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Gesundheitsreform

Nur für Schmidt ein »gutes Gesetz«

27.10.2006  13:11 Uhr

Gesundheitsreform

Nur für Schmidt ein »gutes Gesetz«

Von Thomas Bellartz

 

Die ersten Hürden hat die Gesundheitsreform genommen, wenngleich noch nicht die höchsten. Nach der Zustimmung des Kabinetts beschäftigte sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf. Flankiert wird die Debatte von neuen Vorschlägen für eine stärkere Steuerfinanzierung des maladen Systems.

 

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stürmte gleich nach der Kabinettssitzung, die ausnahmsweise im Bendlerblock, also im Verteidgungsministerium, stattgefunden hatte, in die Bundespressekonferenz. Kurzerhand hatte ihr Ministerium die Journalisten einbestellt, damit die Ministerin ein weiteres Mal die Vorzüge der Gesundheitsgesetzgebung präsentieren konnte.

 

Während sich im halben Dutzend andere Organisationen bemühten, die Schwachpunkte der Reform in Parallelveranstaltungen aufzudröseln, gab sich Schmidt betont selbstbewusst: »Das ist ein gutes Gesetz.« Die Intensität der Gegenwehr habe sie zu keinem Zeitpunkt beeindruckt und sie sehe nicht, dass es in den beiden Fraktionen zahlreiche Gegenstimmen gebe. Im Gegenteil. Schmidt ist der Ansicht, dass dieses Gesetz eine breite Unterstützung in den eigenen Reihen findet. Folgt man den Verlautbarungen der vergangenen Tage, dürfte die Ministerin noch nicht einmal falsch liegen. Denn die Reform an sich ist aus den Schlagzeilen schon wieder raus.

 

Vorläufiger Höhepunkt im politischen Schlagabtausch war die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag am vergangenen Freitag. Doch die Debatte war bereits überlagert von einer neuen Diskussion um den Steuerzuschuss der Regierung für das Gesundheitwesen. Während die Reformplanungen bislang vorsehen, diesen Zuschuss zurückzufahren und das System zusätzlich durch die Mehrwertsteuererhöhung zu belasten, machen sich nun Forderungen nach einer neuerlichen Vergrößerung des Zuschusses breit. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat diese Überlegungen nicht abgelehnt und auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) unterstützte gleichlautende Forderungen aus der SPD nach einem Aufstocken des Zuschusses. Möglich werden könnte dieser warme Regen dank der unerwarteten Mehreinnahmen des Bundesfinanzministers.

 

Hoffnung auf hohe Steuereinnahmen

 

Merkel hatte erneut Hoffnungen genährt, dass die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge geringer ausfallen könnte als befürchtet. Eine zusätzliche Entlastung der Kassen aus Steuermitteln knüpfte Merkel an die Bedingung, dass die Kosten für Hartz IV bekannt sein müssten. Nach bisherigen Plänen will der Bund den Steuerzuschuss 2007 von 4,2 Milliarden auf 1,5 Milliarden Euro senken. Die Kassen forderten, auf die Kürzung zu verzichten und rasch zu entscheiden.

 

Vize-Regierungssprecher Thomas Steg hatte auf das »strukturelle Haushaltsdefizit« verwiesen und erklärt: »Insofern sind zusätzliche Spielräume im Moment nicht erkennbar.« Ergeben sich aber weitere Überschüsse, solle bei den Sozialabgaben ein Zeichen gesetzt werden. Merkel (CDU) will mit den Koalitionsspitzen noch in dieser Woche über die Verteilung der Steuermehreinnahmen und Überschüsse der Sozialkassen beraten. Bereits am Freitag soll nach Bekanntgabe der neuen Steuerschätzung über die politischen Konsequenzen gesprochen werden. Finanzminister Steinbrück will die Einnahmen vor allem zum Schuldenabbau verwenden.

 

Teilnehmer sind neben Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD), CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sowie Steinbrück. Mit dem Treffen soll schnell eine einheitliche Linie erreicht werden. Der Etat soll am 9. November im Haushaltsausschuss des Bundestages festgezurrt werden.

