Musterung der Neulinge |
08.06.2010 13:04 Uhr |
Nicht alle Medikamente, die neu auf den Markt kommen, sind ein echter Therapiefortschritt. Arzneistoffexperte Professor Dr. Hartmut Morck, Wiesbaden, warf einen kritischen Blick auf einige Neuzulassungen der vergangenen Monate.
Das Antiarrythmikum Dronedaron ist nichts grundlegend Neues, so Morck. Es ist strukturverwandt mit Amiodaron und wie dieses ein Mehrkanalblocker. Im Gegensatz zu Amiodaron enthält es aber keine Iod-Atome, ist weniger lipophil und hat eine deutlich kürzere Halbwertszeit (25 bis 30 Stunden versus 13 bis 100 Tage).
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Im direkten Vergleich war Dronedaron Amiodaron bezüglich der Rezidive von Vorhofflimmern unterlegen. Allerdings habe die Substanz, was die Verträglichkeit angeht, deutliche Vorteile gegenüber Amiodaron. Wichtig für die Praxis: Die Umstellung von der einen auf die neue Substanz erfordert ein vorsichtiges Vorgehen. Aufgrund der langen Halbwertszeit von Amiodaron darf nicht von einem auf den nächsten Tag auf Dronedaron umgestellt werden, so Morck. Bislang stuft er das Mittel noch als Scheininnovation ein. Langzeitstudien könnten aber belegen, dass die Substanz die Mortalität verbessert. Dann wäre Dronedaron Morck zufolge eine Schrittinnovation.
Zu diesen zählt auch das Inkretin-Mimetikum Liraglutid. Es wirkt ebenso wie das im Darm gebildete körpereigene Inkretinhormon Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1). Im Vergleich zum 2007 zugelassenen ersten Vertreter dieser Klasse, Exenatid, ist Liraglutid mit einer Homologie von 97 Prozent dem natürlichen Hormon wesentlich ähnlicher. Während es unter Exenatid in einer Studie bei 43 Prozent der Patienten zur Antikörperbildung kommt, war das unter Liraglutid nur bei 8,6 Prozent der Patienten der Fall. Was bislang noch nicht gelungen ist: Auch unter Liraglutid klagen viele Patienten in den ersten Therapiewochen über Übelkeit. »Vermutlich ist die subkutane Gabe nicht der optimale Applikationsweg«, mutmaßte Morck. Er rechnet damit, dass zum Beispiel mikroverkapselte Inkretin-Mimetika zur peroralen Einnahme besser verträglich sind.
Eine weitere Schrittinnovation ist das Urostatikum Febuxostat. Es ist zugelassen zur Behandlung der chronischen Hyperurikämie bei Erwachsenen, die bereits Ablagerungen von Uratkristallen haben. Febuxostat hemmt selektiv die Xanthinoxidase. Dieses Enzym katalysiert den oxidativen Umbau von Hypoxanthin zu Xanthin und weiter zu Harnsäure. Infolge der Enzymhemmung werden vermehrt Hypoxanthin und Xanthin renal ausgeschieden, und der Harnsäurespiegel in Blut und Urin sinkt. Febuxostat wirkt – anders als Allopurinol – alloster und nicht am aktiven Zentrum des Enzyms.
Mitte 2009 kam mit Tolvaptan der erste orale selektive V2-Vasopressin-Rezeptor-Antagonist in Europa auf den Markt. Der Wirkstoff hemmt selektiv und effektiv die durch Vasopressin (Anti-Diuretisches-Hormon, ADH) gesteuerte Rückresorption von Wasser. Eingesetzt wird Tolvaptan zur Behandlung einer Hyponatriämie beim Syndrom der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons (SIADH). »Durch den Wirkstoff ist SIADH erstmals relativ gut kausal behandelbar«, wertete Morck.
Die Lebensqualität von Betroffenen konnte auch durch den Antikörper Catumaxomab verbessert werden. Zugelassen ist er zur Behandlung einer krebsbedingten Flüssigkeitsansammlung in der Bauchhöhle, sofern der Tumor EpCAM-positiv und keine Standardtherapie mehr verfügbar ist. Als EpCAM-positiv bezeichnet man Karzinome, die auf ihrer Zelloberfläche in großen Mengen das sogenannte Transmembranprotein Epithelial Cell Adhesion Molecule (EpCAM) tragen. Etwa 80 Prozent aller bösartigen Tumoren überexprimieren dieses Protein. Das »geniale« Wirkprinzip beruht auf der gleichzeitigen Bindung an drei unterschiedliche Zelltypen. Daraus resultiert eine gegenseitige Stimulierung und Aktivierung von T-Zellen und akzessorischen Zellen. Dadurch wird eine verstärkte Immunantwort und eine Zerstörung der Krebszellen ermöglicht. Durch die Gabe von Catumaxomab konnte die Zeit bis zur nächsten Punktion um mehr als das Vierfache gesteigert werden (46 Tage versus 11 Tage). Im Hinblick auf individualisierte Therapiemöglichkeiten und das Entwicklungspotenzial bezeichnete Morck den Wirkstoff als »visionär« und stufte ihn als Sprunginnovation ein.
Mehr zu diesen und weiteren neuen Arzneistoffen findet sich in unserer Rubrik Neue Arzneistoffe.