Zweite Meinung |
| 20.10.2008 11:08 Uhr |
Es soll die Sicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie erhöhen: das Zweitmeinungsverfahren. Die Neuregelung wurde bei der jüngsten Gesundheitsreform beschlossen. Das Bundesgesundheitsministerium hofft, mit diesem Instrument hohe Ausgaben zur Behandlung seltener schwerer Krankheiten zu begrenzen. Vorige Woche hat nun der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) verkündet, wie der gesetzliche Auftrag in die Praxis umgesetzt werden soll (siehe dazu Zweitmeinung: Verfahren startet mit Lungenhochdruck).
Der GBA als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen hat die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) für den ersten Praxistest des neuen Verfahrens ausgewählt. An den verschiedenen Formen des Lungenhochdrucks leiden in Deutschland etwa 3000 Menschen. Die vier ausgewählten Wirkstoffe, die das Leiden lediglich mildern können, verursachen Jahrestherapiekosten zwischen 11.000 (Sildenafil) und 110.000 (Iloprost) Euro.
Wenn nun ein Arzt einem PAH-Patienten einen solchen Wirkstoff verschreiben möchte, muss er eine zweite Meinung von einem für besondere Arzneimitteltherapien qualifizierten Kollegen einholen. Das ist eine Auflage der GBA-Richtlinie. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen eine solche Qualifikation allerdings noch entwickeln.
Erst wenn in einem weiteren Schritt genügend Ärzte die Qualifikation erworben haben, tritt die Neuregelung in Kraft. Hilft ein solches Zweitmeinungsverfahren tatsächlich den Patienten? Wenn ein zweiter Fachmann hinzugezogen wird, ist das grundsätzlich zu begrüßen, vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei und ein Spezialist weiß in manchen Fällen einfach besser bescheid als ein Generalist. Allerdings warnen Ärzte vor der damit verbundenen zusätzlichen Bürokratie und befürchten, dass die Behandlung schwer kranker Patienten unnötig verzögert wird (siehe dazu Zweitmeinungsverfahren: Bürokratisches Monster oder Chance?). Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie wirft dem GBA Willkür vor, weil nicht transparent sei, wieso ausgerechnet die PAH für das Zweitmeinungsverfahren ausgewählt wurde.
Das Zweitmeinungsverfahren wird nun zunächst an einer Krankheit ausprobiert, die nur wenige Menschen betrifft. Der Prozess soll evaluiert werden, und das ist auch gut so. Ein weiteres Regulierungsinstrument im ohnehin stark reglementierten Arzneimittelmarkt ist nur zu rechtfertigen, wenn es das gewünschte Ziel auch erreicht: Wenn es die Therapiesicherheit erhöht und der Gesetzlichen Krankenversicherung Geld spart, ohne dass Kranken die Behandlung nach dem jüngsten Stand der Forschung verwehrt wird.
Dr. Uta Grossmann
Ressortleitung Wirtschaft und Handel