 

Angesichts der von den Spitzenverbänden der Krankenkassen befürchteten Kalkulationsrisiken für das kommende Jahr, wäre man bei der Finanzplanung für 2007 aus dem Gröbsten raus. Trotzdem bliebe es wohl bei einer Anhebung des Beitragssatzes um durchschnittlich 0,5 Prozent. Dies lässt sich kaum noch verhindern.

 

Zum Start der parlamentarischen Beratung über die Gesundheitsreform hatten sich Koalition und Opposition am Freitag vergangener Woche noch einmal einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Schmidt warb erneut für das Großprojekt als »gute Grundlage«, um 82 Millionen Menschen weiter hochwertig zu versorgen. Lobbygruppen beuge sich die Koalition nicht. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vereine faktisch vier Reformen in einem Gesetz, hatte das Ministerium im Verlauf der Woche vollmundig veröffentlicht.

 

FDP, Linksfraktion und Grüne warnten dagegen vor Verteuerungen zulasten der Versicherten, schlechteren Leistungen und langfristig zu wenig Geld für die Krankenkassen. Einhellig forderte die Opposition einen Reformstopp. Die Koalition drückt für einen Start im April 2007 aufs Tempo.

 

Den ersten Teil der Reform beschloss die Koalition mit den Stimmen von 385 ihrer 448 Abgeordneten. Dabei wird der Abbau der immer noch nicht detailliert bekannten Milliardenschulden bei den Krankenkassen geregelt. Sie wurden eigens an gesetzliche Änderungen beim Arztrecht angehängt, damit sie bereits zu Jahresbeginn in Kraft treten können. Die Schulden müssen demnach bis spätestens Ende 2008 abgebaut sein. Am stärksten im Minus sind mit 2,7 Milliarden Euro die Ortskrankenkassen. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Bahr, warnte, bei den Ortskrankenkassen drohe eine Beitragserhöhung um 1,5 Prozentpunkte im Westen und 2 Punkten im Osten und damit insgesamt ein neues Rekordniveau. Das Ziel der Regierung sehen viele Experten in Gefahr: Die Kassen sollen entschuldet in den für 2009 geplanten Gesundheitsfonds starten.

 

Bürokratisches Monster

 

Der Fonds wurde kontrovers beurteilt. Schmidt sagte, die Mittel würden dadurch besser verteilt. Kassen mit kranken und ärmeren Menschen würden nicht mehr benachteiligt. Dies komme Ärzten etwa in Ostdeutschland zugute. Mehrere Oppositionsredner sagten dagegen, der Fonds sei ein »bürokratisches Monster«. Wolfgang Zöller wies dies zurück.

 

Nach Ansicht von Bahr löst die Reform keine Probleme. »Diese Reform leistet überhaupt keinen Beitrag für eine nachhaltige Finanzierung.« Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, anders als geplant, werde wohl weder der Fonds 2009 eingeführt noch stiegen die Steuermittel nach der nächsten Bundestagswahl massiv. «Das glaubt doch kein Mensch.» Beim Plan einer Umfinanzierung mit Steuern hätten die Ministerpräsidenten der Union Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Strich durch die Rechnung gemacht.

 

Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, warnte vor Leistungseinschränkungen. »Unmenschlich« sei es, dass höhere Zuzahlungen leisten solle, wer künftig Früherkennungsuntersuchungen versäumt und dann schwer krank wird.

 

SPD-Vize Elke Ferner und SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann signalisierten mit Blick auf die verbesserte Haushaltslage des Bundes, nun für steigende Steuerzuschüsse für die Kassen eintreten zu wollen. Karl Lauterbach (SPD) forderte, die geplante Streichung von 4,2 Milliarden Steuerzuschuss an die Kassen rückgängig zu machen. Dies ist ein Hauptgrund für steigende Beiträge 2007.

 

In den kommenden Wochen haben die betroffenen Verbände und Organisationen die Möglichkeit, in den parlamentarischen Beratungsprozess einzugreifen. So sollen mindestens drei Tage lang Anhörungen im Gesundheitsausschuss stattfinden. Schmidt ließ keinen Zweifel daran, dass man zwar bereit sei, das Gesetz dort zu ändern, wo es sinnvoll sei. Ihrer Linie will die Koalition aber treu bleiben.

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