Arzt + Apotheker = Patientenwohl |
| 12.10.2010 18:11 Uhr |
Die Bedeutung der Einnahmetreue und die Kooperation von Apothekern und Ärzten standen im Mittelpunkt des ersten Arbeitskreises. Ein gemeinsam von KBV und ABDA entwickeltes Gesamtpaket für die zukünftige Gestaltung der Arzneimittelversorgung durfte dabei nicht fehlen.
»Die beste Medizin ist komplett wirkungslos, wenn der Patient sie nicht einnimmt«, sagte Professor Dr. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar. Und das passiert leider viel zu häufig. Die Adhärenz, das heißt die Einhaltung der gemeinsam von Patient und Behandlungsteam festgelegten Therapieziele, liegt dem Mediziner zufolge zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Patienten nur zwischen 60 und 80 Prozent. Die Folgen davon sind gravierend: Laufs stellte mehrere Untersuchungen vor, denen zufolge eine niedrige Einnahmetreue mit einem erhöhten Risiko, etwa für kardiovaskuläre Ereignisse, korrelierte. So hatten in einer Studie Bluthochdruck-Patienten, die ihre Antihypertonika nicht einnahmen, ein um den Faktor 4 erhöhtes Schlaganfall-Risiko.
In einer anderen Studie halbierte die regelmäßige Einnahme des verordneten Statins die Wahrscheinlichkeit eines kardiovaskulären Ereignisses. »Die Einnahmetreue sollte bei Heilberuflern verstärkt in den Fokus gerückt werden«, empfahl Laufs. Er sprach von einer Herausforderung und Chance für Ärzte und Apotheker. Was können diese tun, um die Einnahmetreue des Patienten zu erhöhen? An erster Stelle steht dem Referenten zufolge die Beratung. Er riet dazu, dem Patienten jedes Medikament zu erklären. Auch ein Blick in die Patientenaufzeichnungen, etwa das Blutzuckertagebuch, sei zu empfehlen. Neben der Beratung sei es vor allem für den verordnenden Arzt wichtig, die Darreichungsform zu hinterfragen.
Untersuchungen zeigten, dass Patienten, die nur eine Tablette einnehmen sollten, dies zu 80 Prozent korrekt taten. Bei der Einnahme von vier Tabletten sank die Adhärenz jedoch auf nur noch 5 Prozent. Besonders kritisch: In der Hochrisikogruppe der Über-65-Jährigen werden jedem dritten Patienten vier oder mehr Medikamente verordnet. Laufs’ Schlussfolgerungen: Ärzte sollten die Zahl der verordneten Tabletten klein halten und auf sinnvolle Kombinationspräparate zurückgreifen. Erfreulich sei übrigens, dass der Anteil älterer Patienten in klinischen Studien deutlich gestiegen sei. »Auch sehr alte Patienten mit chronischen Erkrankungen profitieren von einer evidenzbasierten Arzneimitteltherapie«, betonte der Mediziner.
Professor Dr. Ulrich Laufs
Im Folgenden stellte Laufs Studien vor, in denen sich eine apothekenbasierte Intervention, zum Beispiel ein wöchentliches Beratungsgespräch, positiv auf die Einnahmetreue auswirkte. In einer Studie konnten dadurch LDL-Cholesterol und systolischer Blutdruck gesenkt werden, in einer anderen war die bessere Einnahmetreue auch mit geringerer Sterblichkeit verbunden. »Ein bemerkenswertes Ergebnis«, so Laufs. Klar ist, dass das pharmazeutische Personal für derartige Maßnahmen Zeit benötigt, und Zeit kostet bekanntlich Geld. Daher thematisierte Laufs auch das Thema Kostenübernahme. Um diese durchsetzen zu können, brauche man aber unbedingt valide Daten. Um Studienevidenz nachzuweisen, schlug Laufs vor, eine gemeinsame Untersuchung von Ärzten und Apothekern auf den Weg zu bringen.
Wie sich die Apotheker eine Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung vorstellen, erläuterte Professor Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel bei der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. »Der falsche Weg ist der Versandhandel mit seinen Pick-up-Stellen«, sagte Schulz. Inzwischen fielen bereits 10 Prozent des Umsatzes auf dem Selbstmedikationsmarkt dem Arzneimittelversandhandel zu. Dabei würden überdurchschnittlich viele Großpackungen verkauft. »Über spezielle Angebote wird damit zu Arzneimittelmissbrauch angeregt.« Auch die Komplexität einer Therapie werde nicht berücksichtigt. »Bei einer Bestellung über Internet oder Telefon bleibt ungeklärt, ob das angeforderte Arzneimittel wirklich das beste für den Patienten ist.«
Professor Dr. Martin Schulz
Wie wichtig jedoch gerade die Beratung ist, zeigt eine Studie, die Schulz vorstellte. 109 Apotheken haben die Abgabe von Präparaten zur Selbstmedikation und dabei aufgetretene Schwierigkeiten dokumentiert. Das Ergebnis: 80 Prozent der arzneimittelbezogenen Probleme (ABP) traten in Zusammenhang mit einem speziellen Präparatewunsch des Patienten auf. »Dieser Wert zeigt deutlich, dass das gewünschte Präparat häufig nicht das geeignetste für den Patienten ist«, so Schulz.
