»Wir sind in der Realität angekommen« |
13.09.2010 21:34 Uhr |
Von Werner Kurzlechner, Berlin / In den gesundheitspolitischen Beschlüssen der Bundesregierung steckt mehr Kompromiss als großer Wurf. Minister Rösler bekennt freimütig, die Kritik in Teilen zu verstehen. Will sich aber weiter bemühen, »planwirtschaftliche Elemente« im System zu beseitigen.
Das ernsthafte Bemühen um eine nachhaltige und tragfähige Gesundheitspolitik kann man dem Bundesgesundheitsminister schwer absprechen, im Gegenteil. Dr. Philipp Rösler (FDP) scheint mit offenem Visier für seine Sache zu fechten, wohltuend entrückt den immergleichen Mechanismen des Politikbetriebs und sich gelegentlich doch auf frappierende Weise in Floskeln verlierend. Von öffentlichen Terminen verabschiedet er sich regelmäßig mit der etwas auswendig gelernt wirkenden Bemerkung, für ihn als Liberalen sei »Diskussion die Mutter aller Dinge«, bei der Bundeswehr habe er aber auch das Motto »Feuer frei« verinnerlicht.
An dieses Selbstverständnis erinnerte der Minister auch vergangene Woche in Berlin auf dem Gesundheitskongress der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Dass Rösler unangenehme Wahrheiten nicht zu schminken pflegt, erfuhren dort auch die Apotheker. Ein Teilnehmer fragte, ob nicht der Verdacht nahe liege, dass der Großhandelsrabatt für Arzneimittel vom Handel in Teilen weitergegeben werde. »Es trifft mit Sicherheit ein Stück weit auch die Apotheken«, antwortete der Minister. »Das ist kein Grund, stolz zu sein – aber das gehört auch zur Wahrheit dazu.« Immerhin müssten die Apotheker Patienten künftig nicht mehr wegen Rabattverträgen die Ausgabe gewohnter Medikamente verweigern, so Rösler. Dies werde im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) künftig über eine Art Festbetrag plus Mehrzahlung ermöglicht.
Die ersten zehn Monate seiner Amtszeit versuchte der Minister gar nicht erst zu beschönigen. »Wir sind in der gesundheitspolitischen Realität angekommen – manche sagen: aufgeschlagen«, so Rösler. Das Gesundheitssystem kranke an zu vielen »planwirtschaftlichen Elementen« und zu wenig Wettbewerb. Es sei einfacher, in der Opposition »ein tolles System aufzumalen«, als den Weg der Reformen in Regierungsverantwortung zu gehen.
Rösler machte keinen Hehl daraus, dass die bisherigen Maßnahmen der Koalition vorwiegend aus althergebrachter Kostendämpfung bestünden und lediglich das Fortbestehen des aktuellen Systems sicherten. »Ich erwarte dafür keinen Beifall«, so der Minister. In der Kritik gehe allerdings unter, dass dies nur ein erster Teil der Reformpolitik sei. Die langfristig wirksame Seite seien mehr Wettbewerb durch Wiederherstellung der Beitragsautonomie der Kassen und das Auffangen weiterer Kostensteigerungen durch Zusatzbeiträge der Arbeitnehmer und Solidarausgleich.
Dass der Arbeitgeberanteil an den Krankenkassenbeiträgen noch einmal auf 7,3 Prozent angehoben und dann festgeschrieben werde, begründete der Minister eigenwillig. Wegen steigender Lohnnebenkosten hätten sich die Arbeitgeber immer besonders vehement gegen gesundheitspolitisch notwendige Beitragserhöhungen gewehrt. Dieser Widerstand falle künftig weg. Die damit verbundene Mehrbelastung der Arbeitnehmer müsse nach ökonomischer Logik durch höhere Löhne ausgeglichen werden. »Das wird von den Menschen in den Tarifverhandlungen zu Recht eingefordert werden«, so Rösler.
Für die Zukunft kündigte Rösler an, für mehr Kostentransparenz sorgen zu wollen. Seiner Ansicht nach genüge es dabei nicht, lediglich Arztrechnungen an die Patienten zu verschicken. »Dieser Aha-Effekt allein würde nicht viel bringen«, so Rösler. Zu diskutieren sei über Modelle wie Beitragsrückstellung oder Selbstbehalt. Ein wichtiger Baustein sei außerdem eine Honorarreform für die niedergelassenen Ärzte, die tatsächlich Leistung belohne. /