Umeclidinium und Vedolizumab |
06.08.2014 09:39 Uhr |
Von Annette Mende und Sven Siebenand / Vedolizumab ist einer von zwei neuen Wirkstoffen, die im Juli in Deutschland in den Handel kamen. Einsatzgebiet des Antikörpers sind die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Der zweite Neuling ist der Bronchodilatator Umeclidiniumbromid. Dieser ist in einer Fixkombi für Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) enthalten.
In Deutschland leben etwa sieben Millionen Menschen mit COPD. Die Patienten leiden unter eingeschränkter Lungenfunktion und zum Teil erheblicher Atemnot, die sich auf viele Bereiche des täglichen Lebens auswirkt. Die nationale Versorgungsleitlinie empfiehlt die Anwendung langwirksamer Bronchodilatatoren als Erhaltungstherapie ab dem Stadium II beziehungsweise dem Stadium B gemäß GOLD-Klassifikation als Therapie der ersten Wahl. Basis der COPD-Therapie ist also die Bronchodilatation, inhalative Glucocorticoide sollten dagegen nur bei Patienten mit schweren oder sehr schweren Lungenfunktionsstörungen und Exazerbationen zum Einsatz kommen.
Umeclidiniumbromid
Bereits seit Mai 2014 ist Umeclidiniumbromid in der EU zugelassen. Dabei handelt es sich um einen langwirksamen Muscarin-Rezeptorantagonisten (LAMA). Die Markteinführung eines Monopräparats ist laut Hersteller GSK in diesem Jahr nicht geplant. Im Juli hat das Unternehmen aber eine neue Fixkombination in den Handel gebracht, die neben dem langwirksamen β2-Sympathomimetikum (LABA) Vilanterol Umeclidiniumbromid enthält: Anoro® einzeldosiertes Pulver zur Inhalation. Das Präparat ist für die bronchialerweiternde Erhaltungstherapie zur Symptomlinderung bei erwachsenen COPD-Patienten angezeigt. Die neue Fixkombination ist nicht für die Behandlung akuter Episoden eines Bronchospasmus zugelassen. Zudem wurde es nicht bei Asthma untersucht und sollte daher auch nicht in dieser Indikation zum Einsatz kommen.
Die beiden Wirkstoffe der neuen LAMA-LABA-Fixkombination ergänzen sich, da sie auf unterschiedliche Weise eine Erweiterung der Atemwege bewirken und so das Atmen bei COPD erleichtern. Während Vilanterol β2-Rezeptoren in den Atemwegen aktiviert und dadurch dort eine Entspannung der Muskeln bewirkt, blockiert das Chinuclidin-Derivat Umeclidiniumbromid Muskarinrezeptoren, die die Muskelkontraktion steuern. Auch dadurch entspannen sich die Muskeln der Luftwege.
Die einzelverblisterten Wirkstoffe werden mit dem Trockenpulver-Inhalator Ellipta® inhaliert. Um die Dosis vorzubereiten, muss der Anwender die Schutzkappe seitlich herunterschieben, bis ein Klicken zu hören ist. Das Vermischen der beiden Wirkstoffe erfolgt automatisch. Zur Bestätigung zählt das Zählwerk um 1 herunter, was der weiteren optischen Kontrolle dient. Das Medikament kann in einem langen, gleichmäßigen Atemzug inhaliert werden.
Bei jeder Inhalation gibt der Inhalator 22 µg Vilanterol und 55 µg Umeclidinium ab. Anoro soll einmal täglich immer zur gleichen Zeit angewendet werden. Wie andere Inhalationstherapien kann auch die Anwendung von Umeclidiniumbromid/Vilanterol einen unter Umständen lebensbedrohlichen paradoxen Bronchospasmus hervorrufen. In diesem Fall ist die Behandlung sofort zu beenden und falls erforderlich eine alternative Therapie einzuleiten.
Das Phase-III-Studienprogramm zu Anoro umfasst acht Studien mit mehr als 6800 COPD-Patienten, davon fünf sechsmonatige Hauptstudien mit insgesamt mehr als 5600 Patienten. In zwei Studien wurde die neue Fixkombination mit Umeclidinium alleine, Vilanterol-Monotherapie und Placebo verglichen. Bei einer Studie wurde die Dosis 55 µg Umeclidinium/22 µg Vilanterol, bei der anderen die höhere Dosis 113 µg Umeclidinium/22 µg Vilanterol angewendet.
