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Zuckerreduktion

Süßes bekommt Saures

11.10.2017  09:31 Uhr

Von Jennifer Evans / Etwa 90 Gramm Zucker nimmt jeder Deutsche täglich zu sich, rund doppelt so viel wie die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Verbände und Kassen pochen auf ein härteres Durchgreifen der Politik. Die von der Bundesregierung geplante Strategie zur Zuckerreduktion greift ihnen zu kurz.

In Deutschland leiden nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) etwa 7,2 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 79 Jahren an Diabetes mellitus, mehr als 90 Prozent von ihnen sind an einem Typ-2-Diabetes erkrankt. Jährlich kommen eine halbe Millionen Neuerkrankungen hinzu, da­runter immer mehr Kinder. Risikofaktoren für den Typ 2 sind unter anderem Übergewicht und schlechte Ernährungsgewohnheiten. 

Ein Bericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zeigt, dass hierzulande 59 Prozent der Männer und 37 Prozent der Frauen übergewichtig sind. Das war einer der Anlässe für die Große Koalition im Jahr 2015, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) damit zu beauftragen, einen Entwurf für eine Nationale Strategie für die Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten zu entwickeln. Schon die erste Fassung aus dem vergangenen Mai war bei Experten nicht nur auf Gegenliebe gestoßen. Ursprünglich wollte das Kabinett das Papier im Juli 2017 beschließen, doch die Entscheidung wurde zunächst vertagt.

 

Auf freiwilliger Basis

 

Ziel der BMEL-Strategie ist es, eine sogenannte Reformulierung der Lebensmittelrezepturen durch die Hersteller zu erwirken, um den Zucker-, Salz- und Fettanteil zunächst in bestimmten Produktgruppen zu senken. Dazu zählen zuckergesüßte Erfrischungsgetränke, Jogurt- und Quarkzubereitungen, Brotwaren, Müsli und Tiefkühlpizzen. Dieser Ansatz wird in einigen EU-Mitgliedstaaten bereits verfolgt. In Deutschland soll die Reduktion allerdings auf freiwilliger Basis der Indus­trie vonstatten gehen.

 

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Wirtschaft entsprechende Vereinbarungen einhält und die Strategie somit dem Anstieg von Übergewicht und Typ-2-Diabetes entgegenwirkt. Mit der Reformulierung soll laut BMEL idealerweise auch eine Produktverbesserung einhergehen. Zudem ist geplant, die Reduktionsziele in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren. Sanktionen sind nicht vorgesehen.

 

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) begrüßt die BMEL-Initiative zwar grundsätzlich, hält sie aber für zu unverbindlich. Außerdem hat sie Sorge, dass die vom Ministerium vorgesehene freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft wirkungslos bleibt, wie bereits ähnliche gesundheitsfördernde Initiativen auf EU-Ebene. Laut DDG hat man mit solchen Aktionen bislang die ohnehin Gesundheitsbewussten erreicht, nicht aber ärmere und bildungsferne Schichten. Dabei seien gerade diese dreimal so häufig von Übergewicht und Adipositas betroffen wie der Rest der Bevölkerung.

 

Die aus DDG-Sicht wirksamen Maßnahmen wie die Einschränkung von Werbung oder die Festlegung von Grenzwerten seien im BMEL-Entwurf lediglich als »mögliche Absichtserklärungen formuliert«, bemängelt die Gesellschaft. Auch kritisiert sie, dass Herstellern keine Sanktionen drohen, sollte etwa mit der Reformulierung eines Produkts eine Erhöhung der Energiedichte einhergehen. Die DDG fordert daher eine Steuererhöhung für energiedichte Lebensmittel und eine entsprechende Steuersenkung für gesunde Produkte sowie ein grundsätzliches Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel und Getränke. Zudem plädiert sie für eine verpflichtende und leicht verständliche Lebensmittelkennzeichnung über ein Ampelsystem.

 

AOK will die Ampel

Für die Einführung der sogenannten Lebensmittelampel kämpft der AOK-Bundesverband schon seit Jahren. Er wirft der Industrie vor, laienverständliche Kennzeichnungen auf Lebensmitteln zu verhindern. Vor allem seitens der Politik hatte die AOK mehr Anstrengung in Sachen Zuckerreduktion erwartet. Kurzerhand veranstaltete die Kasse daher kürzlich selbst den ersten Deutschen Zuckerreduktionsgipfel. Auch die DDG gehört zu dem Aktionsbündnis, das hinter der Veranstaltung steht. Kein Wunder also, dass auch bei der AOK das Werbeverbot, die Zuckersteuer und mehr Transparenz mit Blick auf versteckten Zucker in Lebensmitteln weit oben auf der Agenda stehen.

