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Orale Gerinnungshemmer

Interaktionen im Fokus

22.10.2013  16:33 Uhr

Von Peter M. Schweikert-Wehner / Rund eine Million Menschen in Deutschland benötigen gerinnungshemmende Medikamente; viele von ihnen müssen sie lebenslang einnehmen. Da die Therapie immer eine Gratwanderung ist, gilt es, vor allem die Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen im Blick zu haben.

Seit mehr als 50 Jahren werden orale Antikoagulanzien zur Primär- und Sekundärprophylaxe von thromboembolischen Erkrankungen verordnet. Hauptindikationen sind Vorhofflimmern, tiefe Beinvenenthrombosen und mechanische Herzklappen. Neben den klassischen oralen Gerinnungshemmern wie Phenprocoumon und Warfarin stehen seit ein paar Jahren mit Dabigatran, Apixaban und Rivaroxaban auch neuere Antikoagulanzien zur Verfügung.

Neben der maßgeschneiderten Therapie ist für den Behandlungserfolg ausschlaggebend, dass Risiken vermieden werden, wobei hier in erster Linie schwere Blutungen zu nennen sind. Wichtig sind in diesem Zusammenhang Inter­aktionen mit anderen Medikamenten, wobei zwischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Wechselwirkungen zu unterscheiden ist.

 

Pharmakodynamische Interaktionen

 

Phenprocoumon und Warfarin sind pharmakologisch betrachtet Antagonisten des Vitamins K (Menadion), wodurch sich auch die Interaktion mit diesem in der Nahrung enthaltenen Vitamin erschließt. Rivaroxaban und Apixaban sind Faktor-Xa-Inhibitoren, Dabigatran kann als direkter Thrombin-Hemmer betrachtet werden.

 

Zur Wirkverstärkung, die mit unerwünschten Blutungen einhergehen kann, führt die Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern (Acetylsalicylsäure und Clopidrogel et cetera), Heparinen oder Heparinoiden sowie Cephalosporinen (unter anderem Vitamin K beeinflussend). Vorsicht ist auch bei allen anderen nicht stero­idalen Antirheumtika geboten. Hierbei ist zu beachten, dass die Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern im Rahmen eines therapeutischen Konzepts, zum Beispiel bei einer koronaren Herzerkrankung mit Vorhofflimmern, durchaus indiziert sein kann. Ebenso kann im Rahmen eines sogenannten Bridgings, das heißt der Überbrückung der oralen Therapie mit Heparinen bei operativen Eingriffen, ein vorübergehender Einsatz beider Substanzgruppen zum Wiedereinschleichen der oralen Therapie sinnvoll sein.

 

Zur Wirkungsabschwächung, also Thrombosegefahr, tragen Alkohol (chronische Anwendung), Colestyramin und Vitamin K (Nahrungsmittel und Vitaminpräparate) bei, wobei Letzteres nur für Phenprocoumon und Warfarin gilt. Dabei kann man näherungsweise davon ausgehen, dass 1 mg Vitamin K etwa die Wirkung von 1 mg Wirkstoff neutralisiert. In 50 g Rindfleisch sind beispielsweise 0,1 g Vitamin K enthalten. In Kohlgemüse sind höhere Mengen zu finden. So ist dieselbe Menge Vitamin K bereits in 6,5 g Sauerkraut enthalten. Auf Vitaminpräparate mit Vitamin K sollte unter der Therapie ganz verzichtet werden.

 

Eine erwünschte Interaktion ist die Verwendung von Vitamin K als Antidot bei zu hohen INR (International Normalized Ratio)-Werten mit Blutungsgefahr. Hier ist zu beachten, dass die Antagonisierung erst mit einer Latenz von sechs bis zwölf Stunden eintritt, da die Gerinnungsfaktoren erst neu gebildet werden müssen.

 

Praxistipp: Außerhalb von therapeutischen Konzepten gelten diese Interaktionen alle als Kontraindikationen, wobei im Falle von Vitamin K eine gesunde Mischkost in der Regel keine Probleme bereitet.