In zwei weiteren Studien wurden diese Dosierungen der Fixkombination mit dem LAMA Tiotropium verglichen. Eine fünfte Studie verglich nur die Dosis 55 µg Umeclidinium/ 22 µg Vilanterol mit Tiotropium. In allen fünf Studien war der Hauptindikator für die Wirksamkeit die Änderung des forcierten Exspirationsvolumens des Patienten (FEV1) gegenüber dem Ausgangswert.
Ein Ergebnis der Studien war, dass die höher dosierte Fixkombination nicht zu einer konstant stärkeren Verbesserung der Lungenfunktion führte als die niedriger dosierte Kombination, was den Einsatz der höher dosierten Kombination nicht rechtfertigt. Im Folgenden werden daher nur die Studienergebnisse der letztlich auch zugelassenen Dosierung von Anoro (55 µg Umeclidinium /22 µg Vilanterol) dargestellt. Diese zeigen, dass die Kombination die Lungenfunktion, gemessen anhand des FEV1, nach 24 Behandlungswochen um 167 ml stärker erhöhte als Placebo. Zudem erhöhte Anoro die FEV1 im Durchschnitt um bis zu 95 ml stärker als Vilanterol allein und um 52 ml stärker als Umeclidinium allein. Bei den drei Studien, in denen die neue Fixkombination mit Tiotropium verglichen wurde, war die durchschnittliche Steigerung der FEV1 nach 24 Behandlungswochen unter Anoro um 60, 90 beziehungsweise 112 ml höher als unter Tiotropium.
Im Vergleich zu den beiden Einzelsubstanzen traten in den Studien durch die Fixkombination keine neuen Nebenwirkungen auf. Diese entsprachen den typischen Nebenwirkungen der bekannten Klassen. Häufig beobachtet wurden Infektionen der oberen Atemwege, Infektionen der Harnwege, Halsentzündungen, Sinusitis, Entzündungen der Nase und des Halses, Kopfschmerzen, Husten, Schmerzen im Mund- und Rachenbereich, Obstipation und Mundtrockenheit.
Da Arzneimittel derselben Klasse wie Anoro sich auf Herz und Blutgefäße im Gehirn auswirken können, wurde der Hersteller angehalten, die Wirkungen des Arzneimittels auf Herz und Gehirn weiterhin intensiv zu überwachen und zur Identifizierung möglicher Risiken weitere Langzeitstudien durchführen. In der Fachinformation wird dazu geraten, die Umeclidinium-Vilanterol-Kombination bei Patienten mit schwerer kardiovaskulärer Erkrankung nur mit Vorsicht anzuwenden. Aufgrund seiner antimuscarinergen Aktivität sollte Anoro bei Patienten mit Harnverhalt oder Engwinkelglaukom ebenfalls nur mit Vorsicht angewendet werden. Gleiches gilt bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung, da das neue Präparat bei diesen nicht untersucht wurde.
In der Schwangerschaft darf das neue Präparat nur inhaliert werden, wenn der erwartete Nutzen für die Mutter das potenzielle Risiko für das Kind rechtfertigt. In der Stillzeit muss der Arzt entscheiden, ob das Stillen oder die Behandlung mit Anoro zu unterbrechen sind. Dabei sind sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau zu berücksichtigen.
Vedolizumab
An einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa leidet in Deutschland einer von 250 bis 500 Menschen. Starke Bauchschmerzen und ständige blutig-schleimige Durchfälle prägen den Alltag Betroffener und sind mit den bislang verfügbaren Medikamenten nicht in jedem Fall in den Griff zu bekommen. Mit Vedolizumab (Entyvio® 300 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Takeda) steht jetzt ein monoklonaler Antikörper mit neuem Wirkmechanismus zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit mittelschweren bis schweren, aktiven Formen der Colitis ulcerosa oder des Morbus Crohn zur Verfügung.
Vedolizumab blockiert spezifisch das zelluläre Adhäsionsmolekül α4β7-Integrin. Dieses wird bevorzugt auf einer speziellen Untergruppe der Memory-T-Helferzellen exprimiert, die in den Magen-Darm-Trakt eindringt und dort die chronische Entzündung verursacht. Diese T-Zellen werden durch Vedolizumab daran gehindert, an das mukosale Adressin-Zelladhäsionsmolekül-1 (MadCAM-1) auf Darm-Endothelzellen zu binden. Die Einwanderung dieser T-Lymphozyten in den Magen-Darm-Trakt wird so unterbunden.
