Empathie und Offenheit |
13.10.2015 15:04 Uhr |
Von Christiane Berg, Kiel / Parkinsonpatienten und Frauen in den Wechseljahren sind beratungsintensive Kundengruppen. Beim Wochenendworkshop Patient & Pharmazeutische Betreuung in Kiel wurde deutlich: Empathie und Offenheit sowie die persönliche Begleitung und Information des Betroffenen über Ursachen und Entstehung seiner Symptome bei gleichzeitiger Motivation zum Selbstmanagement können helfen, Leid zu lindern.
Die medizinische Situation und Lebensqualität von Parkinsonpatienten kann durch professionelle pharmazeutische Betreuung entschieden verbessert werden. Eine Anleitung dazu gab Kai Girwert, Langenhagen, im Seminar »Verstehen Sie Parkinson? Therapeutische Hürden erkennen, mehr Lebensqualität erreichen«.
Die neurodegenerative Erkrankung der Substantia nigra, die in einem Dopaminmangel und Glutamat/Acetylcholin-Ungleichgewicht resultiert, ist von Bradykinese und Akinese und/oder Rigor und Tremor mit vielfältigen motorischen, vegetativen, psychischen, kognitiven und sensorischen Begleitsymptomen geprägt.
Zur symptomatischen Therapie stehen je nach Schweregrad Levodopa (plus Benserazid oder Carbidopa), Dopaminagonisten, MAO-B-Hemmer, COMT-Inhibitoren, NMDA-Antagonisten und Anticholinergika zur Verfügung. Girwert betonte, dass regelmäßige Therapieanpassungen und -umstellungen gemäß der jeweiligen Krankheitssituation in enger Orientierung an den aktuellen Therapieleitlinien notwendig werden können.
Derzeit wird bei Krankheitsbeginn nach dem 70. Lebensjahr die Therapie mit L-Dopa begonnen, während bei Krankheitsbeginn unter 70 Jahre zunächst Non-Ergot-Dopaminagonisten wie Piribedil, Pramipexol, Ropinirol oder Rotigotin zum Einsatz kommen. L-Dopa wird wegen des höheren Risikos für Dykinesien in dieser Patientengruppe erst bei Therapieversagen eingesetzt.
»Beim älteren Patienten ist der Erhalt der Alltagsfunktionen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Gefahr von Medikamenteninteraktionen und Verträglichkeitsproblemen infolge Multimorbidität bedeutend«, sagte Girwert. Beim jüngeren Patienten gehe es vorrangig um den Erhalt der Berufsfähigkeit bei gleichzeitiger Vermeidung von motorischen Spätkomplikationen.
Höhere Lebensqualität für Parkinsonpatienten
Der Referent betonte, dass abhängig vom Alter, psychischer Komorbidität oder männlichem Geschlecht bei der Einnahme von Dopaminagonisten gerade in hohen Dosierungen das Risiko nicht nur für Schlafattacken und Tagesmüdigkeit, Halluzinationen und Psychosen, sondern insbesondere auch für Impulskontrollstörungen wie Hypersexualität oder Internet-, Spiel- und Shoppingsucht erhöht sein kann. Ärzte und Apotheker müssten mit Blick auf die den Nebenwirkungen angepasste Wirkstoff- und Dosisfindung allerhöchste Aufmerksamkeit walten lassen. Der Patient müsse detailliert über diese potenziellen Nebenwirkungen informiert werden. Nur so könne verhindert werden, dass – wie oft beobachtet – Hab und Gut verspielt, Familien und Freunde vernachlässigt und Ehen zerrüttet werden.
»Nebenwirkungen erfordern Handeln«, betonte Girwert. Generell zähle die Aufdeckung und Kontrolle von Nebenwirkungen neben dem Management der Begleitbeschwerden, der Information über Einnahmemodalitäten oder der Klärung weiterer Sicherheitsfragen zum professionellen Medikationsmanagement.
Als »exotische Therapiealternativen« insbesondere bei lang anhaltenden, ausgeprägten Off-Zeiten beschrieb der Referent die Duodopa-Pumpe mit L-Dopa und Carbidopa in zähflüssigem Gel. Wie bei der Apo-go-Pumpe mit dem Dopaminagonisten Apomorphin erfolgt die Einstellung hier stationär. Die tiefe Hirnstimulation könne indiziert sein, wenn die Krankheitskontrolle durch Arzneimittel nicht mehr möglich ist. Der Referent sprach von einer Weiterempfehlungsrate der behandelten Patienten von 94 Prozent. Als zukünftige Therapieoptionen nannte Girwert die Stammzelltherapie , die PD01A-Impfung gegen α-Synuclein, die Entwicklung von Transportproteinen zum Abtransport von α-Synuclein aus Nervenzellen sowie die Gentherapie mit Lentiviren zur Kodierung dopaminproduzierender Enyzme hervor.