Die Auswahl des richtigen Arzneimittels nütze jedoch wenig, wenn der Patient das Präparat nicht regelmäßig einnimmt, betonte auch Schulz. »Die Adhärenz des Patienten ist enorm wichtig.« Untersuchungen zeigten, dass eine Steigerung der Adhärenz mehr Nutzen bringe als die Verbesserung einer speziellen Therapie etwa über die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs. »Wir müssen uns daher fragen, wie es gelingen kann, dies zu einer Priorität im Gesundheitsbereich zu machen.«
Als eine ebenso schlechte Entwicklung wie den Versandhandel nannte Schulz den Trend zum Managed-Care-Konzept. Das Modell weise erhebliche Schwachstellen auf, so Schulz. Zudem stamme der Ansatz aus den USA. »Man sollte nicht vergessen, dass die Gesundheitskosten dort enorm steigen und inzwischen mehr als 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen.«
Der richtige Weg für eine sichere und zukunftsfähige Arzneimittelversorgung liegt Schulz zufolge in einer verbesserten Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern. ABDA und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben hierzu ein gemeinsames Konzept erstellt. Demnach wählt der Arzt in der Arzneimitteltherapie den Wirkstoff aus, legt Menge, Dosierung und Therapiedauer fest. Der Apotheker übernimmt die Auswahl des Arzneimittels und gibt dieses unter entsprechender Beratung ab. Der Patient soll außerdem einen Medikationsplan erhalten, der ihm genau anzeigt, welches Arzneimittel in welcher Dosierung wann und wie lange eingenommen werden soll. Verordnungen erfolgen auf Basis eines bundesweit einheitlichen, indikationsbezogenen Medikationskataloges, der von Ärzten und Apothekern aufgestellt wird.
Die Verordnung von Generika wird zudem mit dem Garantiepreismodell kombiniert. »Mit dem Konzept teilen sich Arzt und Apotheker die Verantwortung für die Arzneimitteltherapiesicherheit, so Schulz. Damit steige nicht nur die Qualität der Patientenversorgung. »Letztendlich führt das auch zu sinkenden Kosten für Versicherte und Krankenkassen.«
Über das Modell von ABDA und KBV wurde anschließend auch auf dem Podium diskutiert. »Ich bin mir sicher, das Konzept wird funktionieren«, sagte Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. Auch den Patienten könne man überzeugen, wenn man ihm die Vorteile vor Augen führe. Johann Magnus Freiherr von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender vom GKV-Spitzenverband, zeigte sich hingegen weniger überzeugt von der Idee. »Eine bundesweite Umsetzung des Konzeptes wird es nicht geben«, sagte von Stackelberg. Ärzte und Apotheker könnten versuchen, einzelne Kassen zu überzeugen. »Das ist eine typische Wettbewerbsfrage für die Krankenkassen.« Schulz widersprach: »Wettbewerb unter den Kassen kann nicht bedeuten, dass sie über die Therapie der Patienten entscheiden«, sagte er.
Dr. Lothar Lieschke von der KBV betonte, dass die Ärzte keine Preisverantwortung tragen wollten. Bei ihrer Arbeit sollte vielmehr der Patient im Mittelpunkt stehen. Sie seien in diesem Zusammenhang auch bereit, Verantwortung mit den Apothekern zu teilen. Sinnvoll sei es zum Beispiel, wenn der Arzt dem Patienten einen Medikationsplan ausstellt. Diesen könne er dann auch in die Apotheke mitnehmen. »Damit haben sowohl Arzt und Apotheker Überblick über die Arzneimitteltherapie, die Ärzte werden entlastet«, so Lieschke. Der KBV-Vertreter kritisierte, dass die Rabattverträge jedoch dafür sorgten, dass das Ausstellen eines Medikationsplanes gar nicht möglich sei. Denn welches Medikament der Patient tatsächlich in der Apotheke ausgehändigt bekomme, wisse der Arzt in der Regel nicht. »Wir brauchen einheitliche, transparente Regelungen.« /
Wenn Ärzte und Apotheker enger miteinander kooperieren, verbessert das die Adhärenz des Patienten und die Sicherheit der Arzneimitteltherapie. Untersuchungen zeigen, dass eine Verbesserung der Therapietreue einen größeren Nutzen mit sich bringt als die Weiterentwicklung einer speziellen Therapie. Das gemeinsame Konzept von ABDA und KBV weist daher den richtigen Weg. Das Modell überzeugt, weil es den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Es zeigt außerdem, dass Sparpläne nicht automatisch zu Qualitätsverlusten führen, wenn sie denn zu Ende gedacht sind. Johann Magnus Freiherr von Stackelberg weist eine kollektive Umsetzung des Konzepts in der GKV dennoch zurück. Das ist nicht wirklich nachvollziehbar, denn die Gesetzliche Krankenversicherung sucht händeringend nach einer langfristigen Lösung für stetig steigende Ausgaben. Genau diese langfristige Wirksamkeit unterscheidet das Konzept von kurzfristigen Spargesetzen. Von Stackelberg sollte die gemeinsamen Vorschläge von Ärzten und Apothekern daher noch einmal sehr genau studieren.
Stephanie Schersch, Redakteurin