Pharmazeutische Zeitung online
Bundessozialgericht

Am Mischpreis führt kein Weg vorbei

11.07.2018  09:28 Uhr

Von Stephanie Schersch und Ev Tebroke / Die Pharmabranche kann aufatmen: Die Bildung von Mischpreisen für neue Medikamente im Nachgang der Nutzenbewertung ist rechtens. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in zwei Fällen bekräftigt und die Entscheidungen der Vorinstanz aufgehoben. Damit kann die Arzneimittel-Preisbildung auch künftig nach dem bewährten System erfolgen.

Seit 2011 prüft der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Nutzen neuer Medikamente, wenn diese auf den Markt kommen. Im Anschluss erfolgt die Preisverhandlung zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Hersteller. 

 

Dabei sieht das Gesetz zwei Konstellationen vor: Das Medikament hat gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Zusatznutzen, dann wird dies je nach Ausmaß bei der Höhe des Erstattungspreises berücksichtigt. Oder das Medikament hat gegenüber der vergleichbaren Standardtherapie keinen Zusatznutzen, dann dürfen die Kosten des neuen Medikaments nicht höher sein als die der Vergleichstherapie.

 

Oft ist es aber so, dass ein neues Arzneimittel für einzelne Patientengruppen einen Zusatznutzen aufweist, während es für andere Patienten nur einen geringen oder gar keinen Mehrwert hat. Dann wird als Kompromiss ein Mischpreis kalkuliert. Dies ist bei den meisten Preisverhandlungen der Fall. Können Kassen und Hersteller sich nicht einigen, entscheidet die Schiedsstelle.

 

Ein Arzneimittel, ein Preis

 

Auch in den beiden Fällen vor dem BSG ging es um Präparate, für die ein Mischpreis festgesetzt worden war. Genau das hatte das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg im Juni 2017 für rechtwidrig erklärt. Geklagt hatte der GKV-Spitzenverband, der die von der Schiedsstelle festgesetzten Erstattungspreise für die Arzneimittel Eperzan® (Albiglutid) und Zydelig® (Idelalisib) als nicht nachvollziehbar und zu hoch ansah. Das LSG bewertete das ähnlich und hob die entsprechenden Schiedssprüche auf. Dabei äußerten die Richter auch grundsätzliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Mischpreisbildung.

 

Das System verstoße gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit, hatten sie argumentiert. So sei der Preis für die Mehrheit der Patienten, die nicht von einem Zusatznutzen profitieren, zu hoch angesetzt. Zudem verletzte er die Rechte des Herstellers, da der Preis bei Indikationen mit Zusatznutzen zu niedrig ausfalle. Auch begründe der Mischpreis nicht unerhebliche Regressrisiken für die Vertragsärzte.

 

Die Richter am Bundessozialgericht teilen diese Einschätzung nicht (AZ.: B 3 KR 20/17 R und B 3 KR 21/17 R). Nach dem Arzneimittelpreisrecht gelte für ein Medikament grundsätzlich immer nur ein Preis – und damit auch nur ein Erstattungsbetrag, erklärten sie. An der Bildung eines Mischpreises führe daher kein Weg vorbei, wenn der G-BA den Zusatznutzen für verschiedene Patientengruppen unterschiedlich bewerte. »Erstattungsbeträge in Form von Mischpreisen verstoßen dabei grundsätzlich weder gegen normative Regelungen einschließlich des Wirtschaftlichkeitsgebots noch gegen Verfassungsrecht.«

 

Ohnehin dürfen Erstattungsbeträge die Kosten der Vergleichstherapie laut BSG nur dann nicht überschreiten, wenn es um Arzneimittel ohne Zusatznutzen geht – was in den beiden vorliegenden Fällen ja gerade nicht der Fall ist. Letztlich gleiche der Mischpreis als Durchschnittswert die teils zu hohen und teils zu niedrigen Erstattungsbeträge aus, sofern »die Verteilung des Arzneimittels auf Patienten mit und ohne Zusatznutzen rechnerisch angemessen berücksichtigt wird«.

 

Die Richter halten die Entscheidungen der Schiedsstelle für sachgerecht und deren vorgelegte Begründungen für ausreichend. Grundsätzlich böten die rechtlichen Vorgaben zur Nutzenbewertung und Preisfestsetzung »hinreichende Vorkehrungen gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle«.

 

Dabei verweist das Gericht auch auf die schwierige Ausgangslage im Fall von Zydelig. Hier hatte der G-BA nur für zwei Patientengruppen einen Zusatznutzen festgestellt, den er nicht quantifizieren konnte. Zudem hatte er große Spannbreiten für die Zahl der potenziell betroffenen Patienten angegeben. Vor dem Hintergrund dieser noch nicht abgesicherten Datenlage war der von der Schiedsstelle ermittelte Erstattungsbetrag aus Sicht der Richter »eine Kompromisslösung, die allen Unwägbarkeiten bei der Monetarisierung des Zusatznutzens Rechnung tragen musste«.

 

Erleichterung und Kritik

 

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) bezeichnete die BSG-Entscheidung als gute Nachricht. »Die seit Jahren praktizierte Mischpreisbildung sichert Patienten den Zugang zu Arzneimittel-Innovationen und stärkt Ärzte in ihrer therapeutischen Freiheit«, betonte BAH-Vizechef Hermann Kortland. Auch der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) zeigt sich erleichtert: »Ein funktionierendes System gibt man nicht so einfach auf«, so vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) fordert nach dem BSG-Urteil, Wirtschaftlichkeitsprüfungen in Praxen einzustellen. »Ärzte müssen ohne Angst vor Regressen entscheiden können, was für ihre Patienten die beste und nicht allein die wirtschaftlichste Therapie ist«, so BPI-Chef Martin Zentgraf.

 

Auf Kritik stößt das BSG-Urteil hingegen beim Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP). Er bedauert, dass der unterschiedliche Nutzen, den einzelne Patientengruppen von neuen Medikamenten haben, sich nicht entsprechend in differenzierten Preisen niederschlägt. Das BSG-Urteil lasse die Chance verstreichen, den Patientennutzen in den Mittelpunkt zu rücken und die Versorgungsqualität zu stärken, teilte der Verband mit. /

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa