Alte Werte wiederbeleben |
04.06.2012 19:52 Uhr |
Von Daniel Rücker, Meran / Die Finanzkrise hält die Welt weiter in Atem. Der ZDF-Journalist und Buchautor Peter Hahne macht einen Verfall der Werte dafür verantwortlich. Für Deutschland sieht er Chancen, ohne größere Schäden aus der Krise zu kommen.
Für Hahne ist die Finanz-, Banken- und Eurokrise an erster Stelle ein Symptom. Auslöser war der Verfall der ideellen Werte, dann folgten die materiellen Werte, sagte der Journalist als Gastredener der Eröffnungsveranstaltung des Pharmacons Meran. Dieser Prozess habe sich in den vergangenen Jahren dramatisch beschleunigt.
Für Deutschland sieht Hahne noch recht gute Chancen, die Krise zu überwinden. Deutschland habe mit der Wiedervereinigung etwas historisch Einzigartiges geschaffen. Die vollkommen heruntergewirtschaftete DDR habe heute als Teil der Bundesrepublik denselben Lebensstandard wie die westdeutschen Bundesländer. Die Währungsumstellung von Ost- auf D-Mark zum Kurs von eins zu eins sei ökonomischer Wahnsinn gewesen und dennoch richtig und erfolgreich. Ein Land, das eine solche Aufgabe bewältige, könne auch die Finanzkrise in den Griff bekommen.
Allerdings seien hierfür Änderungen notwendig, sagte Hahne, vor allem in der Haltung der Menschen. Es gebe heute zu wenige Menschen, die Verantwortung für ihr Tun übernehmen wollten. Das gelte ganz besonders für Politiker. Als Beispiel dafür nannte er die Pannen bei der Eröffnung des Berliner Flughafens, für die niemand die politische Verantwortung übernehmen wolle.
Fatale Entscheidung
Dasselbe gelte für die Aufnahme Griechenlands in die Eurozone, obwohl das Land die Kriterien dafür nicht erfüllt habe. Auch hier gebe heute niemand zu, die damalige fatale Entscheidung mitgetragen zu haben. Das Resultat dieser Haltung sei eine Vertrauenskrise der Menschen in die Politik, die Banken und andere Institutionen wie die Kirche.
Viele Politiker hätten sich ohnehin davon verabschiedet, für ihre Überzeugungen zu stehen. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass eine bürgerlich-liberale Bundesregierung die Wehrpflicht abschafft? Wer hätte gedacht, dass eine bürgerlich-liberale Bundesregierung die Atomkraftwerke abschalten will?, fragte Hahne. In beiden Fällen habe die Regierung noch kurz zuvor genau die gegenteilige Position vertreten. Auf der anderen Seite kämpften Politiker der Grünen heute in großen Dienstlimousinen für den Schutz der Umwelt.
Viele Politiker stünden heute nicht mehr zu ihren Überzeugungen. Wenn sie merkten, dass ihre Meinung nicht mehrheitsfähig ist, werde sie eben gewechselt. Die Demokratie verkomme zur Stimmungsdemokratie.
Hahne fordert dringend eine Neuorientierung. Der Vertrauensverlust der Bevölkerung sei eine Gefahr: »Wir sind auf dem Weg in eine Zuschauerdemokratie. Die Tribünen sind zum Bersten voll, aber zu wenige mischen sich ein.« Es sei wie im Fußball, wo 80 000 Menschen zusehen, was 11 Männer tun.
Hahne wünscht sich mehr Menschen, die Klartext reden, die Wahrheit sagen und nach ihrer Überzeugung handeln. Eine hohe Bedeutung schreibt der Journalist auch jenen Eigenschaften zu, die in den vergangen Jahrzehnten zu Sekundärtugenden disqualifiziert wurden: Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Fleiß und Verlässlichkeit seien wichtig für ein funktionierendes Miteinander. Im Schatten der Finanzkrise seien vielen Menschen diese Eigenschaften wieder wichtig.
Ehrbare Kaufleute
Auch für die Wirtschaft fordert Hahne eine Besinnung auf Werte, so wie dies im Mittelstand zum Teil heute schon der Fall sei. Der ehrbare Kaufmann sei kein Anachronismus, sondern im Gegenteil ein Teil der Problemlösung. »Sei mutig mit den Geschäften am Tag, aber mache nur solche, mit denen Du in der Nacht gut schlafen kannst.« Mit diesem Zitat frei nach Thomas Manns »Buddenbrooks« erläuterte Hahne, was er sich unter einem ehrbaren Kaufmann vorstellt. Die tatsächlichen Unternehmer kämen aus dem Mittelstand, die Lenker in großen Unternehmen seien oft eher Unterlasser als Unternehmer.
Aus der Krise heraus kommt Deutschland nach Hahnes Überzeugung, wenn es gelingt, aus einer Ansammlung von Ich-AGs eine Gesellschaft mit begründeter Hoffnung zu machen, und den kommenden Generationen Zuversicht in ihre Zukunft zu geben. /