Schwarzhandel sorgt für Arzneiengpässe |
06.05.2015 09:54 Uhr |
Von Sebastian Becker / In Polen herrscht ein akuter Mangel an lebensnotwendigen Arzneien. Schwarzhändler verschieben die Medikamente illegal auch nach Deutschland, weil sie dort mehr Profit machen. Jetzt schlagen die selbstständigen Apotheker bei der polnischen Regierung Alarm.
»Ein schwer kranker Patient will unbedingt sein Insulin kaufen und bekommt es einfach nicht, weil es die Apotheken nicht auf Lager haben«, beschreibt Jarosław Mateuszuk, der Vorsitzende der Kreis-Apothekenkammer OIA im ostpolnischen Białystok, einen Fall aus dem Apothekenalltag. »Oder er braucht Glucose-Teststreifen, erhält diese aber auch nicht, weil sie in den Filialen schlichtweg fehlen.« Szenen wie diese sind keine Seltenheit in polnischen Apotheken.
Mateuszuk machte vergangene Woche in einem persönlichen Schreiben an die Regierungschefin Ewa Kopacz noch einmal auf einen gravierenden Misstand in Polen aufmerksam. Stellvertretend für alle Kollegen kritisierte er den akuten Medikamentenmangel im Land, der sich zu einer richtigen Versorgungsnot ausweiten könnte.
Seit einigen Jahren exportieren schwarze Schafe unter den Pharmagroßhändlern und Apothekern Arzneien, die vom Staat bezuschusst werden. Wie die liberale Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« berichtet, verschieben sie die Medikamente zu wesentlich höheren Preisen ins Ausland, anstatt damit polnische Patienten zu versorgen.
Viele Fachleute machen dafür eine Novellierung des Gesetzes für bezuschusste Arzneien im Jahr 2012 verantwortlich. Es hat bewirkt, dass diese Mittel in Polen zu den billigsten in ganz Europa gehören. Beispielsweise kostet ein Präparat gegen Thrombose 20 Euro, während es in Deutschland fünf Mal teurer ist.
Deswegen steht Deutschland ganz oben auf der Liste der Länder, in denen die polnischen Arzneien in den Regalen der Apotheken landen. Darüber hinaus beliefern die Schwarzhändler Dänemark, Norwegen und Schweden.
Aus Polen verschwinden neben Insulin auch kardiologische und onkologische Medikamente. Zusätzlich haben die Patienten immer weniger Zugang zu Arzneien gegen Parkinson, psychische Störungen oder gegen Leiden, die während der Menopause auftreten. Insgesamt fehlen etwa 200 Präparate. Für viele von ihnen gibt es keine Ersatzmedikamente, manche können Leben retten.
Wie groß das Problem ist, wird auch anhand anderer Zahlen deutlich: Im vergangenen Jahr meldeten die Apotheken 1500 Mal einen akuten Medikamentenmangel, berichtet die Oberste Apothekerkammer NIA. Der geschätzte Wert der Arzneien, die seit 2012 illegal exportiert wurden, geht in die Milliarden. Zum Vergleich: Die Gesamtumsätze des polnischen Pharmamarkts liegen pro Jahr bei rund 7 Milliarden Euro.
Die Schwarzhändler arbeiten oft nach dem Prinzip der umgekehrten Lieferkette. Dabei verkauft ein Großhändler seine Arzneien an eine Apotheke. Dort landet aber nur ein kleiner Teil im Verkauf. Der Großteil wird hingegen wieder an den Großhändler zurückveräußert, der die Ware illegal ins Ausland verschiebt.
Kleine Erfolge
Immerhin konnten die Behörden schon einige kleine Erfolge im Kampf gegen diesen Misstand verzeichnen. Im vergangenen Jahr verloren zwölf Apotheken wegen illegalen Exports ihre Konzession. »Doch was sollen wir denn machen?«, sagte ein Pharmazeut der »Gazeta Wyborcza«, der anonym bleiben wollte. »Anders können wir uns wegen der billigen Arzneien nicht am Markt halten.« Damit machte er deutlich, dass es für Polen nicht leicht werden wird, diesen Misstand zu beheben. /
Rund 200 Präparate fehlen derzeit in Polen, weil sie über den Schwarzhandel in andere Länder gelangen. Dazu zählen nach Angaben der Obersten Apothekerkammer NIA unter anderem Novomix®, Humalog®, Clexane®, Pulmozyne®, Avamys®, Inspra®, Fragmin®, Crestor®, Neulasta® und Seretide®.