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Abhängigkeit

Benzodiazepine unter Demenz-Verdacht

09.10.2012  16:03 Uhr

Von Ulrike Viegener / Benzodiazepine können möglicherweise der Entwicklung einer Demenz Vorschub leisten. Das legt eine im Fachjournal »British Medical Journal« publizierte prospektive Langzeitstudie nahe.

Benzodiazepine werden älteren Menschen weit häufiger verschrieben, als es die Leitlinien vorsehen. Ein kritischer Einsatz bei strenger Indikationsstellung wird aktuell vor allem wegen des Suchtpotenzials dieser psychotropen Substanzen gefordert. Aber es gibt noch einen weiteren gewichtigen Grund dafür, Benzodiazepine sehr zurückhaltend und allenfalls kurzfristig einzusetzen: Benzodiazepine stehen unter Verdacht, dauerhafte kognitive Defizite im Sinne einer Demenz hervorrufen zu können. Dieser Verdacht besteht schon länger, aber die Daten waren nicht eindeutig. Ein Problem bei der Erforschung eines möglichen Kausalzusammenhangs ist die Tatsache, dass Symptome wie Unruhe, Angst und Schlafstörungen, bei denen Benzodiazepine zum Einsatz kommen, Frühsymptome einer Demenzkrankheit sein können.

 

Risikoanstieg um 60 Prozent

 

Die Identifizierung von Risikofaktoren, die eine Demenz begünstigen, ist angesichts der sehr begrenzten Therapiemöglichkeiten umso wichtiger, so die Autoren der jetzt veröffentlichten Studie (doi: 10.1136/bmj.e6231). Für ihre Fragestellung nutzten die Forscher das Kollektiv der PAQUID-Studie, einer prospektiven Langzeitstudie, in der über 20 Jahre hinweg Phänomene der normalen und pathologischen Hirnalterung untersucht wurden. Bernard Bégaud und seine Kollegen führten auf Basis der PAQUID-Daten eine Kohortenstudie sowie eine eingebettete Fall-Kontroll-Studie durch.

Ausgewertet wurden die Daten von insgesamt 1063 Männern und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 78,2 Jahren, die – so die Einschlusskriterien – frühestens drei Jahre nach Studienbeginn erstmals Benzodiazepine angewendet hatten und zum Zeitpunkt der Kontrolluntersuchung fünf Jahre nach Studienbeginn nachweislich nicht an einer Demenz litten. Das Design mit therapiefreiem Intervall zu Beginn wurde gewählt, um einen nicht iatrogenen kognitiven Abbau identifizieren und bei der Multivarianzanalyse berücksichtigen zu können. Keine Angaben werden in der Studie gemacht zur Benzodiazepin-Dosierung sowie zur Dauer des Konsums.

 

Das Ergebnis der Kohortenstudie: Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, war bei älteren Menschen nach Benzodiazepin-Einnahme um rund 60 Prozent erhöht. Von den 95 Probanden, die Benzodiazepine angewendet hatten, erkrankten 30 (32 Prozent) später an einer Demenz. Von den 968 Probanden mit negativer Benzodiazepin-Anamnese entwickelten 223 (23 Prozent) eine Demenz. Das entspricht einer Hazard Ratio von 1,60. Das Ergebnis war hochsignifikant und hinsichtlich anderer einflussnehmender Faktoren »bereinigt«. Die eingebettete Fall-Kontroll-Studie untermauert das Ergebnis.

 

Zwar sei die Studie nicht geeignet, den Beweis eines Kausalzusammenhangs zu führen, doch angesichts der Tatsache, dass die Verordnung von Benzodiazepinen für ältere Menschen weit verbreitet ist, könnte – so die Autoren – ein nicht unbeträchtlicher Teil von Demenzerkrankungen auf das Konto dieser Psychopharmaka gehen. Eine weitere Erforschung dieses mit der aktuellen Studie wahrscheinlicher gewordenen Zusammenhangs ist angezeigt. /

Kommentar

Letzte Instanz

Obwohl die Verordnung von Benzodiazepinen zurückgegangen ist, hat sich der geforderte kritische Umgang mit diesen Psychopharmaka längst nicht flächendeckend durchgesetzt. Vor allem im allgemeinmedizinischen Bereich gibt es immer noch Schwachstellen. Mehr noch: Es gibt »Benzodiazepin-Schwerpunktpraxen«, wo diese Psychopharmaka besonders oft und auch langfristig verschrieben werden. Ein anderes Problem ist das Umswitchen der Verordnung vom Kassenrezept auf das schwer zu kontrollierende Privatrezept. Hier ist der Apotheker als letzte Instanz gefordert. Er kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Benzodiazepine mit der gebotenen Umsicht abgegeben werden. Das heißt vor allem: nur kurzfristige Gabe, in strenger Indikationsstellung vier bis sechs Wochen. Mit Beginn der Behandlung sollte man ihr Ende immer schon im Blick haben.

 

Ulrike Viegener

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