Mit dem Multiple-Sklerose-Medikament Natalizumab (TysabriTM) ist bereits ein Antikörper mit ähnlichem Wirkmechanismus auf dem Markt. Dieser bindet allerdings an die α4-Untereinheit des Integrins und wirkt dadurch unspezifischer als Vedolizumab. Natalizumab verhindert die Einwanderung von Lymphozyten in Gewebe, unter anderem das zentrale Nervensystem (ZNS) und den Magen-Darm-Trakt. In den USA ist es daher außer zur Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose auch zur Therapie von CED-Patienten zugelassen.
Eine seltene schwerwiegende Nebenwirkung von Natalizumab ist die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), eine meist tödlich verlaufende opportunistische Infektion des Gehirns. Da Vedolizumab wie Natalizumab ein Integrin-Modulator ist, besteht theoretisch die Möglichkeit, dass auch Patienten unter Vedolizumab eine PML entwickeln könnten. Bislang wurde aber von keinem derartigen Fall berichtet. Gegen die Gefahr einer PML durch Vedolizumab spricht, dass die Einwanderung von Leukozyten ins ZNS durch Bindung des α4β1-Integrins (VLA-4) an das vaskuläre Zelladhäsionsmolekül-1 (VCAM-1) auf Endothelzellen vermittelt wird und Vedolizumab diese Interaktion nicht stört.
Die empfohlene Dosierung beträgt 300 mg als halbstündige intravenöse Infusion zu Beginn der Behandlung, nach zwei und sechs Wochen und dann alle acht Wochen. Bei nachlassender Wirkung kann das Intervall der Erhaltungstherapie auf vier Wochen verkürzt werden. Nach Therapieunterbrechungen, die in klinischen Studien bis zu ein Jahr dauerten, kann die Behandlung ebenfalls im Vier-Wochen-Rhythmus wieder begonnen werden, ohne dass Wirksamkeit oder Verträglichkeit darunter leiden.
Morbus-Crohn-Patienten sprechen tendenziell später auf die Therapie an als Patienten mit Colitis ulcerosa. Daher soll bei Letzteren ein Abbruch der Therapie erwogen werden, wenn bis Woche 10 keine Hinweise auf einen therapeutischen Nutzen zu beobachten sind. Patienten mit Morbus Crohn, die nicht angesprochen haben, profitieren dagegen möglicherweise von einer zusätzlichen Dosis Vedolizumab in Woche 10; bei ihnen sollte die Therapie bei Nichtansprechen erst in Woche 14 abgebrochen werden.
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Vedolizumab wurden in den drei klinischen Studien GEMINI I bis III nachgewiesen. An der ersten nahmen 374 Patienten mit Colitis ulcerosa teil, bei denen zuvor mindestens eine herkömmliche Therapie einschließlich Corticosteroide, Immunmodulatoren und/oder Infliximab versagt hatte. Die Teilnehmer erhielten zu Beginn der Studie und nach zwei Wochen je 300 mg Vedolizumab oder Placebo. Primärer Endpunkt war der Anteil Patienten mit klinischem Ansprechen, definiert anhand zweier gängiger Scores. Ein klinisches Ansprechen erreichten unter Vedolizumab 47 Prozent der Patienten, eine klinische Remission 17 Prozent und eine Abheilung der Schleimhaut 41 Prozent. Für Placebo betrugen die entsprechenden Prozentzahlen 26, 5 und 25.
Foto: Fotolia/Laboko
Patienten, die unter Vedolizumab ein klinisches Ansprechen gezeigt hatten, erhielten randomisiert ab Woche 6 entweder Vedolizumab alle acht Wochen, Vedolizumab alle vier Wochen oder Placebo alle vier Wochen. Ein Jahr nach Therapiestart (Woche 52) waren unter Verum im Vier-Wochen-Rhythmus 45 Prozent der Patienten in klinischer Remission (primärer Endpunkt), unter Verum im Acht-Wochen-Rhythmus 42 Prozent und unter Placebo 16 Prozent. Patienten nach erfolgloser Anti-TNF-α-Therapie sprachen dabei mit 35 Prozent (Vier-Wochen-Rhythmus) beziehungsweise 37 Prozent (Acht-Wochen-Rhythmus) schlechter an als solche, bei denen eine konventionelle Therapie versagt hatte.
