Pharmazeutische Zeitung online
Harnwegsinfekte

»Das Leid mit den Leitlinien«

07.06.2011  17:46 Uhr

Zur Therapie von Harnwegsinfektionen gibt es nicht zu wenige Empfehlungen, sondern zu viele. Doch die Fülle an Leitlinien führt nicht immer dazu, dass die empfohlenen Antibiotika bestimmungsgemäß zum Einsatz kommen – eine interdisziplinäre Herausforderung für Ärzte und Apotheker.

Harnwegsinfekte (HWI) sind nach den Atemwegsinfektionen die zweithäufigsten Infektionskrankheiten in Deutschland. Sie werden in den allermeisten Fällen ausgelöst durch über die Harnröhre aufsteigende Mikroorganismen. Da Frauen eine kürzere Harnröhre haben als Männer, sind sie etwa viermal häufiger betroffen. »Doch auch für die Männer gibt es eine schlechte Nachricht: Wenn sie an einem Harnwegsinfekt erkranken, sind sie immer sehr viel stärker betroffen als Frauen«, sagte Ulrike Teerling, Krankenhausapothekerin aus Paderborn.

 

Symptome eines HWI sind brennende Schmerzen beim Wasserlassen, häufiger Harndrang, übler Geruch und Trübung des Urins sowie Unterbauchschmerzen. Einige Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit für einen Harnwegsinfekt. Dazu gehören Geschlechtsverkehr in den vergangenen zwei Wochen, Verhütung mit Scheidendiaphragma, Spermiziden oder Depot-Medroxyprogesteronacetat sowie eine zwei bis vier Wochen zurückliegende Antibiotikaeinnahme. Auch ein Diabetes mellitus lässt das Risiko steigen, insbesondere wenn er schon fünf Jahre oder länger besteht.

In 80 bis 90 Prozent der Fälle sind die Erreger Escherichia-coli-Bakterien. Infektionen mit Enterobakterien oder Staphylokokken sind deutlich seltener, kommen aber bei komplizierten HWI prozentual häufiger vor als bei unkomplizierten. Da das Spek­trum der auslösenden Keime gut bekannt ist, kann die Therapie in der Regel »kalkuliert« erfolgen, das heißt entsprechend dem zu erwartenden Erreger und der regional bekannten Resistenzsituation.

 

Bei unkomplizierten Infekten sind Fluorchinolone nicht die Mittel der ersten Wahl. Leider bestehen aber »in der antibiotischen Behandlung von Harnwegsinfekten beträchtliche Unterschiede zwischen den in Leitlinien formulierten Empfehlungen und dem tatsächlichen Verordnungsverhalten«, zitierte Teerling einen im vergangenen Jahr erschienenen Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt. Zunehmende Resistenzen, die den Einsatz von Fluorchinolonen für schwere Infektionen gefährdeten, seien die Folge. Teerling sprach in diesem Zusammenhang vom »Leid mit den Leitlinien«: Es gebe einfach zu viele und diese hätten zu kurze Halbwertszeiten, was die Umsetzung in der Praxis häufig vereitle.

 

Entsprechend den derzeitigen Empfehlungen sollten unkomplizierte HWI entweder mit einer Einmaldosis von 3 g Fosfomycin behandelt werden oder mit zweimal täglich 100 mg Nitrofurantoin retard über fünf bis sieben Tage. »Nitrofurantoin ist eigentlich eine Uralt- Substanz, trotzdem gibt es so gut wie keine Resistenzen dagegen«, berichtete Teerling. Da es sich um ein Hohlraumchemotherapeutikum handelt, werden mit Nitrofurantoin allerdings keine ausreichend hohen Gewebespiegel erreicht, weshalb es bei komplizierten HWI nicht indiziert ist. Mittel der zweiten Wahl sind Fluorchinolone, Cotrimoxazol und Trimethoprim.

 

Als kompliziert gelten alle Harnwegsinfektionen bei Kindern, Schwangeren und Männern sowie immer dann, wenn die Erreger ins Nierenbecken aufgestiegen sind. Sie erfordern eine längere Antibiotikagabe, in der Regel sieben bis zehn Tage. »Hier stehen die Fluorchino­lone ganz oben auf der Empfehlungsliste«, sagte Teerling. Eine wichtige Nebenwirkung dieser Antibiotikaklasse sei die erhöhte Gefahr von Sehnenrupturen, die auch nach Ende der Therapie noch einige Wochen anhalte. »Daran sollten Sie vor allem bei jungen und ansonsten gesunden Patienten denken, die vielleicht eine Sportart mit hohem Verletzungsrisiko ausüben«, so Teerling. Bei Älteren könnten Fluorchinolone dagegen Verwirrtheitszustände auslösen. Generell kontraindiziert seien die Substanzen bei Epilepsie.

 

Zur Prävention von Harnwegsinfekten ist in den vergangenen Jahren Cranberrysaft in Mode gekommen, der aus der Großfrüchtigen Moosbeere (Vaccinium macrocarpon) gewonnen wird. Vermutlich wirkt der Saft über eine Hemmung der Bindungsfähigkeit von E. coli an die Urothelzellen. In einem Cochrane Review konnte eine Senkung der Infek­tionsrate gezeigt werden, allerdings war die Abbruchrate in den Studien aufgrund des unangenehmen Geschmacks des Saftes hoch. Teerling zufolge sollten mindestens 36 mg der in Cranberrysaft enthaltenen Proanthocyanidine pro Tag aufgenommen werden. Über die wirksamste Dosierung und Applikationsart herrsche zurzeit jedoch Unklarheit. Mögliche Wechselwirkungen mit Warfarin sowie eine Erhöhung der Oxalatspiegel im Urin sprechen gegen einen unkritischen Einsatz dieses Saftes.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa