Sicherheitsbedürfnis |
26.07.2011 15:07 Uhr |
Am 1. August wird das Arzneimittelgesetz 50 Jahre alt. Seine Geburtsstunde im Jahr 1961 war überschattet vom größten Arzneimittelskandal, den es in Deutschland je gegeben hat: der Contergan-Katastrophe. Bis heute denkt jeder beim Stichwort Arzneimittelsicherheit unwillkürlich an Kinder mit verkümmerten Armen und Beinen. Angesichts des Leids der Contergan-Geschädigten und ihrer Familien war klar: So etwas durfte nie wieder passieren. Die Sicherheit von Arzneimitteln hat oberste Priorität. Sie ist – passend zum 50. Jubiläum des Arzneimittelgesetzes – auch das Schwerpunktthema dieser Ausgabe der Pharmazeutischen Zeitung.
Heute ist das Arzneimittelgesetz von damals 65 Paragrafen auf fast 200 angewachsen (lesen Sie dazu Arzneimittelgesetz: 50-jährige Erfolgsgeschichte). Längst ist die Arzneimittelsicherheit von einer nationalen zu einer europäischen Angelegenheit geworden. Europa mischt sich kräftig ein, um unionsweit hohe Sicherheitsstandards zu garantieren. Vor der Neuzulassung, aber auch vor jeder Indikationserweiterung muss ein Arzneimittel in umfangreichen klinischen Prüfungen seine Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unter Beweis stellen (lesen Sie dazu Klinische Studien: Wie Humanarzneimittel geprüft werden).
Trotz der strengen Vorschriften gibt es immer wieder unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die erst dann zutage treten, wenn ein Präparat nach dem Markteintritt von vielen Patienten angewendet wird. An dieser Stelle ist die Arzneimittelsicherheit eng verknüpft mit den öffentlichen Apotheken, denn sie sind für viele Meldungen verantwortlich. Häufen sich in der Regelversorgung Berichte über Nebenwirkungen, kann das zur Rücknahme des Arzneimittels führen, manchmal sogar erst 50 Jahre nach der Zulassung (lesen Sie dazu Arzneimittelrücknahmen: Rückrufe im Rückblick).
Solche Marktrücknahmen sind für den Hersteller ärgerlich. Sie zeigen aber, dass die Kontrollen funktionieren, selbst wenn jedes Mal ein therapeutischer Ansatz begraben werden muss. Eine gute Krisenkommunikation ist dann wichtig, wenn das Image des Herstellers in der Öffentlichkeit keinen Schaden nehmen soll. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung von Krisenforscher Frank Roselieb zur Contergan-Katastrophe. Er erklärt im Interview Contergan: Skandal mit Déjà-vu-Effekt: »Die Krisenbewältigung von Grünenthal in den 1960er-Jahren war besser als ihr heutiger Ruf.«
Bei aller berechtigten Fokussierung auf die Arzneimittelsicherheit darf nicht vergessen werden, dass auch die Sicherheit der Arzneimitteltherapie nicht selbstverständlich ist. Denn auch die sichersten Arzneimittel können Schaden anrichten, wenn die Patienten sie nicht richtig anwenden. Seltsamerweise haben viele Menschen zwar ein großes Sicherheitsbedürfnis, wenn es um die Herstellung und Zulassung von Arzneimitteln geht, sind aber bemerkenswert sorglos bei deren Anwendung oder Erwerb über Internetapotheken. Für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie im Beratungsgespräch zu sorgen, ist unsere Kernaufgabe. Wir sind dazu als Arzneimittelfachleute bestens gerüstet und bereit.
Annette Mende
Redakteurin Pharmazie