Frauen in der Lebensmitte
Im Seminar »Frauenbeschwerden – AMTS in der Apothekenpraxis« erläuterte Dr. Hiltrud von der Gathen, Recklinghausen, schwerpunktmäßig Beschwerden, an denen Frauen vor allem in der Lebensmitte und im Alter leiden. Dazu zählen unter anderem Schlafstörungen, Osteoporose, Veränderungen an Haut und Haaren, sexuelle Probleme, Hitzewallungen, vaginale Trockenheit, Stimmungsschwankungen, Trockenheit von Augen, Mund und Nase, Gewichtsveränderungen, Leistungsabfall sowie urologische Probleme.
Die Referentin verwies auf die Möglichkeit der Behandlung mit Hormonen bei starken Beschwerden, unter denen ein Drittel der betroffenen Frauen bis zu zehn Jahre leiden. In den 80er- und 90er-Jahren sei die Hormontherapie (HT) noch »im Gießkannenprinzip« verordnet worden, nunmehr werde sie unter Berücksichtigung von absoluten und relativen Kontraindikationen wie unter anderem Brustkrebs und Hyperlipoproteinämien nur noch in Ausnahmefällen praktiziert.
Zu diesem Umdenken beigetragen hat vor allem die sogenannte Women’s Health Initiative, eine US-amerikanische Langzeituntersuchung unter anderem zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Osteoporose. Sie zeigte eine Verdopplung der Zahl der Thrombosen und Embolien sowie eine Anhebung der Zahl der Schlaganfälle um 42 Prozent, der Brustkrebsrate um 26 Prozent, der Gallenerkrankungen um 57 Prozent und der Herz-Kreislauferkrankungen um 18 Prozent durch die HT. »Die möglichen Nebenwirkungen der HT beziehungsweise die entsprechende Berichterstattung in den Medien hat zur Verunsicherung vieler Frauen geführt«, sagte die Referentin. Bei der Risikoabschätzung sei jedoch zu bedenken, dass den jeweils hohen Prozentzahlen in absoluten Zahlen nur relativ wenige zusätzliche Fälle gegenüber stehen.
Hat sich der Arzt nach der gemeinsamen Risikoabschätzung mit der Patientin bei starken Wechseljahresbeschwerden zur Verordnung der HT in einer ihrer unterschiedlichen Applikationsformen entschieden, so sei die Apotheke gefordert, diese mit konkreten pharmazeutischen Informationen, Anwendungshinweisen und Ergänzungsempfehlungen zu begleiten. Von der Gathen unterstrich, dass sich durch kompetente Beratung nicht nur die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS), sondern auch die Therapietreue und damit der Therapieerfolg entscheidend beeinflussen lassen.
Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen zeigte sie detailliert Therapieoptionen bei Belastungs- und Dranginkontinenz sowie bei Trockenheit von Haut und Schleimhäuten auf. Alternativmedikamentös, so von der Gathen, können bei Hitzewallungen und Schweißausbrüchen insbesondere Traubensilberkerzenextrakte zum Einsatz kommen. Gemäß Gesamturteil des Bundesinstituts für Risikobewertung sind Soja und Rotklee nicht empfehlenswert. Bei Depressionen könne gegebenenfalls der Einsatz von Johanniskrautextrakten in ausreichender Dosierung angezeigt sein. Das im übrigen auch für Männer geltende Mantra der Lebensmitte laute: Bewegung, Normalgewicht, gesunde Ernährung und Nicotinverzicht.
Phytotherapie im Alltag
Stichwort Johanniskraut: Auch Jutta Doebel, Erftstadt, hob in einem Seminar zur generell wichtigen Rolle der »Phytotherapie im Apothekenalltag« neben der Effektivität von Weißdornextrakten bei Herzinsuffizienz oder Taigawurzel zur Stärkung und Kräftigung bei Müdigkeit, Schwäche und nachlassender Konzentrationsfähigkeit gleichermaßen das breite Wirkspektrum und die Verträglichkeit von Hypericum perforatum bei psychovegetativen Störungen, depressiven Verstimmungszuständen, Angst und nervöser Unruhe hervor. Die Referentin verwies des Weiteren auf die schlafanstoßende Effektivität von Lavendelblütenextrakten sowie die Erhöhung der körperlichen Leistungsfähigkeit und psychischen Belastbarkeit durch Rosenwurz (Rhodiola rosea), der als »Goldene Wurzel« seit dem 18. Jahrhundert in der russischen und skandinavischen Medizin zum Einsatz kommt.
Ob adaptogen, antioxidativ, immun- und libidostimulierend, emotional beruhigend oder kognitiv stärkend: Die positiven Effekte von Rosenwurz konnten in zahlreichen randomisierten, placebokontrollierten Studien nachgewiesen werden, so Doebel. Im Verlauf ihres Seminars gab die Referentin zudem Beratungsempfehlungen und Einnahmehinweise von Phytotherapeutika (Eibisch, Spitzwegerich, Arnika, Beinwell, Heidelbeeren) bei weiteren Indikationen. Auch hier wurde deutlich, wie Apotheker ihr pharmazeutisches Standing durch Engagement und Lösungskompetenz stärken können. /
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