 

Auch für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) geht das BMEL-Papier nicht weit genug. Er fordert eine verbindliche Teilnahme aller Unternehmen. Zudem müsse es bindende »Reduktionsziele in einem definierten realistischen Zeitraum« geben. Dabei stehe weniger die Schnelligkeit als vielmehr die Gesundheit der Verbraucher im Vordergrund, heißt es. Aus Sicht des vzbv sollten Hersteller Zucker eben nicht einfach voreilig gegen zum Beispiel Süßungsstoffe oder Geschmacksverstärker austauschen, um die Energiedichte zu verringern. Schließlich könne dieses Vorgehen eine Gewöhnung an den süßen Geschmack fördern (lesen Sie dazu auch Gewichtsreduktion: Süßstoff als Helfer oder Hindernis?). Stattdessen müsse die Veränderung »für die Unternehmen in machbaren Schritten erfolgen und mit begleitenden Forschungen einhergehen«, betonen die Verbraucherschützer. Jegliche Austauschstoffe sollten auf jeden Fall gesundheitlich unbedenklich sein.

 

Die Zuckerindustrie sieht sich durch die aktuelle Debatte in die Enge getrieben. Die Übergewicht-Diskussion sei zu sehr auf nur eine Zutat fixiert, kritisiert die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ). »Letztlich entscheidet die Kalorienbilanz über das Gewicht. Zucker ist kein Dickmacher und deswegen auch kein Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten«, heißt es in einer Stellungnahme. Außerdem nehmen die Deutschen laut WVZ heute bereits weniger Kalorien auf als früher.

 

Industrie verlangt Beweise

 

Auch eine Strafsteuer auf Zucker hält die WVZ für ungeeignet, um Kalorien einzusparen. Ihrer Ansicht nach gibt es keine belastbaren Beweise aus dem Ausland, dass eine Besteuerung Übergewicht vorbeugt. Das Reforumlierungsvorhaben des BMEL stößt beim WVZ auf Unverständnis. »Versteckten Zucker gibt es nicht«, so die Vereinigung. Da dieser zu den Kohlenhydraten gehöre, müsse er ohnehin gesondert in der Nährwerttabelle aufgeführt werden.

 

Die Auffassungen des WVZ hält der Verein Foodwatch für reine Zuckermythen eines Lobbyverbands, der gesundheitspolitische Initiativen blockiert. Demnach ist der Kalorienverbrauch der Deutschen seit den 1960er-Jahren deutlich gestiegen. Nach Einführung einer Zuckersteuer sei außerdem in Ländern wie Mexiko, Finnland und Frankreich der Verzehr zuckerhaltiger Getränke nachweislich zurückgegangen. Zahlen belegten, dass der Zuckerkonsum mithilfe einer entsprechenden Steuer um 20 Prozent reduziert werden konnte.

 

Darüber hinaus wirft Foodwatch dem WVZ vor, gezielt »Politiker des Deutschen Bundestags mit Falschaussagen zu beeinflussen«. Besondere Kritik gilt dem Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU). Er hat laut Foodwatch vor Kurzem in einer ARD-Talkshow behauptet, dass jeder Mensch Zucker braucht. Das sei aber falsch, beklagt der Verein. Das menschliche Gehirn benötige zwar täglich eine gewisse Glucosemenge, der Körper sei jedoch in der Lage, diese selbst aus Stärke aufzuspalten.

 

Große Herausforderung

 

Von der Zuckerindustrie umgarnt fühlt sich auch Nicole Maisch, Sprecherin für Verbraucherpolitik bei den Grünen. Sie beanstandet: »Gerade die CDU/CSU lässt sich einwickeln« und verhindere damit eine einfache und verständliche Lebensmittelkennzeichnung. Neben den Grünen fordern auch SPD und Linke in ihren zur Bundestagswahl vorgelegten Wahlprogrammen die Nährwertampel. Bei der CDU/CSU-Fraktion sowie bei der FDP taucht das Thema hingegen gar nicht auf. Erst im vergangenen März hatte die Union erneut die Ampel abgelehnt. Die Partei sieht darin eine Bevormundung der Bürger und zweifelt daran, dass Konsumenten mit einem Blick auf die Ampel die richtigen Schlüsse aus den Nährstoffgehalten ziehen.

Für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist Prävention und Bekämpfung von Diabetes mellitus »eine gesundheitspolitische Herausforderung ersten Ranges«. Allein für diesen Kampf stellt das BMG seit 2016 jährlich 3 Millionen Euro bereit. Da Früherkennung Gröhe zufolge der Schlüssel zum Erfolg ist, hatte das Ministerium 16 erklärende Kurzfilme rund um Diabetes mellitus beim Deutschen Diabetes-Zentrum in Auftrag gegeben. Seit Kurzem sind diese online. Zudem baut das BMG zurzeit beim Robert-Koch-Institut ein nationales Diabetes-Überwachungssystem auf, um Betroffenen und der Öffentlichkeit bessere Daten und Informationen über Prävention und Versorgungssituation liefern zu können.

 

Supermarkt-Konzerne wie die Rewe Group haben ebenfalls bereits ungesunde Produkte ins Visier genommen: Um den Salz- und Zuckergehalt zu reduzieren, hat das Unternehmen damit begonnen, die Rezepturen seiner Eigenmarkenprodukte weiterzuentwickeln. Der Discounter Lidl hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 den Salz- und Zuckergehalt seiner Eigenmarken um ganze 20 Prozent zu senken. /

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