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Morbus Parkinson

Viel mehr als nur Gangstörungen

06.07.2010  12:20 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler, München / Zittern, Muskelstarre und Bewegungsarmut – diese Trias ist typisch für einen Morbus Parkinson. Kaum bekannt ist, dass neun von zehn Parkinson-Patienten auch an nicht-motorischen Beschwerden leiden. Welche stehen im Vordergrund, und wie können sie behandelt werden?

»Nicht-motorische Störungen sind häufig und belasten die Patienten und ihre Angehörigen in allen Krankheitsphasen stark«, erklärte Professor Dr. Lars Timmermann, Neurologe an der Universitätsklinik Köln, bei einem Pressegespräch von Lundbeck/Teva in München. Während psychiatrische Probleme wie Demenz, Depression, Halluzinationen oder Apathie viele Patienten in der Spätphase quälen, gibt es auch Warnsignale, die schon sehr früh auftreten. Allerdings sind nachlassendes Riechvermögen, Seh- und Schlafstörungen, Obstipation und Fatigue (massive Erschöpfung) so unspezifisch, dass viele Ärzte nicht an einen Morbus Parkinson denken, wenn Patienten darüber klagen. Auch eine Depression kann schon im Frühstadium auftreten.

»Nicht-motorische Beschwerden gehen den Bewegungsstörungen oft Jahre voraus«, erklärte Timmermann am Beispiel von Verhaltensstörungen während des REM-Schlafs. Der Schläfer führt im Traumschlaf kräftige komplexe Bewegungen aus, da die physiologische Muskelatonie nicht mehr eintritt. Im Nachhinein könne man solche Frühsymptome bei etwa 40 Prozent der Parkinson-Patienten feststellen.

 

Typischerweise lasse auch der Ge­ruchssinn nach. »70 bis 90 Prozent der Parkinson-Patienten haben eine Hyposmie, und zwar unabhängig von Schweregrad und Dauer der Erkran­kung sowie von der Medikation.« Doch auch etwa 40 Prozent der gesunden Menschen über 70 Jahre leiden aus verschiedenen Gründen an einer Riechschwäche.

 

Autonome Störungen

 

In allen Krankheitsphasen können Störungen des autonomen Nervensystems den Patienten belasten, berichtete Dr. Willibald Kohlhepp, niedergelassener Neurologe in Bad Waldsee. Diese betreffen beispielsweise das Herz-Kreislauf-System, den Genital- und Gastrointestinaltrakt sowie das Schlucken.

 

So kann eine orthostatische Dysregulation zu Benommenheit und Schwindel bei plötzlichem Aufstehen führen. »Stürze sind eher selten und erfolgen typischerweise nach vorne«, so der Mediziner. Er empfehle Allgemeinmaßnahmen wie viel trinken, Natrium-reiche Kost, mehrere kleine Mahlzeiten, vor allem bei postprandialer Hypotonie, Stützstrümpfe und Physiotherapie.

Hintergrund

Der Arzt und Apotheker James Parkinson (1755 bis 1824) beschrieb 1817 erstmals die Erkrankung und gab ihr aufgrund des auffälligen Ruhezitterns den Namen »Schüttellähmung«. In Deutschland leben etwa 240 000 bis 280 000 Parkinson-Patienten. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Am häufigsten wird die Krankheit zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr erkannt. 5 bis 10 Prozent der Patienten sind jünger als 40; man spricht von einem juvenilen Parkinson-Syndrom. Informationen und Rat bietet die Deutsche Parkinson-Vereinigung Bundesverband e. V. (www.parkinson-vereinigung.de).

Eine große Belastung stellt die zu­nehmende Inkontinenz dar, an der 40 bis 80 Prozent der Patienten vor allem bei langjähriger Krankheit leiden, berichtete Kohlhepp. Typisch sei die Drangsymptomatik: Die Patienten nässen ein, wenn sie nicht in kürzester Zeit eine Toilette erreichen. Zur Behandlung könne man Anticholinergika wie Trospiumchlorid oder Soli-­fenacin oder auch Medikamente wie ­Ba­clofen, die eine Spastik mildern, einsetzen. Urogenitale Infektionen sind gefährlich. »Sie sind eine häufige Todesursache bei Parkinson-Patienten«, warnte der Arzt. Infolge der autonomen Störungen kann bei Männern eine erektile Dysfunktion resultieren.

 

Ein häufiges Begleitsymptom ist eine hartnäckige Obstipation, die oft schon lange vor den Bewegungsstörungen beginnt. Hier sei ein schrittweises Vorgehen sinnvoll, beginnend mit richtiger Ernährung, Physiotherapie, Quellmitteln, Klistieren und Laxanzien. Anticholinergika müssen abgesetzt werden.

Dopa-Medikamente abends geben

 

Viele Parkinson-Patienten leiden nachts sowohl unter Hypo- und Akinesien als auch unter schmerzhaften Dystonien. Kohlhepp rät, dann die dopaminerge Therapie anzupassen. Bewährt habe sich die abendliche Gabe von retardierten L-Dopa-Präparaten (immer mit einem Decarboxylaseblocker kombiniert). Man könne diese Medikation kombinieren mit dem MAO-B-Hemmer Rasagilin oder mit COMT-Hemmern wie Entacapon. Auch retardierte Dopaminagonisten wie Ropinirol und Pramipexol verbessern den Schlaf. Eine weitere Option biete Rotigotin, das auch als transdermales therapeutisches System (TTS) zur Verfügung steht.

 

Das TTS eignet sich zudem für Patienten, die nicht oder kaum mehr schlucken können. Der Wirkstoff wird über ein Hautpflaster, das täglich erneuert werden muss, gleichmäßig freigesetzt. Auch Amantadin-Infusionen oder eine L-Dopa-Pumpe (in der Klinik) sind möglich. Kann der Patient noch schlucken, könne die einmal tägliche Gabe eines retardierten Dopaminagonisten die Therapie erleichtern, sagte Kohlhepp.

 

Eine weitere Folge der Schluckstörung ist die Hypersalivation: Der Patient kann die übermäßige Speichelmenge nicht mehr verschlucken. Neben oralen Atropin-Tropfen bringe Botulinumtoxin, das in die Speicheldrüsen gespritzt wird, guten Erfolg. Nur sehr zurückhaltend verordne er Anticholinergika, sagte Kohlhepp. Diese Medikamente können zwar starkes Schwitzen und Schluckstörungen mit Speichelfluss mildern, lösen aber häufig Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung und Harnverhalt aus.

 

Gefürchtetes Freezing

 

Bei manchen Patienten kommt es im Krankheitsverlauf – selten bereits zu Beginn – zu plötzlichen unvorhersehbaren Blockaden der Bewegung. Dieses »Einfrieren« der Bewegung für Sekunden oder Minuten (Freezing) ist laut Kohlhepp nicht L-Dopa-induziert, sondern »vermutlich ein noradrenerges Problem«.

 

Da agonistische und antagonistische Muskeln gleichzeitig innerviert werden, blockiert der Gang beim Start. »Der innere Taktgeber funktioniert nicht mehr.« Paradox erscheint, dass manche Patienten zwar nicht laufen, aber tanzen können. Dann wirke der Rhythmus der Musik oder der Partner als äußerer Taktgeber. Medikamentös helfe nur Rasagilin. / 

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