Zugeständnisse des britischen Großhändlers UniChem an Pfizer und die daraus resultierenden Folgen für den europäischen Pharmagroßhandels- und Apothekenmarkt. Doch die Sitzung wurde vertagt, bevor sie eröffnet wurde. Das Vorstandsgremium konnte nach einer GIRP-Prerssemitteilung vom Montag seine Arbeit nicht aufnehmen, weil eine Vertreterin von UniChem die anderen mehr als zwei Dutzend Sitzungsteilnehmer daran hinderte. In nicht nur fließendem, sondern zudem sehr schnell vorgetragenen Italienisch hielt die Dame einer derart wortgewaltigen Vortrag, dass an eine Sitzungseröffnung nicht zu denken war. Daraufhin wurde die Veranstaltung abgebrochen.
Damit dürfte der Streit zwischen UniChem und der GIRP eine neue Qualität erreicht haben. Auch wenn die Blockade einer Gremiensitzung auf diese Art und Weise sicherlich einen humoritischen Charme hat, so ist sie doch beispielshaft für die Vorgehensweise von UniChem wie von Pfizer. Es geht darum, Zeit zu gewinnen und der Diskussion Raum zu nehmen. Während sich in Großbritannien eine Front aus Apothekern und Großhändlern gegen die Aktivitäten der Konzerne gebildet hat, droht das Thema nun auch in anderen europäischen Ländern virulent zu werden. Deutschland steht auf Pfizers Liste ganz oben. Und auch in Partnerschaft mit UniChem dürfte hierzulande einiges möglich sein. Denn immerhin hält der Großhandelskonzern knapp ein Drittel an der Andreae Noris Zahn AG (Anzag), über deren Schicksal in den kommenden Wochen und Monaten entschieden wird.
Keine Diskussion
Bemerkenswert ist, dass sich Pfizer anscheinend in Großbritannien scheut, an Diskussionen mit Marktpartnern überhaupt teilzunehmen. Exklusiv sollen bereits Anfang des nächsten Jahres verschreibungspflichtige Arzneimittel nur noch über einen ausgewählten Großhändler vertrieben werden. Die aufgewühlte Branche will das nicht hinnehmen und kündigt fortlaufenden Protest an.
In Deutschland dürfte der Warnschuss aus Großbritanbnien zur rechten Zeit kommen. Die scharfen Einschnitte durch die anstehende Gesundheitsreform könnten auch hier die großen Unternehmen fördern, fürchten nicht wenige Experten. In einer aktuellen Pressemitteilung wiesen Hamburger Apothekerkammer und Apothekerverein darauf hin, dass es bereits einen scharfen Verdrängungswettbewerb in Deutschland gibt. »Für uns ist Leistungswettbewerb kein Fremdwort«, sagt Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins. »Die Luft ist definitiv raus.«
Risiko der großen Einheiten
Welche Risiken die totale Liberalisierung eines Versorgungsmarktes haben kann, ist am Energiemarkt zu sehen. Von der gesetzlich gewollten Liberalisierung hatten sich die Verbraucher sinkende Preise und damit eine Entlastung ihrer Haushaltsbudgets versprochen. Das Gegenteil war der Fall. Große Unternehmen versprühen selten den Charme eines funktionierenden Wettbewerbs. Sind die kleineren Wettbewerber ausgeschaltet, steigen die Preise, sinkt die Leistungsbereitschaft. Aus dem Oligopol einiger weniger Anbieter kann schnell ein Kartell werden. Schon heute schließen sich immer mehr Arzneimittelhersteller zusammen, sparen Kosten und Mitarbeiter und sind bemüht, Märkte zu dominieren. Auch der deutsche Pharmagroßhandelsmarkt wird nur noch von einigen wenigen Konzernen beherrscht. Der Mittelstand blutet aus. »Nur die Apotheke sichert durch ihre freiberufliche Orientierung wahren Wettbewerb«, meint Rainer Töbing, Präsident der Apothekerkammer Hamburg. Die Gefahr, die Kartelle für Verbraucher und Patienten darstellen, sind bislang auf der Apothekenstufe ausgeschlossen. Doch die geplante Gesetzgebung erhöhe die Gefahr, dass zwangsläufig nur die ganz großen Einheiten überleben. Graue und Töbing sind sich einig, dass dies verhindert werden muss.
Mittlerweile hat sich auch der Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels (Phagro) zu einer schärferen Gangart durchgerungen (siehe Stellungnahme). So hat sich der Verband mit der weltweit (und nach PZ-Informationen auch für den Konzern Pfizer tätigen) Beratungsagentur Booz Allen Hamilton auseinander gesetzt. Die Unternehmensberater hatten vor kurzem aus einer angeblichen Studie zitiert, die man erstellt habe, und die sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das aktuelle System der Arzneimitteldistribution durch ein System, wie Pfizer es will, verbessert werden könne.
Der europäische Markt soll offenbar sturmreif geschossen werden. Die Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton hat im September eine Untersuchung präsentiert, die den Direktvertrieb von Arzneimitteln als den sichersten Weg der Distribution bezeichnet. Gefälschte Arzneimittel und Parallelhandel wurden vorgeschoben. Niemand allerdings hat diese Studie bisher im Detail gesehen, Hintergrund und Auftraggeber bleiben unbekannt, die Argumente fadenscheinig. Was nicht verwundert, bietet die ausschließliche Lieferung über den Pharmagroßhandel doch ein Höchstmaß an Sicherheit. Es wäre daher das Beste, seine Position als Bindeglied zwischen Hersteller und Apotheke zu stärken.
Die aktuellen Vorgänge um Pfizer in Großbritannien lassen aber vermuten, worum es wirklich geht: die absolute Kontrolle und Transparenz über jede Handelsstufe, den Weg über die gläserne Apotheke zum gläsernen Patienten, unter Ausschaltung des Pharmagroßhandels auch in Deutschland.
Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Die Gesundheitsreform soll die kommende Attacke verdecken, weil sie die flächendeckende und jederzeitige Versorgung mit Arzneimitteln gefährdet und auch die Apotheke entmündigt. Was die Protagonisten eines neuen Distributionssystems gern als »Schulterschluss zu den Apotheken« bezeichnen, wird in Wirklichkeit den Markt verändern und das zwischen Großhandel und Apotheke eingespielte Gefüge zerstören. Mit unverhältnismäßig hohem Aufwand würden Apotheken dann alle Produkte von Herstellern, die auf diese Form des Einkanal-Vertriebs setzen wollen, nur per Direktbestellung beziehen können, möglicherweise sogar nur gegen Rezeptvorlage und auf Apothekenebene kontingentiert. Der Hersteller diktiert als Monopolist die Konditionen, kontrolliert die Abgabe und hätte Zugriff auf das lokale Verordnungs- und Verbraucherverhalten. Konnten derartige Pläne letztes Jahr noch gemeinsam von Apotheken und Großhandel abgewehrt werden, kommt jetzt mit dem Entwurf zur Gesundheitsreform die Steilvorlage: das Datenaustauschverbot des geplanten Paragrafen 305a ist der Kaperbrief für eine Systemveränderung durch die Hintertür.
Die Mitgliedsunternehmen des Phagro und der europäische Dachverband GIRP lehnen dies entschieden ab. Bieten sie doch der Pharmaindustrie seit Jahren bewährte Prozesse und technische Möglichkeiten, die jegliche Abkehr vom Prinzip des herstellerneutralen und vollversorgenden Großhandels als absurd erscheinen lassen. Der Phagro setzt sich dafür ein, die kostengünstige und effiziente Versorgungskette in Deutschland zu erhalten und möchte verhindern, dass durch ein trojanisches Pferd im Windschatten der Gesundheitsreform, die ohnehin schwer belasteten Mauern der Arzneimittelversorgung zusätzlich beschädigt werden. Der Schulterschluss der Apotheken sollte zum Großhandel erfolgen.
Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels - Phagro
In einem der PZ vorliegenden Schreiben der Berater betonen diese, dass man die Studie nicht bereit stellen wolle. Trotzdem heißt es in dem Schreiben: »Wir möchten dennoch nachdrücklich betonen, dass die Direktbelieferung des Apothekers durch den Hersteller grundsätzlich der sicherste Weg ist, Arzneimittelfälschungen auszuschließen.«
Pfizer - Wahnsinn. Man muss Respekt haben vor diesem großen Konzern; auch wenn Größe, wer weiß das nicht, relativ ist. Der amerikanische Riese hat sich vorgenommen, den europäischen Arzneimittelmarkt umzukrempeln. Und zwar genau so, wie man es sich in der New Yorker Zentrale vorstellt.
Seit Monaten scheut die europäische Konzernführung deswegen keine Kosten und Mühen, um ihre Vision einer Neustrukturierung des Vertriebsweges für Arzneimittel zu verbreiten. Zahlreiche Politiker wurden direkt oder indirekt von Pfizer angesprochen, ausgewählte Journalisten werden bei Veranstaltungen quer durch Europa über die Absichten Pfizers informiert. Natürlich wird dabei nur berichtet, was den eigenen Interessen dienlich ist. Die Entwicklungen in Großbritannien, über die die PZ seit einigen Wochen intensiv berichtet, sind exemplarisch für die Wege und Ziele von Pfizer.
Und auch wenn der Versuch des Konzerns in Deutschland bislang fehlgeschlagen ist, sollten sich weder Apotheker noch Großhändler in Sicherheit wiegen. Die aktuelle Debatte um das Wohl und Weh des deutschen Apothekenwesens kommt Pfizer gerade recht. Denn ein verletztes Tier lässt sich leicht erlegen. Wer glaubt, das System einer mehr oder minder exklusiven Direktbelieferung diene der Sicherheit der Arzneimitteldistribution, geht dem Unternehmen definitiv auf den Leim.
Pfizer will die Kontrolle über den Vertriebsweg, von der Herstellung bis hin zur Apotheke und zum Patienten. Die fadenscheidigen Beweggründe des Herstellers sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass man nur darauf bedacht ist, seine eigene Position auszubauen. Es geht um einen Zusatznutzen - nicht für den Patienten, nicht für die Apotheke, nicht für den Großhandel: Pfizer erwartet aus der Umstrukturierung des Vertriebs einen enormen Zugewinn - und der soll in die Konzerntaschen fließen.
Alle Marktpartner sollten solchen Bemühungen die Stirn bieten und sich genau anschauen, wie geschlossen sogar der ansonsten liberalisierte britische Markt Pfizer gegenübersteht. Auf der Insel ist allen Beteiligten klar, dass eine Aufgabe des Distributionssystems einer Kapitulation vor Pfizer gleich käme. Das muss auch in Deutschland vermieden werden.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion