Kritischer Blick auf die Neuen |
27.05.2008 16:42 Uhr |
<typohead type="3">Arzneistoffe: Kritischer Blick auf die Neuen
In 2008 sind schon 13 neue Substanzen auf den Markt gekommen. Wie die Neuzulassungen der vergangenen Monate zu bewerten sind, erklärte Professor Dr. Hartmut Morck, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung.
Schon seit Juni 2007 steht zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis bei Patienten, die nicht ausreichend auf andere Substanzen ansprechen, Abatacept (Orencia®) als neuer Wirkstoff mit neuem Wirkmechanismus zur Verfügung. Das Fusionsprotein besteht aus einem IgG-Fragment, gekoppelt an die extrazelluläre Domäne des T-Lymphozyten-Antigens 4 (CTLA-4). Dieses Antigen unterbricht die Aktivierung der T-Zellen und dämpft damit die überschießende Immunantwort bei rheumatoider Arthritis. Abatacept, das immer in Kombination mit Methotrexat eingesetzt wird, war in Studien gleich wirksam wie Infliximab, aber besser verträglich, berichtete Morck.
Auch zwei neue Substanzen gegen HIV sind auf den deutschen Markt gekommen. Mit Maraviroc (Celsentri®) ist zu dem Fusionsinhibitor Enfuvirtid ein weiterer Wirkstoff hinzugekommen, der den Eintritt des Erregers in die Zelle verhindert. Er habe gegenüber Enfuvirtid den Vorteil, dass er oral zu applizieren sei. Maraviroc blockiert den Chemokin-Rezeptor CCR5, den das HI-Virus zum Zelleintritt als Corezeptor benötigt. »Er ist der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse«, sagte Morck. Da sich Enfuvirtid gegen ein anderes Oberflächenmolekül richtet, könnte es sinnvoll sein, die beiden Entry-Inhibitoren zu kombinieren, sagte der PZ-Chefredakteur. Entsprechende Studien hätten aber noch nicht begonnen. Mit Raltegravir (Isentress®) ist im Februar eine weitere antiretrovirale Substanz auf den Markt gekommen. Der Integrasehemmer verhindert den Einbau des Virusgenoms in das Erbgut der Wirtszelle. »Es ist nach 20 Jahren Forschung der erste Integrasehemmer, der es zur Marktreife gebracht hat«, sagte Morck. Da er keine Nahrungseffekte zeige und nicht über das CYP450-System metabolisiert werde, sei er ein idealer Kombinationspartner für andere Wirkstoffklassen. Es seien aber bereits erste Resistenzen aufgetreten. Insgesamt sei die Hoffnung, dass das HI-Virus mit einer Viererkombination, die auch einen Integrasehemmer enthält, eradiziert werden kann, sehr gering.
Zur Behandlung der essenziellen Hypertonie wurde Aliskiren (Rasilez®) zugelassen. Der Renin-Inhibitor greift direkt am Startpunkt der Renin-Angiotensin-Aldosteron-Kaskade ein. Er zeichnet sich durch eine niedrige Nebenwirkungsrate aus. Langzeitstudien lägen noch nicht vor, berichtete Morck. »Die Substanz sollte eine Chance bekommen, sich am Markt zu bewähren.«
Zu einem »Politikum wegen des Preises« sei Ranibizumab (Lucentis®) geworden. Der zweite Inhibitor des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors A (VEGF-A) ist für die Behandlung der feuchten Form der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) zugelassen. Eine Vergleichsstudie zum ersten VEGF-A-Inhibitor Pegaptanib liegt noch nicht vor, so Morck. Insgesamt sei Ranibizumab »eine wichtige Substanz, die nicht über ihren Preis, sondern ihren Wert beurteilt werden sollte«.
Das neu auf den Markt gekommene atypische Neuroleptikum Paliperidon (Invega®) werde bei den Neurologen intensiv beworben. Es handelt sich aber nicht um eine neue Substanz, sondern um den Hauptmetaboliten von Risperidon, der galenisch neu aufbereitet wurde, sagte Morck. Er ist in dem sogenannten OROS-System verpackt, das unverdaulich ist. Die Tabletten werden intakt, aber ohne Wirkstoff wieder ausgeschieden. Darauf sollte der Apotheker bei der Abgabe hinweisen.
Lenalidomid (Revlimid®) ist zur Behandlung des multiplem Myeloms zugelassen, einer Tumorerkrankung, die immer tödlich verläuft. Die Substanz ist chemisch eng verwandt mit Thalidomid und wirkt auch teratogen, zumindest in Versuchen mit Kaninchen. Aus diesem Grund wurde ein umfangreiches Schutzprogramm eingeführt, berichtete der Referent. Apotheker dürfen das Präparat nur abgeben, wenn das Rezept den Vermerk »Sicherheitsbestimmungen gemäß Fachinformationen werden eingehalten« trägt und nicht älter als sieben Tage ist.
Auf die Einführung von Melatonin (Circadin®) hätten viele gewartet, sagte Morck. Denn dadurch könne man sich das Präparat zur Behandlung des Jetlags nun legal in Deutschland besorgen. Doch Melatonin ist nur für die kurzfristige Behandlung einer primären Insomnie bei Patienten über 55 Jahren zugelassen und muss vom Arzt verschrieben werden. »Es ist für Ältere zugelassen, weil bei ihnen die Melatoninproduktion abnimmt«, erklärte Morck. In drei klinischen Studien mit 681 Patienten verbesserte sich der Schlaf bei 32 Prozent unter Verum gegenüber 19 Prozent unter Placebo. Doch die Daten seien anzuzweifeln. »Diese Studien beweisen nicht die Wirkung von Melatonin als Schlafmittel«, schloss Morck.