 

Pharmakokinetische Interaktionen

 

Hierbei werden durch verschiedene Mechanismen, vor allem der metabolisierenden Enzyme, die Blutspiegel der oralen Arzneistoffe verändert. Während bei den klassischen Substanzen Phenprocoumon und Warfarin diese Veränderungen routinemäßig über den INR-Wert, veraltet auch über den Quick-Wert, bestimmbar sind, existiert zurzeit für die neuen Arzneistoffe Dabigatran, Apixaban und Rivaroxaban kein Messsystem. Die Tabelle zeigt die Kinetik der oralen Gerinnungshemmer.

Tabelle: Kinetik der oralen Gerinnungshemmer

Wirkstoff Phenpro- coumon Marcumar® Warfarin Coumadin® Dabigatran Pradaxa® Apixaban Eliquis® Rivar- oxaban Xarelto®
Wirkungseintritt bis zu 72 Stunden bis zu 72 Stunden rasch rasch rasch
Plasmaeiweiß­bindung 99 Prozent 90 Prozent 34 bis 35 Prozent 87 Prozent 92 bis 95 Prozent
Elimination- halbwertszeit 150 Stunden 40 Stunden 12 bis 14 Stunden 12 Stunden 5 bis 13 Stunden
Übliche tägliche Erhaltungsdosen 1,5 mg bis 6 mg 5 bis 15 mg 150 bis 220 mg 5 mg 20 mg
Abbau CYP2C9 CYP3A4 Zum Teil unverändert: Urin CYP2C9 85 Prozent unverändert Urin: P-gp CYP3A4/5 Wenig andere CYP 27 Prozent renal Transport- proteine: P-gp und BCRP CYP3A4 CYP2J2 CYP 35 Prozent renal (P-gp)

Die Hemmung der Cytochrom-P-450-(CYP)-Enzyme und des Transportpro­teins P-Glykoprotein (P-gp) führt immer zu einer Wirkverstärkung und damit zu höherer Blutungsneigung. Die Induk­tion von Cytochrom-P-450-Enzymen führt demenstprechend zu niedrigeren Blutspiegeln und damit zur Wirkungsabschwächung mit höherem Thromboserisiko. Zu beachten ist, dass die Induktion meist mehrere Tage bis zur vollen Ausprägung benötigt und bis zu sieben Tage nach dem Absetzen des Induktors wirken kann.

 

Hemmstoffe von CYP3A4 beziehungsweise P-gp sind die HIV-Protease-Inhibitoren Indinavir, Nelfinavir und Ritonavir sowie die Makrolidantibiotika Erythromycin, und Clarithromycin (P-gp). Weitere Hemmstoffe sind Ketoconazol (P-gp), Fluconazol, Itraconazol (P-gp), Voriconazol, Cimetidin, Verapamil (P-gp), Naringin und Bergamottin (Grapefruit) sowie Amiodaron (P-gp), Ciclosporin (P-gp), Diltiazem, Fluvox­amin und Norfluoxamin (aus Fluoxetin).

 

Induktoren von CYP3A4 beziehungsweise P-gp sind Carbamazepin (P-gp), Oxcarbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Dexamethason, Rifampicin (P-gp) und Hyperforin (P-gp). Wie aus der Tabelle ersichtlich, werden ausschließlich die Vitamin-K-Antagonisten von CYP2C9 verstoffwechselt. Starke Hemmstoffe von CYP2C9 sind Flucon­azol, Miconazol, Amentoflavon (Ginkgo biloba), Valproinsäure, Amiodaron und Sulfaphenazol. Induktoren von CYP2C9 sind Rifampicin und Secobarbital.

 

Praxistipp: Bei Vitamin-K-Antagonisten ist die gleichzeitige Anwendung prinzipiell möglich, wobei der INR-Wert engmaschig gemessen und die Dosierung der Gerinnungshemmer angepasst werden sollte. Bei den neuen Gerinnungshemmern Dabi­gatran, Apixaban und Rivaroxaban sollten die oben aufgeführten Interaktionen als Kontraindikationen betrachtet werden. Anders lautende Angaben aus den Fachinformationen können wegen mangelnder Erfahrung und Daten nicht empfohlen werden. /

 

Literatur beim Verfasser

Kontakt

Dr. Peter M. Schweikert-Wehner,
Apotheke am Kreiskrankenhaus, Stiftsweg 17, 53894 Mechernich,

 

E-Mail: info(at)apotheke-mechernich.de

 

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