Die Industrie geht neue Wege |
18.05.2010 16:18 Uhr |
Von Nils Franke, Berlin / Pharmaunternehmen wollen nicht mehr nur Pillen herstellen. Gerade unter den neuen Sparvorgaben der Politik möchten sie auch Einfluss auf die Einnahme ihrer Präparate nehmen. Mit Serviceangeboten stellen sie sich zunehmend als Dienstleister auf. Die Apotheken könnten eine zentrale Rolle spielen.
Patienten nehmen nicht immer regelmäßig ihre Arznei, Ärzte machen Fehler und verordnen mal ein falsches Mittel. Beides ist schlecht für die Therapie, beides kostet unnötig Geld. 15 bis 20 Milliarden Euro könnten es jedes Jahr in Deutschland sein, schätzte Andreas Reinert, Geschäftsführer der GSB Deutsche Gesundheitssystemberatung in Hamburg, beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin. Bis zu 24 000 Menschen stürben durch Non-Compliance und unerwünschte Nebenwirkungen. Gerade hier wolle und müsse die Pharmaindustrie ansetzen, erläuterte er in dem Workshop »Pille und mehr«, der sich gezielt diesem neuen Trend in der Industrie widmete.
Medizintechnikfirmen als Vorreiter
Die Medizingerätehersteller hätten das schon lange erkannt. Die Firmen Med-tronic und Biotronic beispielsweise bauten heute nicht nur Herzschrittmacher und Defibrillatoren. Sie böten den Patienten auch eine telemedizinische Überprüfung der Geräte an. »Sie sind ganz dicht am Patienten. Da sehe ich auch die Pharmaindus-trie, die viel mehr auf Dienstleistungen setzen muss.« Heute sei es möglich, dafür Direktverträge zwischen Kassen und Herstellern zu schließen. Letztlich müssten sie ganze Versorgungsnetzwerke aufbauen und eine viel größere Harmonie auch mit den Apotheken, Ärzten und Pflegediensten erzeugen. »Das bedeutet, eine patientenzentrierte Pharmakotherapie und das Arzneimittelmanagement in indikationsbezogene IV-Modelle einzubetten. Ich sehe das nur als Gesamtlösung. Das Pharmaunternehmen allein wird es nicht wuppen«, erklärte Reinert.
Klaus Meier, Klinikapotheker des Heidekreis-Klinikums im niedersächsischen Landkreis Soltau-Fallingbostel, hob die Bedeutung der Apotheker für solche Modelle hervor. Beim Arzt vergäßen viele Patienten anzugeben, welche eventuell unverträglichen Medikamente sie noch einnähmen.
Im Klinikum könne das anders als im niedergelassenen Bereich meist nicht einmal ein Apotheker kompensieren, kritisierte er. »Ein Internist spricht mit dem Patienten, bevor er operiert wird. Aber der Apotheker soll den Patienten mit Medikamenten behandeln, ohne dass er die Hausmedikation der Patienten beim Empfang aufnimmt. Da ist noch viel zu tun.« Ein sinnvolles Feld für Unternehmen sieht Meier in der Zuarbeit für Apotheken. Derzeit bereiteten manche Firmen Informationsbögen für Patienten vor. »Das sind Vorlagen mit Einnahmehinweisen und den Hauptwechselwirkungen, die der Apotheker aushändigt. Am Ende so eines Therapieabschnittes wird der Patient dann auch immer befragt, wie er die Regeln und die Wirkung für sich empfunden hat. Damit bekommt man eine Rückmeldung und kann einschätzen, ob die Erwartungen sich erfüllt haben. Sollte ein Patient eine Therapie abbrechen, kann der Apotheker den Arzt gleich ansprechen und dieser die Rückmeldung in der Therapie aufgreifen.« Bei oralen Zytostatika gehe es schon einmal um 60 000 Euro pro Patient und Jahr, da sei das ein wichtiger Faktor, sagte der Klinikapotheker. Die Industrie schmiede derzeit mit Hochdruck neue Ideen zur Compliance. »Wer als Erstes mit einem solchen Produkt am Markt ist, wird deutlich punkten – auch in der Politik«, zeigte sich Meier sicher.
Behandlungspfade optimieren
Dr. Thomas Reimann von Pfizer Pharma lieferte dafür weitere Beispiele. Sein Unternehmen versuche, Behandlungspfade zu optimieren, unter anderem in Projekten mit der Charité in Berlin und in einem Pilotprojekt in Kiel, wo es um transsektorale Versorgung und eine gute Anschlusstherapie nach der Entlassung aus der Klinik gehe. In der Rheumadiagnostik biete Pfizer eine frühzeitige nicht-invasive und nicht radiologische Methode an. »Das geht gut zusammen mit externen Partnern, mit einem Homecare-Service. Wir haben 14 Krankenstationen bundesweit, die uns unterstützen. Dazu ein Callcenter, das telefonisch die Patienten informiert und Erinnerungsanrufe durchführt. Erste Daten zeigen, dass dies die Drop-out-Rate von 23 auf 9 Prozent reduziert.«
Ein anderes Beispiel sei das Thema Wachstumsstörung bei Kindern. Hier habe sein Unternehmen eine Datenbank über zwanzig Jahre aufgebaut. »Damit kann man anhand von Grafen die Dosis der Hormontherapie exakt berechnen. Das ist eine bisher einmalige Gelegenheit, die Therapie zu optimieren«, sagte Reimann.
Henning Wrogemann von Astra Zeneca sah ebenfalls den Datenvorteil der Unternehmen als ganz wesentlich an, um die Versorgungsqualität zu verbessern. »Wir bauen ein großes Register auf, um die Therapie von Lungenkrebspatienten zu verfolgen. Das ist etwas, das ausschließlich die forschende Arzneimittelindustrie tut und sonst keiner.« Erst die Industrie könne die sektoralen Probleme in Deutschland überwinden. /