Das Design der GEMINI-II-Studie, an der 368 Patienten mit Morbus Crohn nach Versagen mindestens einer herkömmlichen Therapie teilnahmen, entsprach dem von GEMINI I. Neben der klinischen Remission in Woche 6 gab es einen weiteren primären Endpunkt, nämlich ein verbessertes klinisches Ansprechen in Woche 6. Ersteres erreichten 15 Prozent der Patienten unter Vedolizumab und 7 Prozent unter Placebo, Letzteres 31 Prozent unter Vedolizumab und 26 Prozent unter Placebo. Nach 52 Wochen waren 36 Prozent der vierwöchentlich mit Verum therapierten Patienten in klinischer Remission, 45 Prozent erfüllten die Kriterien für ein verbessertes klinisches Ansprechen. Für die im Acht-Wochen-Rhythmus therapierten Patienten betrugen die entsprechenden Prozentzahlen 39 beziehungsweise 44, für Placebo 22 beziehungsweise 30.
In GEMINI III erhielten 416 Morbus-Crohn-Patienten, bei denen mindestens eine herkömmliche Therapie versagt hatte, in den Wochen 0, 2 und 6 doppelblind entweder Vedolizumab 300 mg oder Placebo. Primärer Endpunkt war der Anteil Patienten in klinischer Remission in Woche 6 in der Untergruppe der Anti-TNF-α-Versager. Sowohl in Gemini II als auch in Gemini III zeigte sich somit auch in der Indikation Morbus Crohn, dass Patienten nach erfolgloser Anti-TNF-α-Therapie tendenziell schlechter auf Vedolizumab ansprachen.
Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten unter Langzeit-Behandlung bei 19 Prozent der mit Vedolizumab therapierten Patienten und bei 13 Prozent der mit Placebo behandelten Patienten auf. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Nasopharyngitis, Arthralgie und Kopfschmerzen, gefolgt von Übelkeit, Infektionen der oberen Atemwege, Fieber, Müdigkeit und Husten. 4 Prozent der Patienten berichteten von infusionsbedingten Reaktionen.
Aufgrund seiner darmselektiven Wirkung hat Vedolizumab zwar keine systemische immunsuppressive Wirkung, doch kann unter der Therapie dennoch das Risiko für opportunistische Infektionen steigen. Akute schwere Infektionen wie Tuberkulose, Sepsis, Cytomegalie-Virus oder Listeriose sind daher Kontraindikationen. Wird bei der Untersuchung vor Beginn einer Vedolizumab-Therapie eine latente Tuberkulose entdeckt, muss zuerst eine Therapie dagegen eingeleitet werden, bevor die Vedolizumab- Behandlung beginnen kann. Es wird empfohlen, allen Patienten vor Beginn der Therapie alle Impfungen nach den aktuellen Impfempfehlungen zu verabreichen. Lebendimpfstoffe sollten Patienten unter Vedolizumab-Therapie nur gegeben werden, wenn der Nutzen die Risiken eindeutig überwiegt. Impfungen mit inaktivierten oder abgetöteten Impfstoffen sind aber möglich.
Gebärfähigen Frauen wird in der Fachinformation dringend empfohlen, geeignete Methoden zur Empfängnisverhütung anzuwenden und diese mindestens 18 Wochen nach der letzten Gabe von Vedolizumab fortzuführen. Während der Schwangerschaft darf der Antikörper nur dann zum Einsatz kommen, wenn der Nutzen das potenzielle Risiko für die Mutter und den Föten eindeutig überwiegt. Auch wird Frauen empfohlen, entweder das Stillen oder die Behandlung mit Vedolizumab zu unterbrechen beziehungsweise darauf zu verzichten.
Nur ein Sprung im Juli
Mit Vedolizumab ist ein neuer Antikörper auf den Markt gekommen, der bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden kann, wenn die bisherigen Therapien nicht greifen. Der neue Stoff entwickelt seinen antientzündlichen Effekt selektiv im Darm aufgrund eines neuen Wirkungsmechanismus. Er bindet das bei der Entzündung maßgeblich beteiligte α4β7-Integrin, das die Infiltration der T-Lymphozyten fördert. Aufgrund dieses neuen Wirkungsmechanismus kann Vedolizumab als Sprunginnovation bewertet werden.
Der zweite neue Arzneistoff, Umeclidiniumbromid, das bei COPD eingesetzt wird und in Deutschland nur in Kombination mit Vilanterol zur Verfügung steht, muss als Analogpräparat eingestuft werden. Mit Tiotropiumbromid steht seit 2002 in Deutschland bereits ein langwirksames Anticholinergikum für diese Indikation zur Verfügung. Ein Vergleich der beiden Einzelsubstanzen liegt nicht vor. Auch die Kombination mit Vilanterol, einem β2-Rezeptoragonisten, der seit einigen Monaten auch in Kombination mit Fluticason zur Verfügung steht, macht aus Umeclidinium keine Sprung- oder Schrittinnovation.
Professor Dr. Hartmut Morck
Universität Marburg